Vor zwei Jahren ist die Mahnwache gegen Stuttgart 21 gegründet worden. Am Samstag wurde gefeiert. Doch was motiviert die Aktivisten, auch heute noch gegen das Bahnprojekt zu demonstrieren?

Stuttgart - Die vergangenen zwei Jahre haben das Leben der beiden Frauen verändert. Sabine Schmidt und Antje Küster sind von Anfang an dabei gewesen, sie haben die Mahnwache des Widerstands gegen Stuttgart 21 mit gegründet, in jenen heißen Tagen, als die Bahn im Juli 2010 die ersten Steine am Nordflügel des Bonatzbaus abreißen ließ. „Mein Privatleben hat am Anfang gar nicht mehr stattgefunden“, erinnert sich Sabine Schmidt. Als die Bagger kamen, stand sie täglich bis zu fünf Stunden an der Mahnwache.

 

Der Widerstand hat den Alltag von Sabine Schmidt und Antje Küster durchgeschüttelt. Schmidt, 51, arbeitet selbstständig im Sozialbereich – über anderthalb Jahre hinweg reduzierte sie jedoch auf 70 Prozent, verzichtete auf Patienten und auf einen Teil ihres Einkommens. Die politische Arbeit verschlang nicht nur 30 Prozent ihres Arbeitsalltags, sondern auch fast die gesamte Freizeit. „Wie organisiere ich den Dienstplan an der Mahnwache? Wer hält den Kontakt zu den einzelnen Widerstandsgruppen?“ Für Sabine Schmidt und Antje Küster ist die politische Arbeit auch ein Crashkurs im Organisationsmanagement gewesen.

Widerstand als Familienangelegenheit

Keine der beiden Frauen hat wohl anfangs geahnt, dass der Stand der Mahnwache zwei Jahre bestehen würde – am Samstag hat der Widerstand diesen Jahrestag auf der Wiese vor dem Schauspielhaus gefeiert. „Auch wegen meines Engagements sind meine Kinder schneller selbstständig geworden“, erzählt Antje Küster. Für die Lehrerin aus dem Heusteigviertel ist der Widerstand eine Familienangelegenheit geworden. „Meine Kinder haben sich lange mit den Argumenten für oder gegen den neuen Bahnhof auseinandergesetzt – inzwischen sagen sie mir aber auch, dass wir als Familie gerne mal wieder andere Dinge machen können.“

Sabine Schmidt kennt jene Phasen, in denen der Kampf gegen den Tiefbahnhof zu einem Kampf gegen den inneren Schweinehund wurde. Zwei Jahre können lang sein. „Ich hatte zwischendurch massive Erschöpfungserscheinungen“, erzählt die Heslacherin, „aber mir war immer klar, dass ich weitermachen würde.“ Der Widerstand duldet keine Pause: Die Mahnwache ist täglich geöffnet, 24 Stunden – was auch damit zu tun hat, dass das Zelt nicht abgeschlossen werden kann und auch nachts um drei immer mal wieder Menschen kommen, die sich auch um diese Uhrzeit für Politik interessieren. Oder dafür, dass ihnen jemand zuhört.

Hungrig nach Informationen

Im Laufe der Jahre hat sich die Mahnwache verändert. Anfangs war sie die Anlaufstelle am Nordausgang des Bahnhofs, der ein erster Brennpunkt der Auseinandersetzung war, längst ist sie umgezogen. Nun verteilen die Aktivisten ihre Flugblätter am Arnulf-Klett-Platz unweit des Crêpes-Standes. Die Menschen sind hungrig – nach jenen Informationen, die in den Augen von Sabine Schmidt und Antje Küster die Wahrheit transportieren. Und das ist für sie all jenes, das belegt, dass der Tiefbahnhof ein von politischen und wirtschaftlichen Interessen getriebenes Projekt ist, bei dem die Bürger getäuscht und belogen würden.

„Ich frage mich eigentlich gar nicht nach meiner Motivation, warum ich mich engagiere. Die ist einfach da“, erzählt Sabine Schmidt, die in einem eher unpolitischen Elternhaus aufgewachsen ist. Und obwohl in ihrem persönlichen Umfeld fast alle den Tiefbahnhof ablehnen, erlebt sie Momente, in denen das Verständnis für ihren Widerstand auch an Grenzen stößt: Manchmal kann ihr Vater kaum glauben, dass auch nach dem Bürgerentscheid für seine Tochter der Widerstand ungebrochen weiter geht: „Was? Ihr steht immer noch in diesem Zelt herum?“

Rund 150 Menschen engagieren sich

Inzwischen ist die Mahnwache jedoch längst ein Projekt geworden, dessen Last sich auf viele Schultern verteilt. „Derzeit wechseln sich rund 150 Leute ab, die Dienste machen“, sagt Sabine Schmidt. „Architekten, Hausfrauen, Bauingenieure, viele Leute aus sozialen Berufen“ – die 51-Jährige legt Wert daraut, dass sich der Widerstand aus allen gesellschaftlichen Gruppen zusammensetzt. „Tagsüber sind viele Rentner am Stand, das versteht sich von selbst.“

Die beiden Frauen der ersten Stunde stehen immer mal wieder am Stand der Mahnwache – jedoch längst nicht mehr so oft und so lange wie am Anfang. „Wir sind beim Organisieren viel besser geworden“, sagt Antje Küster. „Ich arbeite täglich drei bis vier Stunden am PC, bin also auch im Hintergrund tätig“, sagt Sabine Schmidt. Beiden geht es dabei auch, aber nicht nur um Stuttgart 21. Antje Küster redet darüber, dass „Wertmaßstäbe in die Politik zurückkehren müssten“. Dass viele Stuttgarter ihre Ansichten nicht teilen, erfahren sie, wenn sie an der Mahnwache Dienst haben. „Wir werden immer mal wieder als dumm und rückständig beschimpft“, sagt Sabine Schmidt. Doch die Mahnwache hat ihrer Meinung nach Zukunft, die letzten Kapitel des Widerstands gegen Stuttgart 21 seien noch nicht geschrieben.