Der Vorsitzende der Linkspartei sieht – anders als seine Konkurrentin Sahra Wagenknecht – keinen Grund, den Kurs der Linken in der Flüchtlingspolitik zu ändern.

Berlin - Die Linke hat in ihrem internen Machtkampf zunächst eine Einigung erzielt hat. Die Fraktionschefs Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch wurden wiedergewählt. Zuvor hatten die beiden Parteichefs Bernd Riexinger und Katja Kipping versucht, den Einfluss der Fraktionschefs zu beschneiden.

 
Herr Riexinger, die Vorsitzenden der Linken wurden am Dienstag von dem Brandbrief Sahra Wagenknechts kalt erwischt. Wie beurteilen Sie ein solches Vorgehen?
Jeder hat halt seinen Stil, solche innerparteilichen Auseinandersetzungen zu führen. Für mich gehören Drohbriefe und öffentliche Schmähungen nicht dazu. Aber um das nochmal klarzustellen: Katja Kipping und ich haben die Fraktionsvorsitzenden zur Wiederwahl vorgeschlagen, Demontage oder Entmachtung sähen irgendwie anders aus.
Sehen Sie die Parteichefs, also auch sich selbst, nach dem notdürftigen Kompromiss geschwächt?
Im Gegenteil. Angesichts der Herausforderungen, vor denen Die Linke steht, wollen wir die Arbeit von Partei und Fraktion enger verzahnen und uns noch mehr für die Zusammenarbeit mit Bewegungen und Initiativen öffnen. Das ist uns gelungen. Die Frage eines angemessenen Rederechts für die Parteivorsitzenden, wie es nun geregelt ist, war dafür gar nicht so entscheidend. Viel wichtiger ist uns, dass nun im Fraktionsvorstand die Beauftragte für soziale Bewegungen Sitz und Stimme hat und sich in diesem Gremium das gesamte Spektrum der Fraktion widerspiegelt.
Werden Sie auf dem nächsten Parteitag erneut für den Vorsitz kandidieren?
Ich habe durchaus nicht den Eindruck, dass die Vorsitzenden in der Partei umstritten wären. Im Gegenteil: Wir haben gerade unser zweitbestes Bundestagswahlergebnis eingefahren. Wir erleben einen Mitgliederzuwachs wie noch nie, etablieren uns in neuen Milieus und Berufsgruppen. Für das alles stehen die Parteichefs. Deshalb sehe ich keinen Grund, auf dem nächsten Parteitag nicht wieder anzutreten.
Sahra Wagenknecht will, dass die Linke ihre Haltung zur Migrationspolitik verändert. Ist sie damit in der Partei isoliert?
Die Partei hat in der Frage des Umganges mit Flüchtlingen eine klare Position. Sie ist im Wahlprogramm festgelegt. Sie wird von 95 Prozent der Partei getragen, ist verbindlich und steht nicht zur Veränderung an. Die Debatte, wie wir diese Haltung in der Öffentlichkeit besser vermitteln, ist durchaus legitim. Vorwürfe, dass Sahra Wagenknecht flüchtlingsfeindliche Positionen vertritt, sind nicht gerechtfertigt.
Im Wahlprogramm steht das Bleiberecht für alle und offene Grenzen. Wenn aber jeder bleiben darf, dann hat das Asylrecht gar keinen Sinn mehr. Das muss man nicht überdenken?
Wir wollen vor allem, dass die Menschen gar nicht erst fliehen müssen, weil sie in ihrer Heimat Lebensperspektiven haben. Dass das nicht gewährleistet ist und Millionen Menschen vor Krieg, Hunger, Not und Elend fliehen müssen, markiert einen gravierenden Umbruch in der Welt. Wenn die Industriestaaten an den globalen Fluchtursachen nichts ändern, werden wir die Flüchtlingsfrage nicht lösen können. Wer glaubt, man könne das durch Mauern, Stacheldraht und Abschottung lösen, setzt auf eine Illusion. Kriege beenden, Entwicklungspolitik, eine faire Handelspolitik – das sind unsere Antworten. Und wer zu uns kommt, muss vernünftig integriert werden.
Also keine Kurskorrekturen?
Nein. Aber natürlich werden wir uns Gedanken darüber machen, wie die Flüchtlingsfrage besser mit der sozialen Frage zu verbinden ist. Wir sollten nicht den Eindruck vermitteln, wir wollten alle Flüchtenden zu uns ins Land holen. Und wir sollten die richtigen Zusammenhänge verdeutlichen. Man kann nicht mit subventionierten Exporten die Lebensbedingungen von Kleinbauern in armen Ländern zerstören und meinen, dass das keine Konsequenzen hat.
Die Linke hat zwar leichte Zugewinne bei den Bundestagswahlen erzielt. Aber bei Arbeitslosen, Arbeitern und bei Gewerkschaftern liegt sie hinter der AfD. Ein bedrückendes Resultat…
Das ist eine zu grobe Analyse. Wir haben auch einen enormen Zuwachs bei jungen Leuten. Was die Arbeiter angeht: Da geht es auch um Selbstzuschreibungen. Eine Verkäuferin bezeichnet sich wohl eher als Angestellte. Sie hat aber weniger Lohn und einen niedrigeren Lebensstandard als viele Arbeiter in der Automobilindustrie. Deshalb bin ich bei diesen Kategorien sehr vorsichtig. Die Linke gewinnt zum Beispiel bei Beschäftigten in der Gesundheitsbranche und in den Pflegeberufen, wir haben auch Zuwächse bei den Gewerkschafterinnen.
Widersprechen Sie der These, dass die Linke wegen der Flüchtlingsfrage an die AfD verloren hat?
Die These macht es sich zu einfach, der Zusammenhang ist komplexer. Zu meinen, eine weniger eindeutige Haltung der Linken in der Migrationsfrage wäre ein Rückholprogramm für an die AfD verlorene Wähler, ist zu kurz gesprungen. Im Osten ist die soziale Ausgrenzung größer. Viele Menschen haben gebrochene Erwerbsbiografien. Die Löhne sind niedriger, die wirtschaftliche Entwicklung ist langsamer. Es gibt abgehängte Regionen, auch im Westen. Und die zunehmende soziale Spaltung im ganzen Land schürt die Angst vor Wohlstandsverlust. Auf dieser Folie spielt sich die Debatte um die Flüchtlinge ab. Die Linke muss deutlich machen, dass nicht die Flüchtlinge für die Misere verantwortlich sind - die gab es nämlich schon vorher -, sondern die Politik Merkels und der großen Koalition.
Im Westen dringt die Linke in städtische intellektuelle Milieus ein - früher klassisch grüne Hochburgen. Ist es ein strategisches Ziel der Linken, die Grünen zu beerben?
Wir werden die ökologischen Fragen in der Tat nicht den Grünen überlassen. Aber wir verbinden sie mit der sozialen Frage. Wir wollen nicht nur eine regenerative Energieversorgung, sondern wir wollen sie auch in öffentlicher Hand und mit sozialen Tarifen. Diese Verbindung ist für Menschen attraktiv, die dem Klimawandel nicht nur zuschauen wollen und gleichzeitig soziale Gerechtigkeit wichtig finden. Diesen Zusammenhang haben die Grünen aufgegeben. Wir wenden uns also auch an die Menschen, die den Gang der Grünen in eine Jamaika-Koalition nicht akzeptabel finden.
Die Linke teilt nun mit der AfD die Rolle der Oppositionspartei. Wie soll sie mit der AfD umgehen? Werden Sie zum Beispiel gegen alle Personalvorschläge der AfD stimmen - etwa bei der Besetzung des Bundestags-Vizepräsidenten?
Wir werden keinem Personalvorschlag der AfD zustimmen und definitiv keine Nazis oder Ausländerfeinde in irgendwelche Positionen wählen. Da müssen wir klare Kante zeigen. In uns wird die AfD den härtesten denkbaren Gegner finden. Wir werden nicht nur im Parlament, sondern auch im öffentlichen Raum dagegenhalten.
Wie setzt man sich mit der AfD auseinander: laut im Ton oder streng sachlich?
Pauschale Beschimpfungen oder stereotype Hinweise auf den rassistischen Charakter der Partei reichen nicht aus. Wir brauchen eine inhaltliche Auseinandersetzung um die Programmatik der AfD. Wir müssen den Menschen, die die AfD gewählt haben, zeigen, dass diese Gruppierung für sie keine Lösung hat. Das AfD-Programm ist ja im Kern neoliberal. Die AfD will noch mehr Sanktionen gegen Erwerbslose. Wirtschaftlich ist das ein FDP-orientierter Kurs. Es reicht nicht, die AfD nur auf dem Feld ihrer rassistischen Ideologie zu stellen. Man muss sie vor allem auf dem Boden der sozialen Fragen stellen.
Sie teilen also doch die Wagenknecht-These, dass viele AfD-Wähler keine Rechtsradikalen sind, sondern Unzufriedenheit ausdrücken wollen?
Wer die AfD wählt, weiß, was er tut. Auch wer aus Protest eine rechtsradikale Partei wählt, wählt eine rechtsradikale Partei. Dennoch muss uns klar sein, dass ein Teil der AfD-Wähler für uns zu gewinnen ist. Das hat der Erfolg von Jeremy Corbyn in Großbritannien gezeigt. Er konnte viele UKIP-Wähler zurückholen.
Zum Umgang mit der SPD: Sie hoffen auf einen Linksschwenk der Sozialdemokraten. Aber wenn beide linke Parteien dasselbe sagen, ist doch niemandem gedient.
Wenn es zu Jamaika kommt, werden die sozialen Fragen unter die Räder kommen. Die Union würde von der FDP massiv zu mehr Marktliberalisierung gedrängt. Die Grünen werden die sozialen Themen nicht zur Entscheidungsfrage über die Koalition machen. Die sind mit ein paar Zugeständnissen auf dem Feld der Umweltpolitik zufrieden. Das heißt, das Problem der sozialen Spaltung der Gesellschaft wird sich tendenziell verschärfen. Das gibt einer sozial engagierten Opposition ein breites Wirkungsfeld. Eine Besinnung der SPD darauf würde klare Alternativen zwischen Politikkonzepten ermöglichen. Uns nähme das nichts weg. Wir stellen Fragen, die die SPD nie aufgreifen würde: Fragen nach mehr Wirtschaftsdemokratie oder der Eigentumsverteilung zum Beispiel. Wichtig ist, dass eine klare Alternative zwischen linker und rechter Politik erkennbar wird. Das wäre ein ungeheurer Fortschritt.