„Maria Stuart“ in Stuttgart Frauen an der Macht

Katharina Hauter als Maria Stuart und Matthias Leja als Baron von Burleigh. Foto: Katrin Ribbe

Wie es dem Regisseur Michael Talke gelingt, die Aktualität von Friedrich Schillers Tragödie „Maria Stuart“ auch 222 Jahre nach ihrer Uraufführung zu beweisen – und zwei Schauspielerinnen in einem Politdrama glänzen zu lassen.

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Elisabeth geht in die Knie. Sie ist müde vom Regieren. Und muss jetzt auch noch entscheiden, ob sie Maria Stuart ermordet, wie alle Welt will, oder nicht: „Sklaverei des Volksdienstes – wie bin ich müde, diesem Götzen zu schmeicheln, den mein Innerstes verachtet. Wann soll ich frei auf diesem Throne stehn“.

 

Tja, frei waren Staatsoberhäupter noch nie. Vor hunderten Jahren gab es noch keine Forsa-Umfragen, die Volkes Wünsche abfragten. Also muss die Herrscherin allein abwägen: wird sie geliebt, wenn sie ihre Feindin beseitigt – oder genau dafür gehasst?

Elisabeth kauert am Rand der Bühne während ihres Monologs in Schillers Drama „Maria Stuart“ am Samstag im Schauspielhaus Stuttgart. Sie hält sich mühsam auf den royalblauen Highheels, wirkt wie eine Politikerin vor dem Burn-out, die dringend ein Wochenende in einem Wellnesshotel bräuchte. Ständig muss sie Konflikte aushalten zwischen Herz und Verstand, Macht und Ohnmacht, ständig nerven ihre Berater.

Palast oder Knast – das ist die Frage

Sie fantasiert sogar von Tod und Abdanken, dabei hatte sie zuvor ziemlich lustvoll mächtig gewirkt, als sie ihre Herzöge und Grafen herumkommandierte und mit ungeduldigen Handbewegungen rief oder fortschickte. Diese Elisabeth, die Josefine Köhler fulminant als angespannt ungeduldige, zwischen Ratio und Leidenschaft schwankende Regentin interpretiert, ist eine Frau, eine Politikerin, eine Managerin von heute.

Das muss man erst einmal hinbekommen, dass einem die herrschsüchtige Königin so nah und sympathisch ist wie die unterdrückte Rivalin. Und das in nur vier Wochen Probenzeit. Regisseurin Rebecca Frecknall ist wegen Krankheit ausgefallen, Michael Talke hat übernommen. Er inszeniert das 1800 uraufgeführte, plausibel gestrichene Drama texttreu (bis in die Regieanweisungen), psychologisch stringent. Ein hochdramatisches Kammerspiel. Die Bühne von Oliver Helf ist ein zweistöckiger Glaskasten. Palast oder Knast – manchmal weiß man nicht, wer ist drin, wer ist draußen? Hier agieren Solitäre und überforderte Machtpolitikerinnen.

Kammerspiel mit Thrillerqualität

Anders als in Anne Lenks zum Theatertreffen eingeladener Berliner „Maria Stuart“, in der die Frauen einander fast schon sympathisch fanden, stehen sie sich in Stuttgart unversöhnlich gegenüber. Jede will regieren, Recht haben. Bei einem Treffen wirft sich Maria übertrieben demütig auf den Boden, um dann ihre Contenance zu verlieren, Elisabeth als Bastard zu beschimpfen und in Erlöserpose zu schreien „ICH bin euer König!“ Und das vor versammelter Mannschaft – da schwindet die Hoffnung auf Gnade. Der rasche Schlagabtausch, die hasserfüllten Blicke der Frauen, das hat Thrillerqualität.

Einsam in der Macht ist Elisabeth, ebenso wie ihre Rivalin Maria Stuart einsam in der Ohnmacht ist. Die Königin von Schottland sitzt gefangen im Tower, nur ihre Amme (Christiane Roßbach) spricht ihr Mut zu. Oft liegt sie nur noch auf dem Boden, den angedrohten Tod fast wie eine Befreiung begrüßend. Nur als sie mit ihrem Feind Burleigh (Matthias Leja) über Unrechtmäßigkeiten in ihrem Staatsterroristinnen-Prozess diskutiert, blitzen Lebenskraft, Wut und Mut auf.

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Während Elisabeth mit ihrer Rolle als harte Monarchin hadert, ringt Maria mit ihrem Image als femme fatale, das die Männer zu kopflosen Untaten verleitet. Denn Männer, die die katholische Maria retten wollen, sind Opportunisten oder Schwärmer. Fast schon komisch in seiner Larmoyanz klagt Marco Massafra als Leicester darüber, wie er Jahre seines Lebens vergeudet habe in der Hoffnung, Elisabeth werde ihn erhören. Zum Dank heirate sie aber vielleicht einen anderen, weshalb er sich jetzt an Maria hält. Jannik Mühlenweg gibt den Mortimer eindrucksvoll als enthusiasmierter Glaubens-Popstar. Katharina Hauters Maria schaut entsprechend versteinert drein als Mortimer ihr von seiner Begeisterung für den Papst vorschwärmt. Und davon, wie fantastisch sie sei – zugleich will er offenkundig für seine Rettung mit Sex belohnt werden.

Machthunger und Verantwortungslosigkeit

Alle haben ein Problem mit den Verhältnissen, zweifeln an sich, krümmen sich, bewegen sich immer wieder mal tastend wie in Zeitlupe. Das Team Elisabeth schwächelt ja auch. Graf von Shrewsbury (Boris Burgstaller) hat keinen Erfolg mit seinen Versuchen, Elisabeth mild zu stimmen, Baron von Burleigh (Matthias Leja) überschätzt Elisabeths Vernunft.

Gewinner? Gibt es keine. Politik ist ein Geschäft, bei dem man viele falsche Entscheidungen treffen kann. Regie und Ensemble konzentrierten sich auf die Figurenkonstellationen und die Macht des kraftvollen Schillertextes. Es hätte Videoeinspielungen von Straßendemos gar nicht gebraucht; auch so gelingt es, den Bezug zum Hier und Heute, zu amtierenden Staatsschefs und Chefinnen deutlich zu machen. Und zu zeigen, welche fatalen Folgen Machthunger gepaart mit Verantwortungslosigkeit haben. Auf der Bühne ist dies das Ergebnis – eine zweieinhalbstündige spannende Polit-Studie mit einem großartigen Ensemble.

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