Die Realos haben die Grünen in Baden-Württemberg groß gemacht. Doch nun verlangen die Linken vordere Listenplätze bei der Bundestagswahl.

Als Cem Özdemir Mitte September in dieser Zeitung seinen Anspruch öffentlich machte, die baden-württembergischen Grünen als männlicher Spitzenkandidat in die Bundestagswahl zu führen, erschien dies als naheliegend. Seit vier Jahren steht er an der Spitze der Bundespartei, das Direktmandat in Stuttgart verpasste er 2009 nur knapp. Der Einzug ins Parlament misslang auch deshalb, weil ihm die Südwest-Grünen einen sicheren Platz auf der Landesliste für die Bundestagswahl verweigert hatten. Solches Gebaren hat eine unschöne Tradition in der Partei, die ihre Vorsitzenden mitunter behandelt, als wären sie Schuhabstreifer.

 

Nun aber wagt Özdemir einen neuen Anlauf – und auch diesmal bleibt der Parteichef nicht unangefochten. Der Mannheimer Bundestagsabgeordnete und Parteilinke Gerhard Schick, als Finanzexperte während der Euro-Schuldenkrise in den Medien präsent, will Parteichef Özdemir auf dem Böblinger Landesparteitag Anfang Dezember Platz zwei streitig machen. Der Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer, selbst früherer Grünen-Landeschef mit Abwatsch-Erfahrungen, roch sofort den Braten. Via Twitter warnte er davor, Özdemir als Bundesvorsitzenden zu beschädigen. Der könne kein politisches Gewicht mehr auf die Waagschale bringen, wenn ihm sein eigener Landesverband zweimal einen vorderen Listenplatz verweigere.

„Weiterdenken“, empfiehlt Reinhard Bütikofer

Bütikofers Appell: „Wozu führt das? Wer will das? Weiterdenken!“ Auf dem Bundesparteitag Mitte November in Hannover kandidiert Özdemir erneut für den Bundesvorsitz. Bütikofer empfahl Schick, dort gegen Özdemir anzutreten, wenn er ihn denn schwächen wolle.

Auch der den Frauen vorbehaltene Platz eins der Landesliste, zuletzt von der Freiburger Abgeordneten Kerstin Andreae gehalten, ist zum Streitobjekt geworden. Die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion wird von ihrer Fraktionskollegin Sylvia Kotting-Uhl attackiert. Sie ist die Landesgruppenchefin der Südwest-Grünen im Bundestag. Zwei Realpolitiker – Andreae und Özdemir – gegen zwei Parteilinke – Schick und Kotting-Uhl: der Flügelkampf bei den Grünen im Land ist in vollem Gang. Schon vor der Landtagswahl 2011 hatten die lange unter der Dominanz von Realos wie Fritz Kuhn, Rezzo Schlauch, Dieter Salomon, Boris Palmer oder Winfried Kretschmann darbenden Linken ein deutliches Lebenszeichen ausgesandt.

Kretschmann drohte mit Rückzug

Sie versuchten, Winfried Kretschmann als alleinigen Spitzenkandidaten zu verhindern und eine Doppelspitze zu installieren. Kretschmann lehnte dies damals ab und drohte mit Rückzug. Unter den Linken gab es durchaus Leute, die das hingenommen hätten. So weit kam es aber nicht. Kretschmann wurde ein harmloses Viererteam zur Seite gestellt, das als solches öffentlich nicht in Erscheinung trat. Nun folgt ein neuer Anlauf der Linken. Ein Deal, der darauf hinauslief, die Plätze ein und zwei den Realos zu überlassen, die Plätze drei bis vier aber den Linken zuzubilligen, kam nicht zustande. Die Realos sind sauer, weil es ihrer Meinung nach ihre Politik war, die die Grünen im Südwesten zu bisher singulären Erfolgen führte. Die Linken aber zeigten sich in der Vergangenheit besser vernetzt als die Realos, die sich zwar noch treffen, aber programmatisch schwächeln und sich oft gegenseitig nicht grün sind.