Immer mehr Wölfe leben in Deutschland. Das freut die Naturschützer und bereitet den Schäfern Sorge. Bei einer internationalen Tagung in Wolfsburg prallen nun die Ansichten der beiden Gruppen hart aufeinander.

Stuttgart - Im Jahr 2000 hat das beeindruckende Comeback des Wolfes in Deutschland mit einem ersten Rudel in der sächsischen Lausitz seinen Anfang genommen. 15 Jahre später hat sich der Wolf hierzulande enorm ausgebreitet: 31 Rudel und vier Paare zählten Forscher des Lupus Instituts für Wolfsmonitoring und -forschung im vorigen Jahr in Deutschland. Galt einst Sachsen als Stammland, ziehen Rudel nun auch durch Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Auch nach Thüringen, Bayern, Hessen und zuletzt Ende August nach Rheinland-Pfalz wagen sich einzelne Wölfe vor. In Baden-Württemberg wurde an der A5 bei Lahr erst im Juni ein Rüde überfahren, der aus der Schweiz eingewandert war.

 

Was für die Naturschützer als Erfolgsgeschichte des Artenschutzes gilt, ist für so manchen Jäger und Schafshalter ein Quell steten Ärgernisses. Dass die Fronten weiter verhärtet sind, zeigt sich auf einer internationalen Wolfskonferenz, die derzeit in Wolfsburg stattfindet. „Die Weidetierhalter brauchen den Wolf nicht“, sagte Regina Walther vom Sächsischen Schaf- und Ziegenzuchtverband. Er gefährde die Nutztiere und damit das Grundkapital der Schäfer.

Schafe und Ziegen als Opfer

Vor allem Schafe und Ziegen, gelegentlich auch junge Rinder, werden immer wieder leichte Beute des Wolfs – zum Leidwesen der Tierhalter. So wurden beispielsweise im Landkreis Bautzen im Sommer innerhalb von vier Wochen 16 Schafe getötet. Doch die Schäfer, auch das betonte Regina Walther, müssten lernen, sich mit dem Wolf zu arrangieren. Damit das funktioniert, hat sie in einer aktuellen Studie untersucht, wie sich die Schafsherden in freier Natur am besten schützen lassen. Das Ergebnis: „Einen hundertprozentigen Schutz gibt es nicht, denn der Wolf gräbt sich gerne unter dem Zaun durch oder überspringt ihn“, sagt sie.

Um diese Wahrscheinlichkeit aber so minimal wie möglich zu halten, sollte der Zaun elektrisch geladen und mindestens 90 Zentimeter hoch sein. Zudem solle er mit einem Flatterverband versehen sein. „Das schreckt Wölfe ab, weil sie so die Höhe nicht genau einschätzen können“, erklärt die Expertin. Schäfern mache jedoch der hohe Arbeitsaufwand des Netzaufbaus zu schaffen, gerade wenn das Gelände uneben oder sehr groß sei. „Vor allem in den Alpen und an der Küste, wenn Schafsherden über die Deiche ziehen, ist es schwierig, die Tiere zu schützen.“

„Großexperiment ohne wissenschaftliche Begleitung“

Gut möglich ist, dass sich auch bald Schäfer etwa auf der Schwäbischen Alb mit Details zum Zaunaufbau beschäftigen müssen. Der Deutsche Jagdverband (DJV) rechnet mit einem jährlichen Zuwachs des Wolfsbestands von bis zu 30 Prozent. „Diese Entwicklung wird nicht ohne Konflikte bleiben“, prognostiziert DJV-Geschäftsführer Andreas Leppmann. Dies betreffe nicht nur kritische Begegnungen zwischen Wolf und Tier, sondern es habe auch Folgen für Wildtierbestände oder die Ausbreitung von Wildtierkrankheiten wie Tollwut und Staupe. Dass sich der Wolf in einem Land mit einer so großen Bevölkerungsdichte ausbreite, ist für ihn ein „Großexperiment ohne wissenschaftliche Begleitung“.

Von den Jägern wünscht sich der Naturschutzbund Deutschland (NABU) dagegen mehr Engagement. „Das Nebeneinander von Wolf und Mensch ist möglich, das sollte der Deutsche Jagdverband auch vermitteln“, erklärt NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. Hilfreich wäre dies auch für die Akzeptanz des Wolfes. Obwohl es laut einer aktuellen Umfrage des NABU in Deutschland immerhin 80 Prozent der Befragten erfreulich finden, dass der Wolf hierzulande vorkommt, haben 30 Prozent wiederum Angst, in einen Wald zu gehen, in denen die Grautiere leben.

Illegale Wolfstötungen nehmen deutlich zu

Allerdings ist es mit der Akzeptanz nicht überall zum Besten gestellt. Das legt zumindest die deutliche Zunahme der illegalen Wolfstötungen nahe. So wurden in den vergangenen fünf Jahren zehn Wölfe getötet. Dabei ist der Wolf in Deutschland über das Bundesnaturschutzgesetz und in Europa über den Anhang 4 der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) geschützt, lediglich verhaltenssauffällige Tiere dürfen geschossen werden. Die FFH-Richtlinie zielt darauf ab, für bedrohte Arten wie den Wolf einen günstigen Erhaltungszustand zu schaffen, damit die Population langfristig gesichert ist. Doch was passiert, wenn dieser Zustand erreicht sein sollte? In Deutschland ist das noch längst nicht soweit. Dies betont Guillaume Chapron von der schwedischen Grimsö Wildlife-Forschungsstation. „Eine Diskussion darüber ist verfrüht, noch ist die Population viel zu klein“, sagt er. Etwa 200 Rudel sind aus seiner Sicht die Zielgröße des günstigen Erhaltungszustands in Deutschland. Es wäre sogar noch Platz für mehr Rudel. In diese Richtung weisen Studien, wie sie etwa Ökologen der Universität Freiburg voriges Jahr vorlegten. Demnach gebe es in Deutschland für rund 400 Wolfsfamilien geeignete Habitate.

Was passieren kann, wenn der günstige Erhaltungszustand erreicht sein sollte, zeigt der Fall Schweden. Dort leben zwischen 300 und 400 Tiere. Im Jahr 2009 gab das Parlament als Zielzahl der Wolfspopulation 210 Exemplare vor. Deswegen darf der Wolf dort geschossen werden. Dieses Jahr wurden, gegen den erbitterten Widerstand von Umweltverbänden und gegen geltendes EU-Recht, 36 Wölfe zum Abschuss freigegeben. Auch der Deutsche Jagdverband denkt in eine ähnliche Richtung, sollte der Wolf hierzulande den günstigen Erhaltungszustand erreicht haben. „Der Wolf gehört dann bei der FFH-Richtlinie nicht mehr in den Anhang vier, sondern in Anhang fünf“, fordert Jagdvertreter Leppmann. Erlaubt sei damit, den Wolfsbestand zu managen.

Doch Wölfe zu schießen, wird die Akzeptanz der Tierart in der Bevölkerung nicht erhöhen. Dies weiß man aus Erfahrungen aus dem US-amerikanischen Bundesstaat Wisconsin. „Die Toleranz der Bevölkerung gegenüber dem Wolf hat sich nicht verbessert, seitdem dort Jagd auf die Tiere gemacht werden darf“, betont Adrian Treves von der Universität Wisconsin-Madison. In Befragungen hat er festgestellt, dass sich mit einer Bejagung bei den Menschen eher der Gedanke festsetze, dass der Wolf keinen Wert habe. „Die Jagd fördert die Akzeptanz nicht“, stellt Treves klar.

Internationale Wolfstagung

Tagung
Wie künftig in Europa das Zusammenleben zwischen Wolf und Mensch aussehen könnte, ist Thema einer internationalen Wolfskonferenz, die der NABU gemeinsam mit dem Autokonzern Volkswagen zwischen dem 24. und 26. September in Wolfsburg veranstaltet.

Teilnehmer
Rund 400 Politiker, Wissenschaftler sowie Vertreter der Praxis wie beispielsweise Naturschützer, Tierhalter und Jäger diskutieren, wie sich Konflikte in Zukunft vermeiden lassen könnten. Die Tagung widmet sich vor allem Einstellungen, Emotionen und Ängsten gegenüber Wölfen. Dabei berichten auch Wissenschaftler aus den USA, Schweden, Norwegen, Kroatien und Italien über den Umgang mit dem Wolf in ihren Heimatländern.