Weiter kann man nicht in die Ferne schweifen: das Linden-Museum zeigt die Kunst und das Leben der Maoris in Neuseeland.

Stuttgart - Tattoo-Studios gibt es heute an jeder Straßenecke. Leicht gerät dabei in Vergessenheit, dass sich in unseren Breiten, bevor die Körperdekoration in jüngerer Zeit von der Jugendkultur adaptiert wurde, nur Außenseiter tätowierten. Ursprünglich waren es weit gereiste Seebären, die diese Gepflogenheit aus entfernten Weltregionen mit nach Europa brachten. Nur ganz Verwegene tätowierten sich auch den Kopf und das Gesicht. Ein solcher am Kopf tätowierter Mann blickt dem Betrachter vom Plakat der Maori-Ausstellung des Linden-Museums entgegen. Für ihn hat die Dekoration des Gesichts nichts vom Ruch der Gefängnisinsassen und wilden Freibeuter: Sie ist Teil seines kulturellen Erbes. Er ist aber auch kein ethnografisches Studienobjekt, Repräsentant eines angeblich zurückgebliebenen Teils der Menschheit. Er blickt den Betrachter selbstbewusst an, ist Subjekt, nicht Objekt.

 

George Nuku, so heißt der Maori-Mann auf dem Plakat, ist Künstler. Er wird bei der Eröffnung der Ausstellung am Sonntag anwesend sein und kann selbst über seine Kunst und die Welt der Maori Auskunft geben. Für die Ausstellung hat er einen Hausgiebel angefertigt, aber nicht aus Holz, wie traditionell üblich, sondern aus Acrylglas. Dieser scheint von innen heraus zu leuchten und ist ebenso stark verziert wie der Giebel des Hauses gleich gegenüber im Ausstellungsraum, das vor gut hundert Jahren von dem Schnitzer Tene Waitere angefertigt wurde und sich seit langer Zeit im Besitz des Linden-Museums befindet.

Das Haus besteht aus figürlich und ornamental beschnitzten Balken und Paneelen, im Wechsel mit geflochtenen Tafeln mit geometrischen Mustern, sowie aus bemalten Dachbalken. Es steht mit seinem reichen Dekor für die Gemeinschaft und ihre Herkunft, die den Maori auch heute noch bis in die ferneren Abstammungsverhältnisse genauestens bekannt ist. Im Zentrum der Darstellungen steht in diesem Fall der Halbgott Maui, ein neuseeländischer Prometheus, der den Menschen das Feuer brachte.

Die Maori stellen heute rund 15 Prozent der Bevölkerung Neuseelands. Sie definieren sich nicht über ihre genetische Herkunft, sondern durch ihre Kultur. In der Geschichtsphilosophie der Maori ist die Vergangenheit nicht etwas, das hinter uns liegt und nun nicht mehr zu ändern ist: Sie steht vor uns. Geschichte meint in diesem Fall nicht nur die Ahnenreihen und mythologischen Erzählungen. Auch die Erinnerung an die Zeit, als die Vorfahren der Maori, aus der Pazifikregion kommend, das heutige Neuseeland zuerst entdeckten, ist lebendig geblieben. Das war ungefähr in der Epoche des europäischen Mittelalters. Die Konsequenz ist aber auch, dass die heutigen jungen neuseeländischen Maori sich ihre Geschichte aneignen.

Videoprojektione des Haka-Tanzes auf mehreren Leinwänden mit heutiger, tanzbarer Musik empfangen den Besucher in der Ausstellung. Auf Demonstrationen für die Anerkennung von Landrechten und kultureller Identität führen die Maori ihre Kultobjekte mit, die für sie von einer besonderen Kraft, dem Mana, beseelt sind. Die Engländer hatten 1840 den Vertrag von Waitangi so formuliert, dass es für die Maori nach einer Bestätigung ihrer Besitzrechte aussah – obwohl sie ihn selbst ganz anders interpretierten. In den letzten dreißig Jahren haben sich die Maori einen Platz in der Mitte der Gesellschaft erkämpft. Wenn sie bei Rugbyturnieren den Haka-Tanz aufführen, identifiziert sich ganz Neuseeland mit ihnen.

Die Ausstellung, ursprünglich vom Völkerkundemuseum in Leiden konzipiert, aber für Stuttgart noch einmal erheblich erweitert und verändert, führt ein in die Welt der Maori: in die Schifffahrt, den Fischfang, die aus Flachs gewobenen Textilien; verschiedene Waffen, die zugleich als Rangabzeichen dienten; und natürlich die Tätowierung. Meisterlich bearbeiteten die Maori Jade und Basalt zu scharf geschliffenen Klingen. Weitere gefragte Materialien waren Walknochen, nicht von gejagten, sondern von gestrandeten Tieren.

Als besondere Kostbarkeiten sind eine ganze Reihe von Tiki-Anhängern aus grünem Nephrit-Stein zu sehen sowie mehrere prachtvolle Feder-Umhänge mit den schwarzen und bunten Schwanzfedern des seit 1907 ausgestorbenen Huia-Vogels oder denen des Kiwis.

Apropos Kiwi: Der neuseeländische Nationalvogel führt Kinder durch die Ausstellung. Aber auch Erwachsene können den Haka-Tanz erlernen und mehr über Tattoos und Federkostüme erfahren.

Bis 14. Oktober, Linden-Museum, Hegelplatz, Di–Sa 10–17 Uhr, Mi 20 Uhr, So 10–18 Uhr