Der Konflikt zwischen den Jungen um Philipp Rösler und dem Lager um Rainer Brüderle könnte die FDP noch lange beschäftigen.

Berlin - Habemus papam. Der Ruf eines Spaßvogels erschallt auf der Präsidialebene des Bundestags an diesem Dienstag um kurz nach 14 Uhr. "Habemus papam" - wir haben einen Papst. FDP-Fraktionsgeschäftsführer Jörg van Essen, auf dem Weg von einer Gremiensitzung zur nächsten, bestätigt "weißen Rauch". Surrende Smartphones nehmen die Nachricht verborgener Informanten an, die zu diesem Zeitpunkt schon kein Geheimnis mehr ist: Einen Papst hat die FDP zwar nicht, wohl aber einen Kandidaten für das Amt des Vorsitzenden. Der heißt Philipp Rösler, ist 38 Jahre alt und hat das alles so nicht gewollt. Sagen sie in der Partei.

 

Am Ende musste er wollen. Entweder er oder Generalsekretär Christian Lindner. Auch der sechs Jahre jüngere Lindner zögerte. Aber dann ließ Sabine Leutheusser-Schnarrenberger durchsickern, notfalls kandidiere eben sie, wenn die Jungs sich nicht trauen. Da wussten beide: einer von ihnen muss springen, wenn sie nicht als Feiglinge gelten wollen. Rösler sprang. Am Sonntag soll Rösler Westerwelle am Telefon gesagt haben, er trete notfalls auch gegen ihn an, wenn dieser nicht zurückziehe, heißt es jetzt. Als ob es dieses Muskelspiels zu diesem Zeitpunkt noch bedurft hätte.

Am Dienstag, als die Sache eigentlich entschieden ist, zögert Rösler aus Kalkül. Die Partei ist unruhig, nur schwer zu berechnen so kurz vor dem Parteitag Mitte Mai in Rostock. Es wäre nicht klug, Fakten vorzusetzen wie ein Fast-Food-Menü. Eine Partei in dieser Verfassung will gehört werden, sie will Dampf ablassen. Deshalb die beiden Gremiensitzungen, in denen Rösler jeweils erst sehr spät seinen Anspruch auf den Vorsitz anmeldet.

Als Rösler dann um kurz nach 16 Uhr vor die Journalisten tritt, kann er sich seiner Sache ziemlich sicher sein. So gut wie alle entscheidenden Figuren haben zuvor in zwei Sitzungsrunden Gelegenheit, ihm bei Bedarf offen entgegenzutreten - Landeschefs, Präsidiumsmitglieder, die Abgeordneten der Bundestagsfraktion. Sie haben es nicht getan, sie haben seine Kandidatur mit dankbarem Applaus entgegengenommen. Eine Partei atmet auf. Jetzt steht Rösler da, vor den Kameras, zieht den Knoten seiner fliederfarbenen Krawatte fest und kann nicht mehr zurück.

Es ist an ihm, die FDP wieder aufzurichten

Es ist ein knappes Statement, keine Fragen. Rösler will, dass Westerwelle Außenminister bleibt und Christian Lindner Generalsekretär. Er erhebt Anspruch auf den Titel des Vizekanzlers und darauf, "den Kurs der FDP in der Regierung" zu bestimmen. Dann redet er davon, dass die FDP ihr Programm jetzt nicht neu erfinden müsse, und spricht von der Notwendigkeit, "neue Antworten" zu finden. Er spürt "große Verantwortung" und redet davon, dass ihm die Entscheidung nicht leichtgefallen sei. Was man halt so sagt in solchen Momenten.

Jetzt ist es an ihm, dem in Vietnam geborenen Niedersachsen, die FDP wieder aufzurichten, die so tief Gesunkene. Ausgerechnet. Denn will man seinem Umfeld Glauben schenken, dann wünschte er auch diesmal, der Kelch möge an ihm vorübergehen. So wie damals, 2009, nach der gewonnenen Bundestagswahl, als Parteichef Guido Westerwelle ihn ins Gesundheitsministerium drängte, angeblich gegen seinen erbitterten Widerstand. Aber will man dem Glauben schenken?

Ist er wirklich der Gegenentwurf zur vom Ehrgeiz getriebenen herrschenden Politikerkaste, als der er sich gern selbst zeichnet? Will er wirklich, wie er 2005 bei seiner Wahl ins Präsidium behauptete, nur bis zu seinem 45. Geburtstag Politiker sein und dann ein völlig neues Leben wagen? Oder ist diese zur Schau gestellte Zurückhaltung für ihn eben jenes probate Mittel zur Inszenierung, mit dem jüngst Karl-Theodor zu Guttenberg so hoch stieg, bevor ihn die Copy-and-paste-Affäre erst seinen Doktortitel und dann sein Amt als Verteidigungsminister kostete?

Es gibt einflussreiche Mitglieder im Präsidium, die ihm diese Zurückhaltung nicht abnehmen, die ihm vorhalten zu kokettieren. Und es stimmt ja auch. Rösler war keineswegs nur deshalb so schwer ins Gesundheitsministerium zu befördern, weil er sich als Wirtschaftsminister in Hannover kurz zuvor eingerichtet und zudem ein Häuschen gekauft hatte, in dem eine junge, berufstätige Frau und seine Zwillingstöchter warten. Er argwöhnte aus guten Gründen, dass Westerwelle ihn auch deshalb auf einen Posten mit traditionell lausigen Beliebtheitswerten schob, damit Rösler dem Parteichef nicht gefährlich werden kann. Jetzt ist Westerwelle seinen Posten trotzdem los. Und Rösler ist bald Parteichef - und weiter Gesundheitsminister.

Zeit als Parteichef beginnt mit gescheitertem Putschversuch

Was er dem Vernehmen nach nicht wollte, auch wenn sie jetzt in seinem Umfeld an der Legende stricken, dass dies doch gar nicht stimme und dass man doch auch als Gesundheitsminister einen Liberalismus mit menschlichem Antlitz vorleben könne. Gerade jetzt, wo es doch bis zur nächsten Bundestagswahl vor allem um das sensible Thema der Pflege älterer Menschen gehe. Er selbst versichert am Dienstag, wie sehr ihm das Ministerium Spaß mache. Und nur eine ganz kurze Pause im Satz deutet an, dass dies vielleicht nicht die ganze Wahrheit ist: "Es macht mir sehr viel" - einmal kurz durchgeatmet - "Freude." Ein netter Versuch ist das, eine grobe Tätlichkeit zu verschleiern, die der FDP noch zu schaffen machen wird, weil sie zumindest Rainer Brüderle und Fraktionschefin Birgit Homburger für erwiesen halten. Denn Rösler wollte Wirtschaftminister werden, den amtierenden Amtschef Brüderle verdrängen. Auch Homburger sollte stürzen. Es sollte nicht gelingen.

Und so beginnt seine Zeit als Parteichef mit einem gescheiterten Putschversuch, der zugleich einen anderen Blick auf Rösler zulässt als jenen, den er selbst bereit ist zu gewähren. Denn sympathisch war das Spiel nicht, das er spielte. Eher hinterhältig und fies. Ein FDP-Klassiker, sozusagen. Und verloren hat er es noch dazu.

Das wird ihn lähmen, just in dem Moment, in dem er zum Sprung ansetzt. Denn springen will er. So viel ist klar. Der FDP will er, gemeinsam mit seinen politischen Freunden Lindner und NRW-Landeschef Daniel Bahr, eine neue inhaltliche Prägung geben, einen "mitfühlenden Liberalismus" entwickeln, samt Machtoptionen jenseits der Union. Eine Richtung ist das, die einer garantiert nicht will: Rainer Brüderle, der Wirtschaftsminister, den sie nicht loswerden konnten und der, wie er es sagt, die Wandlung der FDP zu "einer fünften sozialdemokratischen Partei" in Deutschland nicht hinnehmen will.

In den Gremien sagt er am Dienstag kein einziges Wort. Stattdessen teilt Brüderle einen seiner Namensartikel und sein Konzept zum Netzausbau aus. Da steht drin, wie er sich seine liberale Welt vorstellt. Auch wenn Rösler sagt, dass seine Kandidatur nur der erste Schritt sei und weitere "in den nächsten Tagen und Wochen" folgen würden: Brüderle bleibt. Und ist fortan Röslers größtes Problem.

Die Stunden und Tage nach den verlorenen Landtagswahlen

Es dient vor diesem Hintergrund mehr als nur der Geschichtsschreibung, die Stunden und Tage nach den verlorenen Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg nachzuzeichnen. Denn da wurden tiefe Wunden geschlagen, die Rösler zu schaffen machen werden.

An jenem Sonntagabend, an dem sich die FDP in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz halbierte, verabredeten sich Lindner, Bahr und Rösler zum kollektiven Messerzücken. Die einen sagen: in der Geschäftstellen. Die anderen: im nahe gelegenen Restaurant Ganymed. Wo auch immer, einer ist in allen erzählten Varianten mit dabei. Einer der zu diesem Zeitpunkt noch glaubt, seine Haut retten zu können: Guido Westerwelle. Sie verabreden, dass Westerwelle Parteichef bleiben kann, wenn er den Jungen Rainer Brüderle und Fraktionschefin Birgit Homburger liefert. Aber Westerwelle vermag nicht mehr zu liefern, er hat nicht mehr die Macht.

Außerdem wittern Brüderle und Homburger das Komplott, sie sind nicht erst seit gestern im Geschäft, sie haben zuverlässige Zuträger, die Augen und Ohren in Geschäftstelle und Restaurants offen halten. Sie mögen angeschlagen sein, aber sie verfügen noch immer über genug Rückhalt in ihren Landesverbänden, um die Partei ins Chaos zu stürzen. Der Putsch misslingt.

Am Montag und Dienstag nach den Landtagswahlen wagt Lindner, zunächst noch als Favorit auf die Nachfolge Westerwelles gehandelt, einen zweiten Versuch, Brüderle ins Abseits zu drängen. Mit radikalen Reformvorschlägen in der Atom- und Sozialpolitik will er Brüderle altbacken und gestrig aussehen lassen. Auch das scheitert. Der Flügel, der Brüderles Faible für wirtschaftsliberale "Brot-und-Butter-Themen" stützt, ist so klein nicht. Ein "Mister Mittelstand", der noch zur Jahreswende vielen in der Partei zumindest als Übergangsvorsitzender noch gut genug gewesen wäre, lässt sich nicht einfach zur Seite drängen. Schon gar nicht von diesen drei Buben, die er als "Säuselliberalisten" verspottet hat. Lindner gerät so selbst in die Defensive. Als Vorsitzender kommt er nicht mehr infrage. Das Trio muss erkennen, dass Brüderle es geschafft hat, ordnungspolitischen Grundsätzen in der Regierung ein Gesicht zu verleihen. Sie kriegen ihn einfach nicht weg.

Ein brüchiger Waffenstillstand

Als am Dienstag in der zweiten Gremienrunde Bundesvorstand und Fraktion gemeinsam tagen, ist dies vorerst die letzte Gelegenheit zum Ministersturz. Nur dieses Gremium ist in der FDP dazu befugt. Noch leitet es Guido Westerwelle. Erst fordert er für sich selbst Unterstützung ein, dann für Homburger, dann für Brüderle. Wer Klage führen wolle, so Westerwelle, der tue dies jetzt oder möge für immer schweigen. Braver Applaus, kein Protest.

Rösler sagt später, in der Parteiführung komme es auf eine "gute Mischung aus jungen Politikern, aber auch aus erfahrenen an". Was soll er jetzt noch anderes sagen.

Was bleibt, ist nicht mehr als ein brüchiger Waffenstillstand. Denn wäre es in der FDP nicht eh seit Gründung der Partei ratsam, stets ein offenes Messer in der Hosentasche mit sich zu führen - diese Woche wäre für Homburger und Brüderle die Zeit gewesen, sich eines zuzulegen. Für Philipp Rösler erst recht.

Kann schon sein, dass Rösler nicht so sein will, wie er jetzt werden muss, aber letztlich hat er sich dazu entschieden. Dieser schmutzige Kampf gegen Brüderle war erst der Anfang, auch wenn er nicht in vorderster Linie focht. Er hat ihn verloren. Es werden weitere folgen. Wie sagte Rösler einst: "Politik verändert die Menschen, sie macht misstrauisch, so will ich nicht werden." Ein sympathischer Satz. Aber es hilft nichts. Er wird in dieser Partei, in der Stühlesägen mehr noch als anderswo Paradedisziplin ist, kämpfen müssen - mit allen Mitteln. Sonst wird die FDP sich womöglich bald wieder einen Vorsitzenden suchen müssen. Wenn es sie dann noch gibt.