Schaffen sie den Durchbruch? Oder scheitern die Gespräche doch noch? Fast rund um die Uhr versuchen die Unterhändler von Union und SPD, ein Gesamtpaket als Grundlage für eine neue GroKo zu schnüren.

Berlin - Bis in die frühen Morgenstunden haben die Unterhändler von Union und SPD am Freitag um ein tragfähiges Gesamtergebnis ihrer Regierungssondierungen gerungen. Auch nach 21-stündigen Beratungen war zunächst noch kein Ende in Sicht. Ein Scheitern der Sondierungen wurde zwischenzeitlich nicht ausgeschlossen. Zentrale Probleme waren bis zuletzt die Finanz- und die Flüchtlingspolitik, wie die Deutsche Presse-Agentur in Berlin erfuhr. Aber auch bei Themen wie Rente und Gesundheit hakte es.

 

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Chef Martin Schulz hatten am Donnerstagvormittag vor der Sondierungsrunde den Willen zur Einigung bekräftigt. Zugleich war aber klar, dass noch „große Brocken“ aus dem Weg geräumt werden mussten. Spätestens am Freitagmorgen wollten Merkel und Schulz ihren Gremien ein Ergebnis vorlegen. Die Berliner CSU-Landesgruppe wollte am Vormittag zu einer Sitzung zusammenkommen.

Spitzensteuersatz ein schwieriges Gesprächsthema

Dem Vernehmen nach wurde viele Stunden um die Finanzierung verschiedener kostspieliger Projekte in der Steuer-, Sozial- und Gesundheitspolitik gerungen. Obwohl grundsätzlich von einem finanziellen Spielraum von 45 Milliarden Euro für eine künftige Regierung ausgegangen worden war, summierten sich die Kosten für die in den Arbeitsgruppen ausgearbeiteten Einzelvorhaben noch am Donnerstagvormittag auf rund das Doppelte.

Darunter waren Vorschläge wie die Einführung einer solidarischen Lebensleistungsrente, mit der die Renten von langjährigen Geringverdienern aufgebessert werden könnten. Außerdem ging es um eine zusätzliche Unterstützung der Kommunen im zweistelligen Milliardenbereich.

Schwierig waren die Gespräche auch bei der SPD-Forderung nach einer Anhebung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 45 Prozent. Wenn diese Anhebung linear erfolgt, könnte dies auch niedrigere Einkommen treffen. Der Union sei es im Gegenzug wichtig, beim Abbau des Solidaritätszuschlages voranzukommen, hieß es.

Zugleich pochte die Union nach diesen Informationen auch angesichts der sprudelnden Steuereinnahmen auf die „schwarze Null“ im Haushalt - also den Verzicht auf neue Schulden.

Schulz rückt Europapolitik in den Mittelpunkt

Die Verhandlungen wechselten zwischen Sitzungen von Arbeitsgruppen, Sechser-Runden der Partei- und Fraktionschefs, getrennten Beratungen der einzelnen Seiten und der großen Gruppe der Unterhändler.

Schulz rückte zum Auftakt der Gespräche auch die Europapolitik in den Mittelpunkt. „Wenn wir in eine solche Regierung eintreten, dann unter der Bedingung, dass sie Europa stark macht“, sagte er vor der SPD-Zentrale, wo die entscheidende Runde stattfand. Ein weiteres SPD-Projekt ist eine einheitliche gesetzliche Bürgerversicherung im Gesundheitssystem. Die Union lehnt eine Bürgerversicherung ab.

Unter anderem beim Unkrautgift Glyphosat, das für massiven Ärger in der bisherigen großen Koalition gesorgt hatte, haben Union und SPD bereits eine gemeinsame Position gefunden. Einig sind sich die Sondierer auch darin, Diesel-Fahrverbote vermeiden und generell Luftverschmutzung durch Autoabgase senken zu wollen. Das nur noch schwer erreichbare deutsche Klimaschutz für 2020 soll aufgegeben werden.

Sollte die SPD-Spitze nach den Sondierungen den Einstieg in offiziele Koalitionsverhandlungen mit der Union empfehlen, hängt es davon ab, ob ein am 21. Januar geplanter Parteitag dem zustimmt. Schulz will in der Woche davor für die Empfehlung werben. Die Jusos wollen Widerstand gegen eine Neuauflage der großen Koalition mobilisieren. Juso-Chef Kevin Kühnert will dafür unter anderem durch mehrere SPD-Landesverbände touren, wie er der dpa sagte.

Günther: „Wir brauchen neue Gesichter“

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther sprach sich dafür aus, einen personellen Neuanfang in der CDU einzuleiten. „Bei einer Regierungsbildung müssen auch Gesichter eine Rolle spielen, die für die Zeit nach Angela Merkel eine Perspektive haben“, sagte der CDU-Politiker der „Heilbronner Stimme“ (Freitag). „Wir brauchen Angela Merkel an der Spitze von Regierung und Partei. Aber in der zweiten und dritten Reihe brauchen wir neue Gesichter.“

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erinnerte die Unterhändler an ihre Verantwortung. CDU, CSU und SPD seien nicht nur ihren Parteien und der eigenen politischen Zukunft verpflichtet, sondern hätten auch große Verantwortung für Europa und die internationale Politik, mahnte das Staatsoberhaupt beim Neujahrsempfang für das Diplomatische Korps.

Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, Mitglied des CDU-Sondierungsteams, wurde bei der Fahrt nach Berlin bei einem Autounfall verletzt. Möglicherweise wird sie im Laufe des Freitags wieder aus dem Krankenhaus entlassen.