Abtreibungsgegner wollen in Stuttgart 40 Tage lang eine Mahnwache organisieren. Die Stadt hat dafür einige Auflagen gemacht. Die Mehrheit der Landtagsfraktionen fordert von Berlin eine Regelung gegen „Gehsteigbelästigungen“.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Nach Aktionen in Pforzheim macht eine Gruppe von Abtreibungsgegnern nun auch in Stuttgart mobil. Bei der Stadt haben die christlichen Aktivisten eine 40-tägige Mahnwache im Umfeld eines OP-Zentrums in der Innenstadt angemeldet. Am Mittwochabend war eine erste Zusammenkunft der Abtreibungsgegner angekündigt, bei der diese mit Gebeten ihre Ablehnung von Schwangerschaftsabbrüchen kundtun. In Pforzheim hat die Gruppe ihre Mahnwache vor der Beratungsstelle von Pro Familia wiederaufgenommen. Eine breite Mehrheit im Sozialausschuss des Landtags hat am Mittwoch deshalb den Bund aufgefordert, endlich die im Koalitionsvertrag angekündigte Regelung zur Verhinderung solcher „Gehsteigbelästigungen“ umzusetzen.

 

Die in der Region ansässige Gruppe von Abtreibungsgegnern knüpft mit ihren Mahnwachen an die US-amerikanische Initiative 40 Days for Life an. Diese hatte 2004 im texanischen Bryan die erste 40-tägige Gebetsaktion zur Schließung eines medizinischen Zentrums gemacht und in einigen Bundesstaaten Nachahmer gefunden. Auch in Deutschland sind inzwischen solche Aktivisten aufgetreten, etwa in Frankfurt am Main, München, Passau und Pforzheim.

Der geforderte Abstand reicht nicht

In Stuttgart haben die Abtreibungsgegner, die sich auf Anfrage nicht zu ihren Absichten äußern wollten, von der Stadt einige Auflagen erhalten. So dürfen sie sich nur auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Praxisklinik aufhalten, in der neben vielen anderen operativen Eingriffen auch Schwangerschaftsabbrüche gemacht werden. Die Mahnwachen dürften auch nur „ein bis zwei Stunden“ dauern, überdies „ohne Plakate und lautverstärkende Mittel“, wie Landessozialminister Manfred Lucha (Grüne) am Mittwoch im Sozialausschuss das Vorgehen der Landeshauptstadt erläuterte. Er wollte damit gegenüber einigen Fraktionen auch deutlich machen, dass das Land mit der Stadt „Gehwegbelästigungen zuverlässig unterbinden wird“.

Mehr Abstand der Demonstranten von dem OP-Zentrum sei nach dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Mannheim vom August aber derzeit nicht möglich. Die Stadt Pforzheim hatte 2019 verfügt, dass die Versammlung während der Öffnungszeiten von Pro Familia, wo auch Schwangerschaftskonfliktberatung gemacht wird, nur außerhalb der direkten Sicht zum Gebäudeeingang stattfinden durfte. Dieser Erlass wurde zunächst vom Verwaltungsgericht Karlsruhe bestätigt, vom Verwaltungsgerichtshof nun aber kassiert. Der VGH ist der Auffassung, dass die Auflagen nur möglich wären, wenn die Versammlung die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet hätte. Dies sei nicht der Fall. Zwar könne das Persönlichkeitsrecht der Frauen, die eine Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle aufsuchten, durch eine Kundgebung von Abtreibungsgegnern betroffen sein. Jedoch führe nicht jeder Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der schwangeren Frauen zu einer Verletzung desselben, so der VGH.

Zu wenige Ärzte, die Abbrüche machen

Manfred Lucha betonte, dass die Frauen weder physisch noch psychisch bedrängt werden dürften. Der Minister begrüßte, dass Pforzheim das Urteil des VGH gerichtlich „überprüfen will“. Vor dem Hintergrund einer sinkenden Zahl von Ärztinnen und Ärzten im Land, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, sei er allen Medizinern „dankbar, die den Frauen im Konfliktfall helfen“.

Der Landesverband von Pro Familia beklagt nicht nur, dass Aktionen wie die in Stuttgart und Pforzheim „bundesweit zunehmen“, so die Landesgeschäftsführerin Gudrun Christ. Die Zahl der Mediziner, die Abbrüche machen, habe „dramatisch abgenommen“. Die Versorgungslage habe sich deutlich verschlechtert. Nach einer Erhebung von Pro Familia von 2018 haben schon vor vier Jahren nur rund 60 von 1600 Gynäkologen im Land Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen, nehme man die elf Kliniken dazu, die auch Abbrüche ohne medizinische Indikation machen, seien es nur etwa 100 insgesamt, betonte Gudrun Christ.

Angst vor einem Rollback

Die SPD-Abgeordnete Dorothea Kliche-Behnke erklärte, angesichts der Entwicklung in den USA und in einigen EU-Ländern „fürchten wir einen Rollback, dass hart umkämpfte Rechte wieder fallen“. Kliche-Behnke forderte, solche Mahnwachen dürften angesichts der Ausnahmesituation, in der sich die Frauen befänden, „nicht in Hör- und Sehweite stattfinden“. Auch der FDP-Abgeordnete Nicolai Reith ist für mehr Abstand in solchen Fällen. „Die andere Straßenseite reicht nicht, das führt definitiv zu psychischem Druck.“ Die Grünen-Abgeordnete Stefanie Seemann hat das in Pforzheim aus eigener Anschauung erlebt, auch diese Situation bedeute eine „zusätzliche Beeinträchtigung“ für die Frauen. Die CDU-Abgeordnete Isabell Huber plädierte ebenfalls dafür, dass die Berliner Koalition die angekündigte Regelung im Schwangerschaftskonfliktgesetz umsetze, ein „störungsfreier Zugang“ zu den Hilfen müsse möglich sein. „Das wäre ein wichtiger Schritt für die Frauen.“