Im Landkreis Ludwigsburg fehlen Allgemeinmediziner. Das trifft vor allem die mit dem größen Bedarf. Allein in Markgröningen haben 75 Menschen mit Behinderung keinen Arzt mehr.

Ludwigsburg: Anne Rheingans (afu)

Wer in Ludwigsburg und Umgebung einen Hausarzt sucht, hat mitunter ein Problem. Schon jetzt gibt es im Landkreis einen Mangel an Medizinern. Besonders hart trifft es allerdings diejenigen, die auf eine besondere ärztliche Versorgung angewiesen sind: Menschen mit Behinderungen.

 

Dramatisch ist die Situation derzeit bei Habila, einem Träger der Eingliederungshilfe, in Markgröningen. Seitdem ein Mediziner seine Sprechstunden auf dem Habila-Gelände aus gesundheitlichen Gründen einstellen musste, sind 75 schwerstbehinderte Patienten nicht mehr hausärztlich versorgt. Für den gesamten Landkreis wird von weiteren Betroffenen ausgegangen, sodass die Zahl der Patienten vermutlich erheblich höher ist, hieß es bei einem Pressegespräch. Und: Das strukturelle Problem wird sich künftig weiter verschärfen.

Absage folgt auf Absage

Seit einem halben Jahr versucht Arzu Aksoy, Standortleiterin für die Soziale Teilhabe und Pflege der Habila im Kreis Ludwigsburg, eine Lösung zu finden. Sie hat unzählige Telefonate und persönliche Gespräche geführt, Mails geschrieben. Immer wieder hat sie Kontakt zu Praxen aufgenommen. Eine Absage folgte auf die nächste. „Die Aussage war jedes Mal, dass sie den Menschen nicht gerecht werden können“, sagt Aksoy.

Die Schwierigkeit: Die Klienten der Habila sind oft mehrfach behindert, in ihrer Kommunikation eingeschränkt oder haben nicht nur physische, sondern auch psychische Probleme. Sie benötigen starke Medikamente, besondere Hilfs- und Heilmittel, teilweise Psychopharmaka, Sondennahrung und ähnliche Dinge. Das macht ihre Behandlung aufwändiger, fachlich komplexer und zeitintensiver als die anderer Patienten.

Noch bis zum Ende des laufenden Quartals hat sich ein Arzt aus dem Kreis Heilbronn bereit erklärt, Rezepte für die 75 unversorgten Menschen auszustellen. Für die Zeit danach gibt es keine Lösung, sagt Thomas Jaskolka, Bereichsmanager für Soziale Teilhabe und Pflege bei der Habila. Er spricht von einer zusätzlichen Diskriminierung.

Bei einem Pressegespräch machten Vertreter der Habila, der Ärzteschaft und des Landratsamts auf die prekäre Situation aufmerksam. Foto: Werner Kuhnle

Schon jetzt sei ein Problem, wenn die Betroffenen in eine Sprechstunde müssen. Dann müssen die Mitarbeiter die teils übergroßen Rollstühle in einem Transporter verstauen und mit ihren Klienten die Notfallpraxis in Anspruch nehmen. Das verursache einen Mehraufwand bei den Pflegekräften und einen hohen zeitlichen Aufwand. Der Träger der Eingliederungshilfe hat inzwischen einen Fahrdienst eingerichtet. Außerdem wurden drei medizinische Fachangestellte angestellt, die Blut abnehmen und sich um das Medikamentenmanagement kümmern, um der Ausnahmesituation Rechnung zu tragen. Dennoch wolle man die Notfallpraxis, die für solche Zwecke nicht gedacht ist, eigentlich nicht belegen.

„Die Lage ist prekär. Wir brauchen eine kurzfristige Lösung“, betont Jaskolka. Er selbst habe schon viel Zeit am Telefon verbracht hat, um mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und anderen Beteiligten einen Weg zu finden, obwohl die Habila rechtlich nicht für die hausärztliche Versorgung ihrer Klienten zuständig sei.

Praxen sind oft überlastet

Das Hauptproblem: Bereits mit ihren bisherigen Patienten sind die Allgemeinmediziner in der Region überlastet. „Es gibt zu wenig Ärzte im Landkreis Ludwigsburg“, erklärt Carola Maitra, die Vorsitzende der Ärzteschaft im Kreis. In Ludwigsburg selbst fehlen demnach allein sechs Mediziner. In Bietigheim-Bissingen ist die Versorgung schlechter. Im Umland der beiden größeren Städte, vor allem in Vaihingen/Enz und Umgebung, ist der Mangel noch größer. Die Praxen sind also ohnehin bereits überlaufen. Die arbeitsintensive Arbeit mit schwerstbehinderten Patienten übersteigt daher die Kapazität der Praxen, sagt Maitra. „Ich bedauere es außerordentlich, dass das bei den Schwächsten der Gesellschaft zum Tragen kommt“, betont sie.

Als inakzeptabel bezeichnet Claudia Lychacz, die Kommunale Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderung beim Landratsamt Ludwigsburg, die Lage. „Es bringt die Schwächsten der Schwachen in eine menschenunwürdige Situation“, sagt sie. Von der freien Arztwahl, die rechtlich festgehalten ist, könne schon länger keine Rede mehr sein. Auch weitere Menschen mit Behinderung, die entweder zu Hause oder in anderen Einrichtungen leben, seien betroffen. In der Öffentlichkeit sei diese Problematik noch nicht angekommen. Lychacz ist sich der Komplexität des Themas bewusst. „Ich würde mir aber wünschen, dass sich Ärzte in der Umgebung als Teil der Lösung sehen“, sagt sie.

Problem wird sich noch verschärfen

Die KV hatte darauf verwiesen, dass ein Kassensitz für einen niedergelassenen Arzt verfügbar ist. Dafür müsste sich aber ein williger Mediziner finden. Als mögliche langfristige Option können sich die Beteiligten ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ), also eine ambulante Praxis mit mehreren Ärzten, in Markgröningen vorstellen. Doch es braucht auch eine kurzfristige Lösung. „Unsere Hoffnung ist es, dass sich mehrere Ärzte dazu bereiterklären, jeweils wenigstens ein paar Patienten aufzunehmen“, sagt Thomas Jaskolka.

Nach Einschätzung von Ärztevertreterin Carola Maitra wird sich die Versorgungslücke in Zukunft sogar vergrößern. „In den nächsten Jahren geht ein Drittel der Hausärzte in den Ruhestand“, sagt sie. Auch der Kollege, der die Habila-Klienten noch bis Jahresbeginn betreut habe, sei schon älter als 70 Jahre gewesen.