Marieluise Beck verabschiedet sich 2017 aus dem Bundestag. Sie gehört zum Urgestein der Grünen-Partei. Das Herz der grünen Bundestagsabgeordneten schlägt für Minderheiten und Oppositionelle.

Bremen - Marieluise Beck hat ein großes Herz und ein großes Haus. Das Herz der grünen Bundestagsabgeordneten schlägt für Minderheiten und Oppositionelle vor allem in Osteuropa. Und ihr stuckverziertes Reihenhaus in Bremen-Peterswerder ist offen für Besuchergruppen; man sieht es an dem großen Korb mit Pantoffeln im Flur. Seit 2002 hat Beck mehr als 2500 Menschen in ihrem geräumigen Esszimmer empfangen, um vor allem in Wahlkampfzeiten über Gott und die Welt zu diskutieren, unter dem Motto „Beck@Home“. Im nächsten Bundestagswahlkampf wird sie keine Getränke und Obstschalen mehr auftragen. Denn die 64-Jährige tritt ab.

 

Zeit für einen Wechsel

Sie will nicht erneut kandidieren, weil ihr Rückhalt an der Basis schwindet. „Teile der Partei finden, dass es Zeit für einen Wechsel ist“, weiß sie selber. Und dass sie sich doch bitte mehr um Bremer Belange kümmern solle. Ja, sie muss sogar befürchten, bei der Kandidatenaufstellung für die Wahl 2017 einer Konkurrentin zu unterliegen. Die 15 Jahre jüngere Bürgerschaftsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther hatte schon bei der Nominierung 2012 fast gewonnen und will jetzt wieder antreten. Dann doch lieber in Ehren selber gehen.

Mit Marieluise Beck verliert ihre Partei ein Urgestein. Von den derzeitigen Grünen-Bundestagsabgeordneten ist sie die einzige, die schon in der ersten Fraktion von 1983 saß – damals mit Petra Kelly und Otto Schily im Fraktionssprecher-Team. Zieht man zwei Unterbrechungen ab,   kommt man auf eine Amtszeit von bisher 27 Jahren. Oder in ihren Worten: „Ich bin seit gefühlten 175 Jahren Bundestagsabgeordnete.“ Zwischendurch war sie von 1998 bis 2005 zunächst Ausländer-, dann Migrationsbeauftragte der rot-grünen Bundesregierung, außerdem sitzt sie in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats.   Als Sprecherin für Osteuropapolitik der Grünen-Fraktion reist sie rastlos von einem verfolgten Bürgerrechtler oder Umweltschützer zum anderen, beobachtet Strafprozesse wie einst das Moskauer Chodorkowski-Verfahren, übernimmt Patenschaften für inhaftierte Oppositionelle in Belarus oder kümmert sich um Einzelschicksale von Migranten in Bremen. Einmal zum Beispiel sorgte sie mit dafür, dass ein von seinem Vater nach Tunesien entführter Junge wieder an die Weser zurückkehren konnte.

Alle Kraft für Bedrängte

Dass sich Beck warmherzig und mit voller Kraft für Bedrängte einsetzt, wird ihr allseits hoch angerechnet. Weniger gut zu sprechen sind viele Parteifreunde darauf, dass sie einen strammen Anti-Putin-Kurs vertritt und vor allem, dass sie sich vom Pazifismus verabschiedet hat. Ihr Umdenken begann mit den Balkankriegen Mitte der 1990er-Jahre. „Warum schützt ihr uns nicht?“, bekam sie zu hören, als sie mit einem Hilfskonvoi Überlebensspenden nach Bosnien brachte und mit Einheimischen im Schutzkeller saß. Seitdem befürwortet sie auch Auslandseinsätze der Bundeswehr. Für Becks Hilfsaktionen bedankte sich die bosnische Stadt Lukavac mit der Ehrenbürgerschaft. „Partei für die Opfer von Unrecht und Gewalt zu ergreifen“ – diese Lebensaufgabe ist für Beck eine Art Wiedergutmachung für die Untaten der Nazis. Ihre Eltern, strenggläubige Protestanten, waren beide bekennende Nationalsozialisten.

Als junge Frau wollte Beck mit Politik eigentlich gar nichts zu tun haben. Aufgewachsen in Bramsche bei Osnabrück, arbeitete sie zunächst als Deutsch-, Geschichts- und Gemeinschaftskundelehrerin in Pforzheim. Doch dann lernte sie einen Holocaust-Überlebenden kennen, den Gewerkschafter Heinz Brandt. Und der überzeugte sie davon, sich lieber einzumischen. Bei den frisch gegründeten Grünen in Baden-Württemberg stieg sie 1980 innerhalb von vier Monaten zur Landessprecherin auf – „entdeckt“ vom heutigen Regierungschef Winfried Kretschmann, wie sie sich erinnert.

Europas Spaltung überwinden

Wenn ihre Politikkarriere 2017 zu Ende geht, will sie sich trotzdem weiter in ihren bisherigen Netzwerken für „die Überwindung der Spaltung Europas und die Förderung von Rechtsstaat und Demokratie“ engagieren. „Ganz oben auf meiner Liste“, verrät sie, steht der Aufbau eines Sterbe-Hospizes in der ukrainischen Stadt Odessa. Ihren Ehemann Ralf Fücks, Chef der grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, und die beiden erwachsenen Töchter dürfte sie also auch künftig nicht viel häufiger zu sehen bekommen als bisher.

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