In Madagaskar kommen Ausbrüche der Seuche öfter vor. Nun hat die Pest aber erstmals seit Jahren die Hauptstadt des von Armut und politischen Unruhen geschwächten afrikanischen Inselstaats erreicht.

Madagaskar - Bernadette Rasoarimanana ist außer sich vor Wut. Mehr als ein Dutzend Soldaten seien zu ihrem Haus gekommen, um den Leichnam ihrer Tochter wegzunehmen, schimpft die trauernde Mutter. Dabei hätten sie und die Familie noch nicht einmal richtig Abschied von ihr genommen. Richtig Abschied nimmt man nach madagassischer Sitte, indem man den Verstorbenen noch einmal gründlich wäscht und danach zärtlich küsst.

 

Genau das wollten die Behörden der madagassischen Hauptstadt Antananarivo allerdings unbedingt verhindern. Denn Rasoarimananas 21-jährige Tochter starb an der Pest. Die Epidemie, eine für europäische Ohren dem Mittelalter zuzuordnenden Krankheit, sucht derzeit den von Armut und politischen Unruhen geschwächten afrikanischen Inselstaat heim. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums von Madagaskar wurden bereits 138 Menschen von den „Yersinia pestis“-Bakterien infiziert – 47 mit tödlichen Folgen.  

Ratten beherrschen die Wohnsiedlungen

Pestausbrüche kommen auf der Insel praktisch jährlich vor: Der letzte, mit insgesamt 42 Toten, ereignete sich im Dezember des vergangenen Jahres. Doch diesmal hat der Pegel der Besorgnis neue Höhen erreicht. Denn erstmals seit vielen Jahren haben die von Ratten über Flöhe auf Menschen übertragenen Bakterien auch die Hauptstadt Antananarivo erreicht. „Wir leben hier schon seit 40 Jahren unter denselben Bedingungen“, sagt Bernadette Rasoarimanana und schüttelt verständnislos den Kopf. „Und trotzdem haben wir noch niemals die Pest hier gehabt.“ Ihr Nachbar wundert sich schon weniger: „Wir müssen einräumen, dass unser Stadtteil völlig verdreckt und von der Regierung vernachlässigt ist,“ sagt Adolphe Rakotojaona. „Er wird schon seit langer Zeit von Ratten beherrscht.“  

Mit dem Auftreten der ersten zwei Pest-Fälle in Antananarivo ist die Alarmstufe in dem Inselstaat auf dunkelrot geschnellt. In der Stadt leben mehr als zwei Millionen Einwohner auf dichtestem Raum. Slums wie Ankasina, wo Rasoarimanana und Rakotojaona wohnen, sind ein Paradies für Seuchen.

Assoziationen an die andere Epidemie werden wach, die derzeit den Kontinent heimsucht: Auch der Ausbruch des Ebola-Virus in Westafrika hatte eine völlig andere Dimension angenommen, weil erstmals nicht nur ein paar abgelegene zentralafrikanische Regenwalddörfer waren, sondern die dicht bevölkerte westafrikanisch Küstenregion betroffen war. Die beispiellose Seuche hat bereits mehr als 5500 Menschenleben gekostet: Erst Ebola und jetzt auch noch die Pest.  

Flöhe sind resistent gegen Vernichtungsmittel

Die madagassischen Behörden unterstützten die Seuchenausbreitung noch, indem sie erst Anfang November – zwei Monate nach dem Tod des ersten bestätigten Pest-Erkrankten – den Vorfall der Weltgesundheitsorganisation (WHO) meldeten. Auf diese Weise ging wertvolle Zeit verloren. Mit der Ankunft der Pest in Antananarivo habe sich „das Risiko einer rasanten Ausbreitung der Krankheit wegen der Bevölkerungsdichte der Stadt und der schlechten Gesundheitsfürsorge deutlich vergrößert“, warnte die Genfer Behörde. Hinzu komme der besorgniserregende Umstand, dass viele der madagassischen Flöhe gegen das landesübliche Insektenvernichtungsmittel Deltamethrin inzwischen resistent seien.  

Nur ein kleiner Trost ist die Tatsache, dass es sich bei den bisher aus Madagaskar gemeldeten Pesterkrankungen offenbar nur in zwei von hundert Fällen um die wesentlich gefährlichere und durch die Luft übertragene Lungenpest handelt. Die weitaus häufigere Beulenpest wird nur über Flohbisse übertragen: Beim Menschen setzen sich die Bakterien dann in den Lymphdrüsen fest, die sie zu riesigen Beulen anschwellen lassen. Dort können sie allerdings mit herkömmlichen Antibiotika bekämpft werden. Dringen die Bakterien dagegen bis in die Lunge vor, ist es für jede Hilfe zu spät. Lungenpesterkrankte sterben meist schon binnen 24 Stunden.  

Die madagassische Regierung, die von der WHO und dem Roten Kreuz mit 200 000 Dollar unterstützt wird, hat inzwischen eine Task-Force eingesetzt. Sie hat unter anderem die Aufgabe, die Slums in der Hauptstadt Antananarivo zu desinfizieren – eine gigantische Herausforderung, denn die Bretterhüttensiedlungen sind heillos überfüllt: 90 Prozent der madagassischen Bevölkerung muss mit höchstens zwei Dollar am Tag auskommen. Das Inselvolk wird außerdem schon seit fünf Jahren von politischen Spannungen gebeutelt. In Afrika kommt ein Unglück selten allein.