In Stuttgart wird Marianne Rosenberg für ihr Lebenswerk geehrt, das noch lange nicht endet. Wir sprachen mit ihr über Diven, ihren Aufstieg zur Schwulenikone und neue Songs.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Nach Stuttgart zieht es Marianne Rosenberg ganz privat oft: Ihr jüngerer Bruder Janosch Rosenberg lebt hier, seine Kinder und Enkel ebenso. In den 1970ern hat der Bruder der Schlager- und Popsängerin selbst Platten aufgenommen – mit Frank Farian als Produzent. „Den Stress im Musikbusiness wollte er sich auf Dauer nicht antun“, sagt die Schwester. Der Bruder ging in die Immobilienbranche – sie aber hielt dem Druck nicht nur stand, sondern schaffte es, mit immer neuen Ideen und musikalischer Experimentfreunde über fünf Jahrzehnte eines der bekanntesten Gesichter der deutschen Unterhaltungsbranche zu bleiben.

 

Am 16. Oktober hat die 66-Jährige beruflich in Stuttgart zu tun. SWR 4 überreicht ihr in der Phoenixhalle des Römerkastells den Preis für ihr Lebenswerk. Lebenswerk? Das hört sich an, als solle ihr Abschied versüßt werden. Ist so eine Auszeichnung eine Abgangsentschädigung? In Wahrheit startet Marianne Rosenberg voller Energie in eine neue Phase ihrer Karriere. Bestimmt wird sie erneut verblüffen – mit altersloser Musik.

Vorm Älterwerden wird kein Mensch verschont, sagt die Sängerin am Telefon. Als sie hörte, dass es Howard Carpendale war, der im vergangenen Jahr den SWR-4-Preis fürs Lebenswerk erhielt, sagte sie zu. Und froh ist sie obendrein, mal wieder live singen zu können vor einem Kreis von Gewinnern.

Mit ihrem zuletzt erschienen Album „Im Namen der Liebe“ hat sie erstmals die Chartspitze erreicht. Ihr 27-jähriger Sohn Max Rosenberg hat daran mitgewirkt. Beide arbeiten an einem neuen Album, das im nächsten Jahr erscheint – wieder tanzbar soll’s werden, elektronisch und disco-stark. Auf jedem Dancefloor sollen die Stücke bestehen.

Die Poster von Diven wie Diana Ross, Gloria Gaynor oder auch Grace Jones hingen in ihrem Kinderzimmer, erzählt Marianne Rosenberg – sie selbst ist von einer Diva und von exzentrischen Allüren weit entfernt, zumindest am Telefon. Die Berlinerin lacht viel, erzählt eher wie eine alte Freundin amüsant von den Gefühlen, die sie mit 14 Jahren hatte, als sie für große Stars schwärmte. „Wenn ich Songs von Diana Ross gehört habe, fühlte sich das an wie Verliebtsein, obwohl ich damals noch in keinen Jungen verliebt war“, sagt sie vergnügt. Über fünf Jahrzehnte später singt sie in „Liebe ist nicht alles“, was mit Leidenschaft und Hingabe aber auch verbunden ist: „Ich kenn’ die Tränen und die Traurigkeit.“ Aus Wunden kann aber Stärke werden.

Was soll man bei einer Sängerin ansprechen, die nach 50 Bühnenjahren auf ein pralles Leben zurückblickt? Vieles kann man nur kurz streifen – ein Thema streifen wir nicht: Das Alter bleibt außen vor. Hat nichts mit Höflichkeit oder Verdrängung zu tun, sondern damit, dass andere Dinge viel spannender sind. Ihr Vater Otto Rosenberg, ein Sinto, wurde in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert und überlebte. Er war Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma. Der Vater, sagt seine 1955 geborene Tochter in unserem Telefoninterview, hat einen wesentlichen Anteil daran, warum sie sich zeitlebens für Minderheiten einsetzt.

Ihr Hit „Er gehört zu mir“ von 1975, der zur Schwulenhymne geworden ist, sollte ursprünglich „Du gehörst zu mir“ heißen. Wenige Jahre davor war die junge Marianne Rosenberg bei einer großen Party für Homosexuelle aus allen Teilen der Republik im Pims Club am Kudamm aufgetreten – und die vielen Männer waren völlig aus dem Häuschen.

Der Discochef riet, stets Lieder zu singen, die bei Schwulen ankommen. So kam das „Er“ in den Refrain. Die Songschreiber erkannten das Potenzial dieser treuen Fans, denen sich Marianne Rosenberg bis heute sehr nahe fühlt. „Letztendlich liegt es nicht an mir, sondern an der Szene, wen sie auserwählt.“ Dass die Berlinerin für die Rainbow-Community nun das ist, was in den USA Cher oder Madonna ist, empfindet sie als Ehre. 1991 trat Marianne Rosenberg beim „Gay Day“ im Stuttgarter Perkins Park auf. Unter den „Er gehört zu mir“ singenden Besucher waren Michael Panzer mit Rosenberg-Perücke, heute bekannt als Travestie-Lady Frl. Wommy Wonder , und Rainer Arnold, heute OB von Schwäbisch Gmünd. Dass es ihre schwulen und tanzenden Gäste von einst zu etwas gebracht haben, freut die Sängerin.

Jetzt darf wieder getanzt werden – nach der langen Coronapause ist „die Sehnsucht riesig“ , sagt Marianne Rosenberg. Die „verrückte Zeit“ hat sie genutzt, um Neues aufzunehmen. Verdammt schwer sei es, „ohne direkten Kontakt zu den Menschen zu arbeiten“. Eine Sängerin ohne Publikum, sagt sie, sei wie ein „Himmel ohne Sterne“. Nächstes Jahr wird die Tour zum Jubiläum nachgeholt. Sie gehört zu ihren Fans! Und nach langer Askese wird das Schöne noch viel schöner!

Karten für Marianne Rosenberg bei der Verleihung der Goldenen Vier am 16. Oktober, 20 Uhr, Phoenixhalle im Römerkastell unter: Tel. 0711 2 555 555 oder auf easyticket.de.