Mit Westerwelles Verzicht auf den FDP-Vorsitz sind die Probleme nicht gelöst. Am Dienstag fallen Entscheidungen über Kandidaturen.

Berlin - Der Machtkampf in der FDP ist noch nicht endgültig entschieden. Daran ändert nur wenig, dass Guido Westerwelle darauf verzichtet, auf dem Parteitag Mitte Mai erneut für den Vorsitz zu kandidieren. Auch der Umstand, dass Westerwelle auf den Titel eines Vizekanzlers verzichten will, so denn der künftige Parteichef im Kabinett sitzt, kann den Knoten nicht lösen. Immerhin kann sich Westerwelle vorerst den Umständen entsprechend sicher sein, das Außenministerium weiter führen zu können. Das Parteipräsidium habe dies einstimmig begrüßt, sagte Generalsekretär Christian Lindner am Montag.

 

Zwar eröffnet Westerwelle mit seinem angekündigten Rückzug Gesundheitsminister Philipp Rösler, der als Favorit auf die Nachfolge gilt, den Zugriff auf das höchste Parteiamt. Aber Rösler will zugleich Wirtschaftsminister werden. Der 38-Jährige ist davon überzeugt, dass er als Gesundheitsminister nicht jene Sympathiepunkte sammeln kann, die er braucht, um sich an der Spitze etablieren zu können. Das Gesundheitsressort soll, so der Plan, der bisherige Parlamentarische Staatssekretär Daniel Bahr übernehmen, der zugleich Landeschef in Nordrhein-Westfalen ist.

Brüderle möchte Wirtschaftsminister bleiben

Das Wirtschaftsressort hat aber Rainer Brüderle inne. Und der klammert sich an die letzte Machtbasis, die ihm nach dem Verzicht auf den Landesvorsitz in Rheinland-Pfalz geblieben ist. Präsidiumsmitglied Silvana Koch-Mehrin brachte wohl deshalb auch einen Ministeriumstausch mit der Union ins Spiel. Auf diesem Ohr allerdings dürfte Kanzlerin Angela Merkel, die komplizierte Veränderungen in ihrem Kabinett scheut, ziemlich taub sein.

Die Gemengelage ist nach der dreistündigen Präsidiumssitzung am Montag dem Vernehmen nach nicht übersichtlicher geworden. Brüderle habe, so Generalsekretär Lindner, "seinen weiteren Führungsanspruch" im Präsidium unterstrichen. Was er, Lindner, von diesem Führungsanspruch persönlich halte, sagte er nicht. Lindner bildet gemeinsam mit dem NRW-Vorsitzenden Daniel Bahr eine Art Leibgarde für den auserkorenen Rösler. Die drei hatten auch am Sonntagnachmittag mit Guido Westerwelle die Bedingungen für dessen Rückzug ausgehandelt. Lindner und Bahr hätten Westerwelle in seiner Berliner Wohnung aufgesucht, sagte Lindner. Rösler sei aus Hannover per Telefon dazugeschaltet worden.

Ein Stillhalteabkommen ist wahrscheinlich

Die Frage ist nun, wie weit Rösler zu gehen bereit ist und ob er notfalls auch zurückzieht, wenn Brüderle sich als renitent erweist. Nicht nur Brüderle steht unter Druck. Auch am Stuhl von Fraktionschefin Birgit Homburger wird gesägt. Das neue Führungstrio, von Spöttern in der FDP schon "die drei jungen Tenöre" genannt, darf allerdings den Regionalproporz nicht gänzlich außer Acht lassen. Legen sie sich sowohl mit Homburger als auch mit Brüderle an, dann bringen sie womöglich die noch immer mächtigen Südländer Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg gegen sich auf. Dann wäre eine überzeugende Mehrheit auf dem Parteitag dahin. Deshalb mutmaßen einige in der Führung, dass sich in Fraktion und Kabinett zunächst nichts tun wird. Erwartet wird eine Art Stillhalteabkommen.

Es wäre dies ein brüchiger Frieden, das deutete sich in der Präsidiumssitzung an. Dem Vernehmen nach hatten sich die Teilnehmer zwar die meiste Zeit Mühe gegeben, einigermaßen friedfertig zu bleiben. Westerwelle bekam zu Beginn von Koch-Mehrin sogar einen Strauß weißer Rosen überreicht, als gebe es etwas zu feiern. Einmal aber blitzte der Machtkampf dann doch auf, der die Partei dauerhaft lähmen könnte. "In Deutschland gibt es keinen Bedarf an einer fünften sozialdemokratischen Partei", ätzte Brüderle laut Teilnehmern. Lindner soll in scharfem Ton erwidert haben, er habe "die Glaubenskongregationen" satt, die den Reformern vorhielten, sie wollten "die FDP grün anpinseln".

Nägel mit Köpfen sollen am Dienstag gemacht werden. Erst trifft sich das Präsidium der Partei mit den Landesvorsitzenden, dann der Bundesvorstand und die Bundestagsfraktion. Er gehe davon aus, dass dabei "Kandidaturen angemeldet werden", sagte Lindner.

Vizekanzler - Ein Amt, das es gar nicht gibt

Westerwelle Der FDP-Chef will nicht nur den Parteivorsitz aufgeben. Sein Nachfolger soll künftig auch Vizekanzler in der schwarz-gelben Regierung sein. Mit kurzen Unterbrechungen war in der Geschichte der Bundesrepublik stets der Außenminister Vizekanzler. In der Großen Koalition war es zeitweise Arbeitsminister Franz Müntefering.

Grundgesetz In der Verfassung ist dieses Amt gar nicht vorgesehen. Artikel 69 sagt, dass der Kanzler einen seiner Minister zum Stellvertreter ernennen kann - in Absprache mit dem Koalitionspartner. Maßgeblich wurde dies ein einziges Mal: Nach Willy Brandts Rücktritt 1974 führte Vizekanzler Scheel neun Tage die Regierungsgeschäfte.

Kaiserreich Kennt heute noch jemand Arthur Graf von Posadowsky-Wehner? Er war immerhin zehn Jahre lang Vizekanzler - allerdings zu Kaisers Zeiten. Damals gab es einen offiziellen Stellvertreter des Reichskanzlers und auch ein eigenes Gesetz, das dessen Bestimmung und Aufgaben regelte. In der Weimarer Republik war dies nicht mehr so.