MAN versprach dem Bushersteller Neoplan bei der Übernahme eine sichere Zukunft. Doch fast alle Werke sind mittlerweile verkauft oder geschlossen worden.

Stuttgart - Vor 14 Jahren war es die größte Überraschung auf der Internationalen Automobil-Ausstellung: Der Münchner MAN-Konzern kündigte zum Auftakt der wichtigsten Nutzfahrzeugschau der Welt die Übernahme des traditionsreichen schwäbischen Busherstellers Auwärter an. Für die Betriebsräte des Stuttgarter Familienunternehmens – besser bekannt unter dem Markennamen Neoplan – war es ein Schock. Die 2000 Mitarbeiter machten sich Sorgen um ihren Job. Erst wenige Tage zuvor hatte der neue Neoplan-Chef Gottfried Mahn in einem Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung noch wortreich erläutert, wie der Busbauer unter seiner Führung den Marktanteil in Europa verdoppeln wolle. All dies war nun Makulatur. Der damalige MAN-Nutzfahrzeugchef Hakan Samuelsson versuchte die Sorgen der Mitarbeiter zu zerstreuen. „Durch die Fusion kann die Zukunft von Neoplan dauerhaft gesichert werden. Dies wäre im Alleingang schwierig gewesen“, versicherte der Schwede im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung.

 

Es waren leere Versprechungen. Die Fabrik in Berlin wurde schon kurz nach der Übernahme aufgegeben, der Standort im niederbayerischen Pilsting wurde vom Busbauer Viseon übernommen, der dann pleiteging. Das Neoplan-Werk im thüringischen Ehrenhain ging an einen mittelständischen bayerischen Bushersteller, der wiederum von einem russischen Maschinenbaukonzern geschluckt wurde; das Stuttgarter Stammwerk, in dem die Topmodelle gefertigt wurden, ist längst abgerissen worden; dort hält ein kleines Museum die Firmengeschichte lebendig.

Nur der vehemente Widerstand der Belegschaft, der Lokalpolitiker und der Betriebsräte des VW-Konzerns, zu dem MAN heute gehört, verhinderte in diesem Jahr die Schließung des letzten Werks in Plauen. Heraus kam ein fragwürdiger Kompromiss. Die Produktion der bisher dort gefertigten Neoplan-Busse wird im nächsten Jahr nach Ankara verlagert. Aus Plauen wird dann ein „Bus Modification Center“, wie es beim Münchner Konzern neudeutsch heißt. Nur 140 der früher 470 Mitarbeiter sollen im Vogtland Sonderausstattungen in Busse einbauen, wie etwa in Mannschaftsbusse für die Fußballer von Bayern München und Paris Saint Germain. Der MAN-Konzern produziert künftig Busse nur noch in Polen, in der Türkei sowie in Südafrika. Insgesamt sind in der Bussparte derzeit rund 4900 Mitarbeiter beschäftigt. Im ersten Halbjahr schrieb die Bussparte rote Zahlen.

Obwohl die Neoplan-Werke untergegangen sind, wertet MAN die Neoplan-Übernahme als Erfolg. „Neoplan ergänzt als Premiummarke das Produktportfolio mit Luxus-Reisebussen, die ein Höchstmaß an Komfort und Sicherheit bieten“, teilt das Unternehmen mit. „Das ist eine Katastrophe“, entfährt es dagegen Konrad Auwärter, als er darauf angesprochen wird, dass in wenig mehr als zehn Jahren fast alles abgerissen wurde, was die schwäbische Unternehmerfamilie seit 1935 aufgebaut hatte. Als geschäftsführender Gesellschafter baute Konrad Auwärter Anfang der siebziger Jahre das Werk in Pilsting auf, wo heute auch sein Lebensmittelpunkt ist. Später übernahm er zusätzlich die Leitung des Berliner Werks.

Der 74-Jährige wirft MAN schwere Fehler vor. Das schwäbische Unternehmen sei vor der Übernahme mittelständisch geprägt gewesen, geführt von Mitgliedern der Familie mit kleinem Stab, mit flachen Hierarchien, erfahrenen Meistern und Werkleitern, die die Nähe zu Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten gepflegt hätten. „Offensichtlich hat der Übergang von dem industriemäßig geführten Handwerksbetrieb zu der Industriekultur von MAN nicht geklappt“, resümiert Auwärter.

Nach dem Zweiten Weltkrieg stellten mehr als ein Dutzend Unternehmen Busse in Deutschland her. Nach dem Niedergang der Neoplan-Fabriken produziert nur noch die Daimler-Tochter Evobus komplette Busse in Deutschland. Auch Evobus entstand aus der Fusion eines mittelständisch geprägten Familienbetriebs mit einem Konzern: Vor 20 Jahren kündigte Daimler die Übernahme des Ulmer Unternehmens Kässbohrer an, dessen Busse den Markennamen Setra tragen. Sowohl Kässbohrer als auch der Daimler-Konzern haben eine lange Tradition im Busbau. Am 18. März 1895 startete der von Karl Benz produzierte erste motorisierte Linien-Omnibus der Welt von Siegen ins 15 Kilometer entfernte Deuz. In Ulm wurde 1911 die erste Omnibuslinie mit dem „Wiblinger Auto“ von Karl Kässbohrer eröffnet.

Beide Unternehmen entwickelten im Laufe der Jahrzehnte indes unterschiedliche Stärken. Während Mercedes-Benz vor allem Linienbusse produzierte und oft damit rote Zahlen, war der Reisebus die Domäne von Setra. Als 1994 die Verträge mit dem in Finanznöten steckenden Anbieter Kässbohrer unterschrieben waren, ließ sich der damalige Mercedes-Chef Helmut Werner zu einem starken Spruch hinreißen. Mit dem Zusammenschluss, so Werner, entstehe ein „Kraftpaket“, das in der Buswelt Zeichen setzen und sich hervorragend entwickeln werde.

Hohe Einsparungen sollte der Aufbau einer Verbundfertigung bringen. In Mannheim findet seither der Rohbau für sämtliche Busse beider Marken statt. Die Lackierung ist dagegen in Neu-Ulm konzentriert. Bei der Montage konzentriert sich Mannheim auf Stadtbusse und Überlandbusse für den Linienverkehr, während in Neu-Ulm sowohl diese als auch die Reisebusse montiert werden. Zusätzliche Kostenvorteile bringt eine Mischkalkulation durch die Produktion von Rohbaukomponenten in einem tschechischen Werk sowie eine Busfabrik in der Türkei. Der Vertrieb blieb dagegen auch nach der Fusion strikt getrennt. Die zwei Marken sollten „gleichwertige und gleichberechtigte Bestandteile“ des Unternehmens sein, versprach der erste Evobus-Chef Wolfgang Diez.

Diese Zwei-Marken-Strategie habe man bis heute sauber durchgehalten, sagt der heutige Evobus-Chef Hartmut Schick. „Der Markenauftritt ist streng getrennt.“ Das könne man auch auf der diesjährigen IAA sehen, die in der nächsten Woche beginnt. „Dort gibt es einen Messestand für Setra und einen für Mercedes-Benz.“

Obwohl streng auf eine saubere Trennung der Profile der beiden Marken geachtet wird, haben die Busse unter dem Blech durchaus Gemeinsamkeiten. Um Kostenvorteile zu heben, wurden Baukästen entwickelt, aus denen die einzelnen Modelle zusammengesetzt werden.

Große Vorteile bringt der Bussparte, wie Schick sagt, auch die Zusammenarbeit mit der Lkw-Sparte des Konzerns. „Wir nutzen weltweit von Europa über die Türkei und Lateinamerika bis nach Indien die Motoren unserer Truck-Kollegen“, so der Evobus-Chef. Gleiches gelte beispielsweise für Sicherheitstechnik wie elektronische Assistenzsysteme oder Elektronik, mit der Kraftstoff eingespart werden könne.

Unterstützung erhalte die Bussparte auch von der Konzernforschung. Diese habe für die neuen Reisebusse Leichtbaukonzepte entwickelt. Obwohl die neue Emissionsstufe Euro VI eine aufwendigere und schwerere Antriebstechnik erfordere, sei das Fahrzeug insgesamt leichter als sein Vorgänger, was wiederum zu einem geringeren Kraftstoffverbrauch führe.

Als die europäischen Märkte vor zwei Jahren einbrachen, rutschte indes auch Evobus in die roten Zahlen und startete ein Sparprogramm. Ein Zehntel der Stellen wurde an den deutschen Standorten abgebaut. Zudem wurde die Produktion eines Mercedes-Modells in die Türkei verlagert. Heute arbeiten an den deutschen Standorten 7600 Beschäftigte. Ferner habe man gemeinsam mit den Lieferanten die Materialkosten gesenkt und über eine breit angelegte Vertriebsoffensive die Verkäufe angekurbelt. All dies habe dazu geführt, dass die Bussparte nach einem Verlust von 221 Millionen Euro im Jahr 2012 im vorigen Jahr einen Gewinn von 124 Millionen Euro erreicht habe.

Zusätzliche Bewegung auf dem Markt bringen die neuen Fernbusse. Allein in diesem Jahr sei die Zahl der Fernbuslinien in Deutschland um 100 auf 230 gestiegen, rechnet Schick vor. Unmittelbar nach der Liberalisierung Anfang 2013 habe man dies zwar noch nicht bei den Aufträgen gespürt, doch: „Ab diesem Jahr werden in größerem Umfang Busse neu beschafft“, berichtet Schick. „Wir rechnen damit, dass auf dem deutschen Markt dadurch rund 250 Busse zusätzlich verkauft werden“, so der Evobus-Chef.

In Deutschland ist Evobus Marktführer und liegt auch in Europa mit gut 34 Prozent vorne, wie Schick berichtet. Der Marktanteil sei heute so hoch wie nie, was der Evobus-Chef als Beleg dafür wertet, dass die Fusion sich ausgezahlt habe. Dies meint auch Petra Wassermann, die Geschäftsführerin der IG Metall in Ulm. Der Zusammenschluss sei unter dem Strich eine „Erfolgsgeschichte“, so die Gewerkschafterin.