Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Tausende tragen ihren Protest regelmäßig auf die Straßen. Dann zeigt das Fernsehen Bilder, die an einen Bürgerkrieg erinnern. Tränengas vernebelt die Szene, Gummigeschosse fliegen durch die Luft. Das Militär versucht, den Widerstand zu brechen. „Die Politik zeigt sich durchaus beeindruckt“, erzählt Razafidrison Clement, der die Gegenwehr mit organisiert: „Vorerst ist die Mine gestoppt.“ Doch wie lange der Burgfrieden hält, weiß niemand. Ein Hektar Wald sei schon plattgemacht, sagt Clement. Die Regierung interessiere sich nicht für Ökologie und wolle nur rasch Kasse machen. „Eigentlich müsste sie aber die Landwirtschaft fördern, denn 80 Prozent der Madagassen leben davon.“

 

Tatsächlich sagen auch Experten in der Hauptstadt, dass Regeln zum Umweltschutz, zur Entschädigung oder zur Beteiligung der Dorfgemeinschaften an den Prozessen vielfach nur auf dem Papier stünden. „In der Praxis klappt die Umsetzung nicht“, erzählt ein Diplomat. Vor der Vertreibung könnten die Bauern offizielle Landtitel schützen. Doch die sind teuer, nur in der Hauptstadt zu kriegen und im Grunde mit rund 400 Euro je Hektar unerschwinglich für die Ärmsten. Doch hier gibt es Hoffnung: Eine Alternative sind neue Zertifikate. In Bevato balanciert Toky Razafindrasata mit einem GPS-Gerät über den Lehmdeich eines Reisfeldes. Immer wieder bleibt er stehen und diktiert seinen Mitarbeitern Koordinaten in den Block. Ihnen folgt der Landbesitzer und sein Nachbar. Der muss an jedem Messpunkt bestätigen, wo die Grenze verläuft. Damit es später keinen Streit gibt. Bereits 700 Flächen habe er erfasst, berichtet Razafindrasata zufrieden. „Die Leute wollen ihr Land vor den Ausländern schützen.“ In Bevato nutzt man dafür ein 2006 verabschiedetes Gesetz, das die Regierung am liebsten wieder einsammeln würde. Demnach dürfen auch Kommunen Landzertifikate ausgeben. Die sind viel billiger als die Titel und juristisch nicht so leicht vom Tisch zu wischen wie Tradition und Gewohnheit.

Eine Nonne trommelt für die Bauern

Die Papiere unters Volk zu bringen ist gleichwohl nicht leicht. Karten müssen erstellt, die GPS-Geräte angeschafft, die armen Kommunen mit Computern ausgerüstet und über Solarmodule hier draußen, wo es keine Anschlüsse gibt, mit ein wenig Strom versorgt werden. Auch Mitarbeiter sind zu schulen. Nicht zuletzt müssen die Bauern, von denen viele die Gefahr nicht ahnen und zahlreiche weder lesen noch schreiben können, überzeugt werden. Ohne Schwester Modestine liefe das alles kaum. Die kleine energiegeladene Nonne mit der weißen Haube und der blauen Tracht hat sich dem Projekt, das den Namen Vahatra trägt und von Misereor gefördert wird, verschrieben. Sie reist über die Dörfer des nordwestlichen Hochplateaus, gewinnt Bürgermeister für das Vorhaben. Und sie trommelt die Bauern zusammen, damit die ihre Anträge auf diese Art der Besitzsicherung stellen. Das Verfahren kostet jeden Bauern nur rund einen Euro je Hektar, und das Geld darf man nach der Ernte zahlen oder abstottern. Hunderte Zertifikate sind schon ausgegeben, Zehntausende sollen es werden. „Wir schaffen Fakten, an denen der Staat nicht vorbeikann“, sagt Schwester Modestine kämpferisch. Sie weiß aber, dass die Zeit drängt: „Es ist ein Wettlauf, den wir hoffentlich gewinnen.“