Maria Furtwängler spielt sich furios von ihrem Image der „Tatort“-Kommissarin los. Als Spendeneintreiberin für Hilfsorganisationen zeigt ihre Figur das Belastende eines Lebens zwischen Not und Luxus.

Stuttgart - Die Stimmung in der dünn besiedelten Hotelbar in einem nicht näher bezeichneten Land ist ausgelassen. Auf der Bühne stehen vier angetrunkene Damen und Herren und grölen „Which side are you on“ zum Karaoke-Soundtrack. „Wenn ich da jetzt hochgehe“, sagt Dorothea Nagel zu ihrer Kollegin, „dann ist mein Projekt durchfinanziert.“

 

Wankend arbeitet sie sich über die Tische zur Bühne hinauf. Schließlich wird hier für einen guten Zweck gefeiert. Partys wie diese gehören zum Beruf der Fundraising-Fachfrau, die im Auftrag des Flüchtlingshilfswerkes UNHCR in die arabische Krisenregion gekommen ist, um Gelder für ihr neues Projekt zu akquirieren.

Von Panzern bewacht

Dorothea (Maria Furtwängler) ist gut in dem, was sie tut. Wenn sie mit ergrauten Botschaftern und Geschäftsleuten verhandelt, versteht es die Mittvierzigerin, ihr blendendes Aussehen und ihren Charme einzusetzen. Im Prada- oder Gucci-Outfit muss sie sich bei Charity-Veranstaltungen nicht vor den gut betuchten Gästen verstecken. Die PR-Fachfrau genießt ihren mondänen Lifestyle auch in ihrem von Panzern bewachten Luxushotel. Im Nachbarland herrscht Bürgerkrieg, und durch gesponserte Stipendien soll jungen Flüchtlingsfrauen das Studium im Ausland ermöglicht werden, so dass sie nach dem Krieg beim Wiederaufbau des Landes helfen können.

Was auf dem Papier gut klingt, droht an den realen Verhältnissen zu scheitern. Die riesigen Flüchtlingslager an der Grenze stehen leer, weil der Weg dorthin für die meisten zu gefährlich ist. Immerhin eine Vorzeigekandidatin kann Dorothea auftreiben, deren fotografisches Abbild sie auf ihrem iPad vor den Hintergrund eines britischen Universitätsgebäudes montieren kann. Als die 18-Jährige jedoch beim Umsteigen auf dem Pariser Flughafen spurlos verschwindet, droht das Projekt zu kippen.

Alkohol und Widersprüche

Auch privat gerät Dorotheas Existenz ins Wanken. Eine Hotelzimmer-Affäre mit dem Deutsch-Araber Alec (Mehmet Sözer) läuft aus dem Ruder. Der junge Mann lässt sich nicht nur von ihr aushalten, sondern zerschlägt bei gemeinsamen Saufgelagen auch gern das Hotelmobiliar. Zum berufsbedingten Alkoholkonsum („Die größten Spenden akquiriere ich im Delirium“) treten härtere Drogen.

Ähnlich wie Johannes Nabers „Zeit der Kannibalen“ mit Devid Striesow vor zwei Jahren arbeitet auch „Das Wetter in geschlossenen Räumen“ von Isabelle Stever die Widersprüche der globalisierten Gesellschaft im beengten Setting eines abgeschotteten Nobelhotels inmitten einer Krisenregion heraus. Dabei versteht sich der Film nicht als moralisierende Kritik einer Entwicklungshilfearbeit, die ihre westlichen Angestellten im Luxus schwelgen lässt, während ihre Organisationen gegen Armut und die Folgen kriegerischer Gewalt ankämpfen. „Das Wetter in geschlossenen Räumen“ begreift sich eher als Milieustudie einer Helfer-Elite, deren berufliche Existenz und finanzielles Wohlergehen zwangsläufig an die Not anderer Menschen gekoppelt ist.

Solche Frauen braucht das Kino

Das widersprüchliche Feld des weltpolitischen Krisenmanagements lotet Stever mit dem vielschichtigen Porträt einer Protagonistin aus, die es ganz schön in sich hat. Solche saft- und kraftvollen Frauenfiguren möchte man öfter im deutschen Kino sehen. Diese Dorothea Nagel steht mit beiden High Heels im Leben, kennt sich mit den Machtmechanismen der Diplomatie aus, schreitet als Ritterin des Fundraisings im Designerkleid durch die Hotelhallen der Krisen-Hotspots.

Und doch sieht man in diesem Film, wie ihre Rüstung Risse bekommt, wie der Boden unter ihren Füßen schwankt – auch wenn sie nicht mit der Wimper zuckt, als die herannahenden Explosionen die Scheiben im Hotel zerspringen lassen.

Beherzt freigespielt

Stever verrät diese Figur weder an die leidlich bekannten Karrierezicken-Klischees noch an vermeintlich weibliche Fragilitäts-Stereotypen, sondern beharrt auf der Widersprüchlichkeit Dorotheas. Maria Furtwängler, die sich hier beherzt von ihrer „Tatort“-Vergangenheit freispielt, ist furios in der Rolle der wankenden Spendengala-Diva.

Trunkenheit ist eine der schwierigsten schauspielerischen Aufgaben, die allzu oft im Overacting landet. Furtwängler hingegen beherrscht alle Nuancen des alkoholbedingten Kontrollverlustes. Wie ihre Figur im Suff die Contenance verliert und immer wieder zurückerobert, wie sie in nüchternen, einsamen Momenten vor dem Laptop brüchig wird, während die Hotelangestellten hinter ihr die Spuren des letzten Gelages beseitigen – das ist ganz großes Schauspielerinnenkino, wie man es hierzulande nur selten zu sehen bekommt.

Das Wetter in geschlossenen Räumen. Deutschland, Österreich 2015. Regie: Isabelle Stever. Mit Maria Furtwängler, Mehmet Sözer, Anne von Keller, Louis Friedemann Thiele, Jim Broadbent. 97 Minuten. Ab 12 Jahren.