Die uralten Baumriesen in Malawi sind bedroht. Dabei sind ihre Früchte so begehrt wie noch nie. Ein Projekt der Welthungerhilfe unterstützt die Sammlerinnen und Sammler.

Mangochi - Tiefschwarz ist die Wunde, ein klaffendes Loch, das stinkt. „Er wird es nicht schaffen“, sagt Adija Foloko und blickt in den aufgerissenen Hohlraum. Das könne nicht mehr heilen, zu groß ist die Verletzung im Innersten des Riesen. „Man müsste sie bestrafen“, sagt die Bäuerin verärgert, sie trägt rosa Plastikschlappen und einen Wickelrock, die Zähne sind ihr bis auf zwei Stumpen ausgefallen. „Nur kriegen tun wir die Mörder nicht.“

 

Mit ihren eineinhalb gebückten Metern wirkt Adija Foloko vor dem Baobab wie eine Ameise vor einem Achttausender. Eine Bäuerin und ihr Baum, über Jahrzehnte eine Erfolgsgeschichte. Sie leben in einem Land, das zu den ärmsten der Welt zählt und seine Menschen zu den warmherzigsten: Malawi im Südosten Afrikas. Der Baobab, der Affenbrotbaum, schenkt der Bäuerin alles, was sie braucht: Schösslinge, die gekocht wie Spinat schmecken. Samtige Früchte, deren getrocknetes Fruchtfleisch als nahrhaftes Allheilmittel gepriesen wird.

Und vor allem Schutz: Wenn im Dorf ein Unglück passiert, wenn jemand bei einem Unfall stirbt oder ein Kind tot geboren wird, müssen sie die Geister versöhnen. Dann stellten sie eine Schale Maisbrei, ein bisschen Bier als Opfergabe an den Stamm, erzählt Adija Foloko und lacht ihr zahnloses Lachen. Früher hätten das alle gewusst. Ihre Enkel aber kümmerten sich nicht darum und würden nur Maisbrei essen, nichts anderes. Ein Fehler. In diesen modernen Zeiten, ginge das Wissen der Vorfahren verloren und mit ihnen die Bäume.

Das Sterben der Baobab hat erst angefangen. 2000 Jahre und mehr werden die ältesten Bäume Afrikas, die aussehen, als seien sie falsch herum gepflanzt worden. Wie Wurzeln ragen die Äste in den Himmel, wild und ungestüm, ein Dach über dem wulstigen Stamm. Baobab sind die Giganten unter den Bäumen, die hölzernen Elefanten, und wenn sie sprechen könnten, würden wir viel von ihnen lernen. Doch ihre Zukunft ist ungewiss. Sie müssen Elektrizitätsleitungen und Straßen weichen, Dörfern und Hotels. Der Klimawandel setzt ihnen zu, die Trockenheit. Ein Pilz geht ihnen an die Rinde. Wie rumänische Forscher entdeckt haben, sind neun der 13 ältesten und fünf der sechs größten Affenbrotbäume in Afrika in den letzten zwölf Jahren abgestorben. Die Ursachen sind vielfältig, die Wissenschaftler am Rätseln.

Es war ein Zyklon, der eine unheilvolle Kettenreaktion auslöste. „Die Winde werden immer wütender“, sagt Adija Foloko. Sie wohnt mit ihrer Großfamilie eine Autostunde entfernt vom südlichen Zipfel des Malawisees, ein Dorf im Mangochi-Distrikt namens Chilonga, umgeben von roter Erde und Maisfeldern, die vom Starkregen regelmäßig überschwemmt werden. Der Sturm habe dem Baum einen Ast abgerissen und einen Hohlraum freigegeben, erinnert sich Foloko. Im Baum zogen wilde Bienen ein, ihr Honig lockte Diebe an. Sie legten ein Feuer, um die Bienen zu vertreiben. Der Brand geriet außer Kontrolle, verkokelte den Bauch des Baumes. „Wenigstens brennt er schlecht“, sagt Foloko, schwammig und feucht sei das Holz, zum Feuermachen und Bauen ungeeignet. Hunderte Liter Wasser kann der Stamm speichern, ideal in Zeiten der Klimawandels.

„Sein Tod ist eine Katastrophe, er ernährt uns“, sagt Foloko und ignoriert die Fliege, die sich auf ihr halbgeschlossenes Augenlid setzt. Sie kann viele Geschichten erzählen, über ihre neun Kinder, über den Ärger mit den hungrigen Affen und den noch größeren Ärger mit den Behörden, die nicht genügend Dünger zur Verfügung stellten. Dabei sei die letzte Maisernte schlecht gewesen. Wie alt sie ist, das weiß sie nicht. „Die Baobab waren schon da, als ich geboren wurde“, sagt sie mit einem Schmunzeln und marschiert an den Maisfeldern entlang zurück in ihr Häuschen aus Lehmziegeln, gefolgt von einer Schleppe an Enkelkindern. Seit ein paar Jahren würden sie im Dorf gut bezahlt für die Früchte des Baobab, sie seien begehrt wie noch nie.

Das Baobabpulver ist längst in deutschen Biomärkten angekommen. Wie die roten Goji-Beeren oder Produkte der Moringapflanze wird es als Superfood beworben und teuer verkauft. Es entgiftet, hat um ein Vielfaches mehr Vitamin C als eine Zitrone und hilft gegen fast alles, heißt es im Kleingedruckten. Ein Esslöffel am Tag, schön säuerlich, stärke die Abwehrkräfte.

Ein Schlag mit der Machete und die Wunderfrucht bricht in der Mitte auf. „Du musst geübt sein, sonst kannst du das nicht“, sagt Esther Kathumba, eine Frau mit Kräften wie ein Waldarbeiter und einer Bluse so bunt gemustert, dass schon ihr Anblick beschwingt. Sie holt noch einmal aus. Die Klinge landet krachend auf einem Holzbrett, die Frucht ist halbiert, Kathumba strahlt. In der Hochsaison machen sie das im Dorf säckeweise, einer hackt, die anderen pulen das Fruchtfleisch aus der grünlichen Schale, bis die Finger so schmerzen, dass sie aufhören müssen. „Das Geschäft mit dem Baobab hat alles verbessert“, sagt die 53-Jährige. Sie ist geschieden, Mutter von vier Kindern, von denen drei noch bei ihr im Dorf Makokola wohnen. Sie besitzt sechs Ziegen, 14 Tauben und das wichtigste: 39 Baobab-Bäume wachsen auf ihrem Land. Das macht sie reich, zumindest in Malawi, wo die Menschen im Schnitt von weniger als einem Dollar am Tag leben.

„Vor zehn Jahren hatte ich alle Mühe, die Schulgebühren zu zahlen“, sagt Kathumba, jetzt kann sie sich Wellblech fürs Dach leisten und hat mit einem einfachen Neubau begonnen. 270 Euro hat sie letzte Saison durch die Früchte verdient. Aufgekauft wird ihre Ernte von der kleinen malawischen Organisation Zankhalango, die von der Welthungerhilfe Unterstützung erhält. Es gibt Schulungen für die Sammler und Sammlerinnen, Lagerplatz wird angemietet und Arbeitsmaterial gestellt. Das Pulver wird weiterverarbeitet zu einem Saft, der von einer Start-Up-Unternehmerin erfolgreich vermarktet wird und es in die Regale größerer Supermärkte geschafft hat. Statt Coca Cola wird im Land produzierter Saft getrunken, ein Novum für Malawi.

Ihre Arme sind zu kurz. So weit Kathumba sie auch ausstreckt, ihren Oberkörper an die faltige Rinde presst, sie kann nur einen Bruchteil des Stammes umklammern. „Um einen Baobab zu umarmen braucht es ein halbes Dorf“, sagt die Bäuerin und hat Spaß dabei, ihren Baum zu vermessen. Sie klopft an den Stamm, der bald 20 Meter in die Höhe wächst, hört den dumpfen Widerhall, stolpert beinahe über die weitläufigen Wurzel, die ihr Fallen stellen. „Es gab in dieser Gegend viel mehr Baobab“, sagt Kathumba, aber die Nachbarn hätten sie wegen des Farmlands abgeholzt. Kein Verständnis hat sie für all jene, die beim Ernten der Früchte, Äste abreißen, für manche Bäume ein Todesurteil. Sie warte auf den Wind, der die Früchte abschüttelt, oder bezahle Kletterer, die sich hinaufwagten in die Krone. „Es gibt etliche Bäume, die keine oder kaum mehr Früchte mehr tragen“, sagt Kathumba. Ob das am Klimawandel liege oder an einer Baumkrankheit, sie wisse es nicht.

Der Retter der Bäume hat es schwer. Ihm fehlt es an Personal, Geld und Verständnis in der Bevölkerung. „Ich bin ehrlich“, sagt Leonard Kamangadazi, „wir schaffen es nicht, die Entwaldung zu stoppen.“ Ein Großteil des Holzes werde zum Kochen verfeuert, weil die Leute nichts anderes hätten. Der Rest lande in illegalen Meilern, wo sie zu Holzkohle verarbeitet würden. Der Chef der Forstbehörde des Mangochi Distrikts sitzt in seinem klimatisierten Büro und jongliert mit Zahlen, die schlimmer nicht sein könnten. Kaum ein Land weltweit schafft seinen Wald so radikal ab wie Malawi, jedes Jahr fallen knapp drei Prozent der Bäume. „Unsere Aufgabe ist riesig, unsere Ressourcen sind es nicht.“

Die Wälder seien am Verschwinden, und mit ihnen die Baobab, prognostiziert der 55-jährige Forstwissenschaftler und hat beobachtet, dass die uralten Bäume immer weniger Früchte tragen. Gerne würde er sie schützen, wie all die anderen Bäume auch, nur habe er seit zehn Jahren keine neuen Mitarbeiter einstellen dürfen. „Wir müssen Setzlinge pflanzen, sie pflegen – und vor allem brauchen wir alternative Energiequellen im Land.“ Die Wasserkraftwerke des Flusses Shire reichten bei weitem nicht aus, immer wieder falle der Strom aus. „Ich bin optimistisch, dass sich in der Politik etwas bewegt“, sagt Kamangadazi und hat selbst Ärger in seiner Behörde. Einige seiner Mitarbeiter haben sich bestechen lassen, damit sie wegschauen, wenn illegal gefällt wird. Auch das müsse aufhören, sagt der Behördenchef und hofft, wenigstens die Korruption beenden zu können.