Der Wu-Tang Clan ist mehr Mythos als Band, mehr Glaubensgemeinschaft als Popkultur. Gegründet vor 30 Jahren in New York City, krempelt der verschworene, unberechenbare, geheimnisvolle Clan die aufkeimende Rap-Bewegung an der Ostküste um und gibt schon sehr bald den Ton an. Insbesondere das Debüt „Enter the Wu-Tang (36 Chambers)“ (1993) oder „Wu-Tang forever“ sind Platten, für die das Wort Meisterwerk irgendwie nicht ausreicht.
Im Herz dieser unglaublichen Geschichte aus Rap, Drogen, Gewalt und gottgleichem Status steckt etwas noch viel unglaublicheres: Eva Ries, eine weiße Managerin aus Mannheim. Wie sie es von Baden-Württemberg nach New York verschlägt, wie sie schließlich in die innerste Kammer des Clans aufgenommen wird und was sie dabei alles erlebt hat, hat sie in ihrer Biografie niedergeschrieben. Die heißt, wie auch sonst, „Wu-Tang is forever“ und wird bei einer Lesung mit Autorinnengespräch am Donnerstag, den 26. Mai 2022 im Wizemann vorgestellt. Stadtkind hat sich vorab mit ihr unterhalten.
Eva, wie sah deine Jugend aus?
Ich bin in Mannheim geboren, aber noch im Kindergartenalter für fünf Jahre nach Bilbao gezogen, wo mein Vater Lehrer an der deutschen Schule war. Als wir nach Deutschland zurückkamen, ging ich in Ladenburg zur Schule. Nach dem Abitur war ich sogar mal in Stuttgart und wollte danach in die Musikindustrie. Über die Carl Duisberg Gesellschaft fand ich ein bezahltes Praktikum, das auch meine Lebenshaltungskosten, meine Flüge und meinen Englischkurs abdeckte.
Wann bist du das erste Mal über den Wu Tang Clan gestolpert?
Ich hatte keinen Bezug zu Hip-Hop. Überhaupt gar keinen. Bis 1994, als in den USA gerade das erste Wu-Tang-Clan-Album veröffentlicht worden war und ich bei deren Label RCA arbeitete. Ich war bei einer ziemlich chaotischen Fotosession mit dem Clan, in die ich dann wegen meines Vorwissens in Sachen Fotografie tatsächlich eingriff. Einfach so. Die kannten mich nicht, ich kannte sie nicht, aber ich habe sie dann einfach hin und hergeschoben, bis sie für meine Begriffe richtig standen. Ich wusste eben nicht, wie sie heißen, und hatte wahnsinnige Angst davor, die Jungs mit falschen Namen anzureden.
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Was war dein erster Eindruck?
Hm. Erstmal war es für mich total verwirrend, diesen Haufen von Jungs zu sehen. Das waren neun Bandmitglieder! Das sind sehr viele, dazu noch alle sehr groß und ein bisschen bedrohlich. Im Grunde haben sie sich aufgeführt wie eine Street Gang. (lacht) Ich hatte ja auch wie gesagt kein Vorwissen über Hip-Hop, das hat es nicht gerade einfacher gemacht. Doch ich war ehrlich und habe ihnen offen gesagt, dass ich eher aus dem Rock-Bereich komme und dort mit großen Künstlern wie Nirvana, Guns N’Roses, Aerosmith oder Sonic Youth gearbeitet habe.
Wie hat dir ihre Musik gefallen?
Mein Mann und ich waren gerade für unsere Hochzeitsreise auf Hawaii. Zur Vorbereitung auf meinen neuen Job nahm ich mir Musik und Infos von sämtlichen Bands mit, mit denen ich RCA arbeiten musste. Am Strand habe ich das Wu-Tang-Tape in den Walkman geschoben – und war schockiert! Ich habe tatsächlich geweint und meinem Mann gesagt, dass ich nicht weiß, wie ich das außerhalb der USA an irgendjemanden verkaufen soll. Ich fand die Musik so schlimm, dass ich eigentlich auch in Nashville für die Country-Szene hätte arbeiten können, die ich ebenso wenig ausstehen konnte wie diesen Hip-Hop. (lacht) Die Texte haben mich angewidert, ich wollte erst gar nichts mit diesen Typen zu tun haben. Aber genau das war letztlich der Schlüssel: Weil sich aus ihrem innersten Kreis niemand getraut hat, je ehrlich mit ihnen zu sprechen, fassten sie langsam Vertrauen zu mir.
Wie lange hat das gedauert?
Oh, wochenlang. Anfangs war ich der krasse Outsider, der Eindringling. Sie bezichtigten mich sogar, für die Regierung zu arbeiten, die Klan infiltrieren und geheime Informationen ans FBI liefern zu wollen. Ol’ Dirty Bastard hat immer sehr große Verschwörungstheorien verbreitet. Irgendwann war ich auch mal eine CIA-Agentin. Einfach nur lächerlich. Aber ich habe diese Vorwürfe mit Vernunft widerlegt und bin irgendwann auch zur Band durchgedrungen.
Hattest du das Gefühl, dich als weiße Frau besonders behaupten zu müssen?
In gewisser Weise ja. Irgendwann sagte jemand mal, „she’s keeping it real“, und dann war es geschafft. Das war der Wendepunkt. Man hat mich mit offenen Armen aufgenommen, mir vieles über Hip-Hop beigebracht. Ich wollte alles verstehen. Mit Raekwon habe ich viel über seine Kindheit geredet und über die schreckliche Armut, in der sie gelebt haben. Er hat erzählt, wie es war, mit elf Geschwistern aufzuwachsen, in einem Schwarzen sozialen Brennpunkt, wo man jeden Tag um sein Leben fürchten muss. Die Jungs hatten kein einfaches Leben.
Es heißt ja, die Band sei auch untereinander immer sehr aggressiv gewesen. Wie hast du das erlebt?
Der Haufen hat wirklich immer miteinander gestritten. Klar, über kleine Sachen, über kreative Differenzen, über einen bestimmten Vers. Aber mehr noch ums Geld. Immer ging es ums Geld. Sie waren Konkurrenten, im Grunde genommen eine Super-Group, ein Dreamteam aus neun sehr talentierten Rappern, von denen natürlich jeder im Rampenlicht stehen wollte. Nach außen war die Band immer eine geschlossene Einheit, aber intern waren sie schon damals extrem zerstritten.
Okay, eine Anekdote noch aus deiner Zeit mit dem Wu-Tang Clan.
Oh, da gab es so viele. Aber da kommt mir eine in den Sinn, die sich auf den ersten Tourneen außerhalb der USA leider ständig wiederholt hat. Damals konnte man nur von Hotels aus in die USA telefonieren – und das tat gefühlt der gesamte neunköpfige Clan jede Nacht. Stundenlang. Sie häuften Telefonrechnungen von tausenden Mark an. Besonders schlimm war es im Maritim Hotel in Hannover: 27.000 DM, nachdem neun Leute eine ganze Nacht in die USA telefoniert hatten. Die Band wollte nicht zahlen, die Polizei kam, es wurde laut, sehr laut, bis ich die Plattenfirma anrief und sie bat, die Rechnung vorzustrecken. Später wurde das alles von den Tantiemen des Clans abgezogen.
Lesung „Wu-Tang is forever“, 26. Mai 2022, 19 Uhr, Im Wizemann, Quellenstraße 7, Stuttgart-Bad Cannstatt, www.imwizemann.de