Seit Wochen bebt an der spanischen Mittelmeerküste die Erde. Man vermutet, dass ein Erdgasspeicher unter dem Meeresgrund der Auslöser sein könnte.

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Madrid - Vor den Menschen haben es die Tiere bemerkt. „Vor einigen Tagen begannen die Hunde pausenlos zu bellen und an den Türen zu kratzen, um ins Haus gelassen zu werden“, berichtet eine Bewohnerin von Vinaròs. In der Kleinstadt an der spanischen Mittelmeerküste im Norden der Provinz Castellón bebt seit einem Monat die Erde. Seismografen registrierten am 8. September die ersten Stöße, die noch niemandem den Schlaf raubten. Doch seitdem hat es in der Gegend mehr als 400 Mal mit zunehmender Stärke gebebt. Am vergangenen Mittwoch wurde ein Erdstoß der Stärke 4,2 verzeichnet – und den bekamen auch die Menschen zu spüren. „Die Leute sind verängstigt“, erzählt eine andere Frau aus Vinaròs. „Regale fallen um. Man spürt die Beben immer mehr.“

 

Die Menschen in Castellón und in der Nachbarprovinz Tarragona sind wütend. Denn viele sind überzeugt, dass die Beben keinen natürlichen Ursprung haben. Ihre Wut richtet sich gegen ein Projekt namens Castor, einen Gasspeicher unter dem Meeresgrund wenige Kilometer vor der Küste. Am Sonntag demonstrierten gegen Castor etwa 4000 Menschen in Les Cases d’Alcanar, einem Nachbarort von Vinaròs.

Castor soll ein Erdgasspeicher werden, wie es Hunderte davon in der Welt gibt. Zwischen 1973 und 1998 wurde in der Nähe des Ebro-Deltas im Mittelmeer Erdöl gefördert. Das ausgebeutete Lager würde sich heute gut für die Aufnahme von Erdgas eignen. Ein solcher Speicher ist ein wichtiger Puffer, um Angebot und Nachfrage nach Gas auszugleichen. Spanien bezieht sein Erdgas zum großen Teil aus Algerien. Nicht immer wird die Menge angeliefert, die gerade benötigt wird. Im Castor-Speicher könnte der gesamte Gasbedarf Spaniens von 17 Tagen zwischengelagert werden.

Kein seismologisches Gutachten

Das Projekt erhielt 2009 seinen Segen von der damaligen Regierung. Die Umweltverträglichkeitsprüfung fiel zu Gunsten des Vorhabens aus. Doch zu den Zulassungsbedingungen gehörte kein seismologischen Gutachten. Die katalanische Regionalregierung machte im Vorfeld darauf aufmerksam, dass die Möglichkeit geprüft werden müsse, ob das Auffüllen der alten Lagerstätte mit Gas Erdbeben auslösen könne. „Das war nicht Vorschrift“, sagt der katalanische Regionalminister Santi Vila. Aber Tatsache sei: „Es wurde nicht gemacht.“

Die Betreibergesellschaft von Castor, Escal UGS, beteuert, ein solches Gutachten auf eigene Verantwortung in Auftrag gegeben zu haben – mit dem Ergebnis, dass keine Gefahr von Castor ausgehe. „Wir haben 500 Kilo Berichte vorbereitet“, sagt der Escal-Chef Recaredo del Potro. Das mag stimmen oder nicht. Jetzt bebt die Erde.

Escal-UGS, eine Tochter des Baukonzerns ACS, begann im Juni, das alte Erdöllager in drei Schüben probeweise mit Gas aufzufüllen. Im September begannen die Beben. Der Projektleiter klingt noch immer überrascht, wenn er von den Erdstößen spricht. Der „winzige Eingriff“ an der Lagerstätte habe „nichts mit dem Ausmaß dessen zu tun, was gerade geschieht“. Das sei etwas anderes. „Dass wir das ausgelöst haben, ist eine Möglichkeit.“

Noch ist es zu früh, um einen Zusammenhang zwischen dem Auffüllen des Speichers und den Erdstößen zu belegen. Für alle Fälle hat der Industrieminister alle Arbeiten am Castor stoppen lassen. Seit dem bisher schwersten Erdstoß am Mittwoch haben die Beben nachgelassen. Sollte sich bei weiteren Untersuchungen bestätigen, dass der Gasspeicher das Ebro-Delta zum Erdbebengebiet gemacht hat, dürfte das Projekt Castor gestorben sein. Eine 1,3 Milliarden Euro teure Investition.