Präsident Mursi ist gestürzt. Nun herrscht in Ägypten das Militär - ohne zu regieren. Ein Übergangspräsident ist schon vereidigt, doch Mursi spricht offen von einem Putsch. Droht ein Bürgerkrieg?

Kairo/Berlin - Nach dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi durch das Militär steht die Zukunft des Landes auf Messers Schneide. Als Übergangspräsident wurde am Donnerstag der Präsident des Verfassungsgerichts, Adli Mansur, vereidigt. Der 67-Jährige soll die Geschicke des Landes bis zu Neuwahlen lenken. Nach tagelangen teils blutigen Massenprotesten für und gegen den Islamisten Mursi hatte das Militär den ersten freigewählten Präsidenten Ägyptens am Mittwochabend gestürzt und unter Arrest gestellt. Weltweit löste die Entwicklung Sorge vor weiterer Gewalt bis hin zu einem Bürgerkrieg aus.

 

Bei Krawallen in der Nacht wurden nach Angaben staatlicher Medien mindestens ein Dutzend Menschen getötet. Auf dem Tahrir-Platz in Kairo feierten Tausende den Sturz Mursis nach nur einem Jahr und drei Tagen Amtszeit.

Mursi: "Klarer Militärputsch"

Mursi, der sich am Donnerstag im Verteidigungsministerium im Gewahrsam des Militärs befand, bezeichnete seine Entmachtung in einer ersten Reaktion als „klaren Militärputsch“. „Ich bin der gewählte Präsident Ägyptens“, erklärte er in einer Botschaft, die er über das Internet verbreitete. Der erzwungene Machtwechsel werde „von allen freien Menschen des Landes abgelehnt, die dafür gekämpft haben, dass Ägypten eine zivile Demokratie wird“.

Das Militär begründete sein Einschreiten mit Mursis Unfähigkeit, auf die Massenproteste gegen seine autoritär-islamistische Politik angemessen zu reagieren und berief sich auf die Millionen Teilnehmer an den Protesten der vergangenen Tage. Zuvor hatte die Armee Mursi ein 48-Stunden-Ultimatum gestellt, um die Staatskrise zu beenden.

Die Bezeichnung „Putsch“ lehnten die Generäle auch deshalb ab, weil sie nicht selbst die Macht übernehmen wollten. „Es wird eine starke und kompetente, aus Technokraten bestehende nationale Regierung gebildet, die die komplette Vollmacht hat, in der gegenwärtigen Periode zu regieren“, erklärte Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi in einer Fernsehansprache, in der er die Entmachtung Mursis bekanntgab.

Mansur soll Übergangsregierung leiten

Mansur soll an der Spitze einer parteiübergreifenden Übergangsregierung stehen, deren Zusammensetzung noch nicht bekannt ist. Dieses Kabinett soll Neuwahlen für die Präsidentschaft und das Parlament vorbereiten. Der Zeitrahmen dafür ist noch unklar. Die neue Regierung soll außerdem Verfassungsänderungen ausarbeiten. Das Militär hatte die Verfassung außer Kraft gesetzt.

Die Muslimbruderschaft, aus der Mursi stammt, sprach von einer Vergeltungsaktion des alten Regimes. Mursis Team und Spitzenpolitiker der Muslimbrüder seien festgenommen worden, teilte Sprecher Gehad al-Haddad im Kurzmitteilungsdienst Twitter mit. Für Hunderte Muslimbrüder gelte ein Ausreiseverbot. Darüber hinaus habe das Militär sechs Satellitenkanäle geschlossen.

UN-Generalsekretär Ban besorgt

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich besorgt über das Vorgehen der Armee. Militärisches Eingreifen in die Angelegenheiten eines Staates sei immer bedenklich, erklärte er nach Angaben eines Sprechers.

US-Präsident Barack Obama vermied das Wort „Putsch“, sagte aber, dass er eine Überprüfung der Militärhilfe für Ägypten veranlasst habe. Bundesaußenminister Guido Westerwelle bezeichnete den Umsturz als schweren Rückschlag für die Demokratie in Ägypten. Der britische Außenminister William Hague kritisierte Mursis Absetzung, sicherte der neuen Führung in Kairo aber die Zusammenarbeit zu.

Vor der Absetzung Mursis war die Militärführung in einem Krisentreffen mit den Spitzen der Opposition und hohen geistlichen Würdenträgern zusammengekommen. Mit dabei waren der Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei, Vertreter der Protestbewegung „Tamarud“, der Großscheich der Al-Azhar-Universität, Ahmed al-Tajjib, und der koptisch-orthodoxe Papst Tawadros II. Die Partei der Muslimbruderschaft nahm nicht teil.

Bei Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern Mursis kamen nach Medienberichten in der nördlichen Islamistenhochburg Marsa Matruh mindestens sechs Menschen ums Leben. Drei Tote habe es in Alexandria sowie im oberägyptischen Minja gegeben. Auch in Fajum südlich von Kairo sei es zu tödlicher Gewalt gekommen.

Die Muslimbruderschaft war sowohl aus der Parlaments- als auch der Präsidentenwahl als stärkste Kraft hervorgegangen. Die Protestbewegung kritisierte Mursi wegen seines autoritären Führungsstils, einer fortschreitenden Islamisierung im Land und auch wegen einer dramatisch verschlechterten Wirtschaftslage.