Die Jüngsten schwingen schon mit viereinhalb Jahren den Pinsel. Seit 1972 lässt die Jugendkunstschule in Stuttgart Kinder mit Farben und Formen spielen. Im Kulturareal unterm Turm können sie Kunstkurse besuchen oder in Projektarbeiten eintauchen. Ursula Thiele-Zoll, die Leiterin der Einrichtung, erklärt, worauf es beim Malen ankommt.

 

Frau Thiele-Zoll, kann man Malen überhaupt lernen?
Man kann zumindest in die Materie hineinkommen. Das gelingt am besten über das Experiment mit verschiedenen Materialien und Farben: Die Kinder sollen sich zum Beispiel Weiß plus die Grundfarben nehmen und dann das Ganze mal über das Papier bewegen. Dann mischen sich die Farben, es gibt bunte Bänder. Das ist ein aufregendes Erlebnis mit einem sehr schönen Ergebnis. So kann man den Kindern zeigen, was mit den Farben alles zu machen ist, bevor man sie gleich ein Thema zeichnen lässt.

Im Kindergarten oder in der Schule müssen die Kinder, wenn es ans Malen geht, oft etwas ganz Konkretes, etwa ihre Familie malen.
Das ist tödlich. Zum Abgewöhnen. Sie müssen die Kinder doch begeistern. Und Malen hat ja was mit Farbe zu tun. Also müssen die Kinder die Farbe erst einmal erleben. Was ist denn eigentlich Farbe? Und was macht die Farbe mit sich und mit den anderen, und wie sieht das aus?

Den Satz „Mal doch mal . . .“ finden Sie dann vermutlich nicht so motivierend.
Was soll das, zu sagen „Mal mal den Papa“? Was verspricht man sich davon? Die Kinder werden schon selber eine Idee haben. Sie sollen nicht immer nur Vorgaben bekommen und reproduzieren, was sich andere ausgedacht haben. Am Ende malen die Kinder ohnehin ihre Lebenswelt, das ist ja klar. Aber sie sollen bitteschön von alleine drauf kommen. Kinder fangen mit Kopffüßlern und solchen Sachen an. Das soll man sie auch machen lassen und nicht darin herumfuhrwerken und sagen: „Jetzt machst du noch dies und dann noch das.“

Egal, was Kinder malen, alles ist schön?
Heute sind Kinder quasi Superhelden. Alles, was sie machen, ist ganz toll. Kinder müssen sich gar nicht mehr anstrengen. Und so formulieren sie das auch in meinen Kursen. Sie rotzen irgendetwas hin, und wenn man dann sagt: „Wie alt bist du eigentlich? Was du da gemalt hast, das hast du doch schon im Kindergarten gekonnt“, antworten sie: „Ach, ist doch egal, Papa und Mama finden es eh schön.“ Das ist fatal. Kinder brauchen natürlich Bestätigung. Aber wenn sie merken, dass man alles gut findet, was sie machen, ist das ja keine Bestätigung mehr. Dann nimmt man die Kinder auch als Persönlichkeit nicht ernst. Einem Erwachsenen, der Mist macht, würde man ja auch nicht sagen: „Das ist super, du bist ein Held.“

Kann man das Malen denn üben wie ein Instrument oder trainieren wie eine Sportart?
Sicher kann man Malen lernen, und man kann auch Fortschritte machen. Die einen sind darin begabter als die anderen. Aber die Kinder von Anfang an zu drillen, das wäre ja geisttötend.

Wie zeigt sich Talent ?
Man kann schon sehen, ob ein Kind genau hingucken und die Dinge erkennen kann. Wenn ich etwa einem Kind erkläre: „Schau mal, da geht doch die Form so und so“, und es springt sofort drauf an und begreift, was ich meine, das hat dann schon etwas mit Begabung zu tun.

Wie fördert man ein begabtes Kind? Sollte es mindestens dreimal in der Woche zu Ihnen in den Kurs kommen?
Dreimal die Woche? Um Gottes willen! Kinder brauchen doch auch mal Zeit für andere Dinge. Die werden doch sowieso schon völlig verplant. Einmal die Woche zwei Stunden, das reicht vollkommen.

In vielen Familien heißt es heute, die Kinder sollen ein Instrument lernen und eine Sportart betreiben. Wann bleibt da noch Zeit für einen Malkurs?
Da sprechen Sie schon ein Problem an. Musik steht in der Bevölkerung ganz hoch im Kurs. Die Bildende Kunst dagegen zählt nicht so viel. Musik wird kräftig gefördert, die Bildende Kunst hängt ziemlich hinten dran. Dabei ist der Spielraum, eigenschöpferisch tätig zu werden, in der Musik relativ gering – verglichen mit der Bildenden Kunst.

Können Sie das etwas näher erklären?
In der Jugendkunstschule geht es nicht darum, irgendwelche Techniken zu lernen. Wir wollen bei Kindern vor allem die Fähigkeit fördern, in sich hineinhorchen zu können und zu merken, was denn jetzt gut und wichtig für sie ist, und was sie überhaupt formulieren wollen. Bei uns sollen die Kinder entscheiden lernen und nicht vorgesetzt bekommen: „Du musst jetzt eine Katze genau so malen, wie eine Katze aussieht“. Wir brauchen ja für unsere Gesellschaft mutige, fantasievolle und schöpferische Menschen. Für das Leben der Kinder ist es auch wichtig, dass sie diese Kreativität entwickeln. Und die wiederum lassen sich mit der Bildenden Kunst einfach gut fördern.