Coronakrise Über die große Solidarität freuen sich Stuttgarter Künstler sehr

Unglaubliche 230 000 Euro hat bisher die Stuttgarter Künstlersoforthilfe gesammelt. Spenden ist das neue Klatschen. Musiker wie Berti Kiolbassa freuen sich darüber sehr. Mit seiner Band MadChick of Soul feierte er jetzt eine heiße Party im Netz.
Stuttgart - Sie haben’s noch voll drauf. Das letzten Mal trat die Stuttgarter Band MadChick of Soul um den Pianisten Berti Kiolbassa vor dem Shutdown im Februar gemeinsam auf. Seit vielen Jahren sind die verrückten Hühner bekannt für heiße Soulnächte zum Durchtanzen in der Alten Reithalle oder in den Bars des Hotels Maritim in Stuttgart und in Ulm. Das Coronavirus hat den Sturm und Drang von sieben exzellenten Musiker ausgebremst – aber aufzuhalten ist dieses Feuer an guter Laune nicht, wie jetzt die Fans daheim bei dem mitreißenden Streaming-Konzert aus der leeren Halle des berühmten Musikstudios 8 in Neu-Isenberg bei Frankfurt erleben konnten.
Ohne große Proben – „Wir haben vor der Show nur eine paar Takte angespielt“, sagt Kiolbassa – legten die sechs Musiker und eine Musikerin so hitzig und fetzig los, als wär’ nix gewesen. Man konnte es spüren: Starke Musik ist systemrelevant zur Erhaltung der Lebensfreude. Nicht nur den Fans hat es gut getan, auch die Band genoss es, mal wieder alles zu geben. Fast schien es, als störe es der Spiellust der Musiker gar nicht, wenn der Beifall des Publikums fehlt. In diesen Zeiten ist Spenden das neue Klatschen.
Kiolbassa ist kein Freund von Autokonzerten
MadChick of Soul agierte vor der Bluebox des hessischen Musikstudios, in dem Weltstars ein und aus gehen. Auf diese Weise konnten wechselnde Kulissen als Hintergrund erscheinen und das Live-Erlebnis noch weiter steigern. Sänger Butch Williams erwähnte wiederholt, dass er neue Schuhe braucht. Spenden der Zuhörerinnen und Zuhörer sollen unter den Bandmitgliedern Cherry Gehring und Frank Dapper (beide spielen auch bei Pur), Eva Leticia Padilla, Rolf Kersting, Claudio Sellgrad und Berti Kiolbassa verteilt werden. Aber nicht nur ums Geldsammeln ging es an diesem Abend. „Wir wollten zeigen, dass wir noch da sind“, erklärt Bandleader Kiolbassa.
Wann die Band wieder live vor Publikum spielen kann, ist noch unklar. 99 Zuschauerinnen und Zuschauer sind neuerdings bei einem Konzert erlaubt. „Aber wenn die 99 Gäste nicht tanzen dürfen, ist das schwierig“, findet Pianist Kiolbassa, der Auftritte bei Autokonzerte ablehnt. Für Musikerinnen und Musiker heißt das im Lockdown: Ganz bescheiden leben. Die Hilfen des Landes sind bei vielen für drei Monate ausgezahlt worden – die drei Monaten sind nun aber vorbei. Keiner weiß, was nun folgt und wann es zurück auf Livebühnen vor ein tanzendes Publikum geht.
Künstlersozialhilfe hat über 230 000 Euro gesammelt
Partymusiker leben von Hochzeitsfeiern, Events und Stadtfesten. Noch werden dafür keine neuen Termine vereinbart, weil völlig offen ist, wie die Pandemie sich entwickelt. Von Paaren, die Hochzeiten im Sommer 2021 feiern wollen, hört man, dass man kaum noch freie Locations in einem Jahr finden kann. „Ein Paar muss jetzt an einem Sonntag im September 2021 Hochzeit feiern“, sagt Kiolbassa, „weil nur da noch ein Termin frei war.“
Berti Kiolbassa freut sich über die Solidarität des Publikums. „Wenn man sieht, wie gespendet wird, ist doch noch ein Gemeinschaftsgefühl zu spüren, das ohne Live-Konzerte gefehlt hat“, sagt er. Der Pianist meint damit vor allem die Künstlersoforthilfe, die der Autor Joe Bauer, der Stadtrat Tom Adler, der Fernsehjournalist Goggo Gensch und Peter Jakobeit, der frühere Geschäftsführer der Stuttgarter Kulturgemeinschaft, gleich nach dem Lockdown im März unkonventionell und unbürokratisch gestartet haben. Über 900 Menschen haben bisher mit kleinen, mit größeren und mit stattlichen Beträgen geholfen. So kamen bis jetzt 230.000 Euro zusammen. Überweisungen für mehr als 700 Kulturschaffende waren möglich.
„All diese Hilfe zeigt uns den Respekt vor der kulturellen Arbeit, die schon lange vor Corona unter prekären Bedingungen geleistet wurde“, sagt Initiator Joe Bauer, der am Samstag, 20. Juni, einen Flaneursalon im Garten des Theaterhauses veranstaltet. Gelder sammelt auch die Initiative Art Support Stuttgart um den Musicalsänger Hannes Staffler und Musicaldirigent Boris Ritter mit wöchentlichen Streaming-Konzerten.
Unsere Empfehlung für Sie

Corona-Patient aus Stuttgart Das Erlebte beschäftigt Martin Schau bis heute
Martin Schau war einer der ersten vier Stuttgarter, der einen positiven Corona-Test erhielt. Trotz eines relativ milden Verlaufs der Viruskrankheit beschäftigt ihn das Erlebte bis heute. Auch seine Familie wurde mit dem Virus angesteckt.

Lillys Geschichte Stuttgarterin bloggt über Frühchen-Geburt
Nach drei Jahren Kinderwunsch und zwei Fehlgeburten kam Lilly Akcadag in der 26. Schwangerschaftswoche zur Welt. Auf ihrem Instagram-Account erzählt ihre Mama, die Stuttgarterin Sarah Akcadag, von der Extremfrühgeburt und der Zeit danach.

Corona-Impfstreit in Baden-Württemberg Land verspricht: Teil der Polizei soll schnell geimpft werden
Muss die Polizei beim Impfen hinten anstehen, nachdem Lehrer und Erzieher vorgezogen wurden? Einem Interessenvertreter platzt deswegen nun der Kragen. Das Land sucht nach einer Lösung.

Mobbing-Vorwürfe an Stuttgarter Gymnasium Schülerin provoziert mit Fernsehauftritt
Mit Verwunderung nimmt man in und außerhalb der Schulgemeinschaft des Stuttgarter Schickhardt-Gymnasiums zur Kenntnis, dass eine Zwölftklässlerin nun auch in Fernsehbeiträgen über ihre Schule und den Rektor herzieht. Und es passiert: nichts.

Prozess um Frauenmord vor 25 Jahren Die Nagelprobe belastet den Mordverdächtigen
Im Cold-Case-Prozess um den gewaltsamen Tod einer 35-Jährigen 1995 in Sindelfingen zeigt sich, dass das Opfer den Täter womöglich gekratzt hat – und das könnte ihm nun zum Verhängnis werden.

Kandidat fordert öffentliche Verhandlung OB-Wahl in Stuttgart vor Gericht
Der klagende Bewerber Marco Völker fordert eine öffentliche Verhandlung und die Ladung von Mitgliedern des Nopper-Wahlvereins als Zeugen.