Das Verweilverbot am Marienplatz verschafft den Anwohnern enorme Erleichterung. Doch zum Dauerrezept taugen die drakonischen Maßnahmen wohl eher nicht. Debatte zur Zwischenbilanz.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-Süd - Die Polizei ist zufrieden, das Ordnungsamt und viele Vertreter des Stadtbezirks Süd sind es auch: Das Verweilverbot, das seit dem letzten Juniwochenende von Samstag 24 Uhr bis Sonntag 6 Uhr für den Marienplatz, aber auch am Feuersee im Westen, gilt hat sich in ihren Augen bewährt und zur Befriedung beigetragen. Die Klagen der Anwohner über Lärm, Müll und Wildpinkler seien nahezu komplett abgeebbt. Das gab Bezirksvorsteher Raiko Grieb erleichtert in der jüngsten Sitzung des Bezirksbeirates zu Kenntnis, in der der Leiter der Abteilung Sicherheit und Ordnung, Albrecht Stadler, der Leiter des Polizeireviers 3, Stefan Hartmaier sowie Baykar Tavit von der Mobilen Jugendarbeit in Stuttgart-Süd über ihre Erfahrungen der vergangenen vier Wochen berichteten.

 

Wildpinkler adieu!

Laut Hartmaier ist das Verweilverbot „ein sehr, sehr gutes Werkzeug“. Zu dessen Durchsetzung sind außer Polizeibeamten auch 20 Leute der privaten Sicherheitsfirma MKS Security GmbH aus Fellbach im Einsatz, wie Albrecht Stadler erklärte. Sie bestreiften den Marienplatz, den Feuersee und den Max-Eyth-See, sprächen die Leute auf Fehlverhalten an. Unterwegs sind in den Nächten außerdem Mitarbeiter der mobilen Jugendarbeit. Auf die zivile Ansprache reagierten die Platzbesucher weit weniger aggressiv als auf seine Beamten in Uniform, sagte Hartmaier. Ferner wurde berichtet, Dank der mobilen Toilettenanlage, die nun am Marienplatz steht, habe die Wildpinkelei aufgehört. Auch das Müllproblem sei entschärft: Ein Bereitschaftsdienst der Abfallwirtschaft Stuttgart ist nun mit sechs Mann und einer Kehrmaschine im Einsatz, und an allen drei neuralgischen Partypunkten der Stadt sind weitere Mülleimer aufgestellt worden – allein 14 Stück am Marienplatz.

Besseres Design für Politik

„Ich stehe hinter den Maßnahmen“, sagte der Bezirksvorsteher entschieden. Die Debatte zeigte, viele Bezirksbeiräte teilen seine Meinung. Man müsse die Beschwerden der Anwohner ernst nehmen, so Grieb, weil sonst keiner mehr an den Plätzen wohnen wolle, es bloß noch Büros gebe und kein Leben mehr stattfinde. Die Maßnahmen von Polizei und Verwaltung treffen aber nicht nur auf Zustimmung: „Wir sind keine großen Freunde von Verboten, weil dadurch Verdrängung stattfindet“, meinte Jugendarbeiter Baykar Tavit. „Da muss ein anderes Design gefunden werden.“ Nach seiner Einschätzung kommen „95 Prozent“ der jungen Leute, die den Marienplatz bevölkern, gar nicht aus dem Stuttgarter Süden. „Das spricht sich in den Schulen von Göppingen, Heilbronn und sonst wo herum, dass auf dem Marienplatz Party ist. In den sozialen Medien wird das ganz groß gehypt.“ Die Jugend vor Ort sei davon „krass genervt“. Viele blieben nun lieber zuhause oder säßen in Shisha-Bars herum.

Monopolisierung von Vergnügen

Bezirksbeirätin Sabine Vogel von der Linken fürchtet ebenfalls eine Verdrängung der Jugendlichen und plädierte für langfristige Strategien: „Junge Leute kommen immer zusammen, und es braucht nicht-kommerzielle Orte, an denen sie sich treffen können.“ Doch nun würden Jugendliche beispielsweise in Grünanlagen verdrängt, die unübersichtlich und insbesondere für Mädchen gefährlich seien. Wolfgang Jaworek von den Grünen fand ebenfalls, dass ein Verweilverbot zu kurz gesprungen und überdies der Einsatz von privaten Sicherheitsleuten kritisch zu sehen sei. „Man muss die Probleme nicht klein-pragmatisch angehen, sondern stadtgesellschaftlich.“ So sollten etwa Kulturveranstaltungen das Publikum am Platz aufmischen. Denn momentan regiere dort die „Monopolisierung einer einzigen Art von Nutzung“ – feucht vergnügt mit Bluetoothlautsprechern. Obwohl er den Platz liebe, gehe er selbst nicht mehr hin – ein Statement, das in der Sitzung mehrfach zu hören war.

Scharf geißelte auch Jugendrat Gregor Weber die „plumpen Maßnahmen“ der Stadt: „Man bekämpft nur die Symptome und schafft Notlösungen.“ Die Stadt hätte sich längst Konzepte überlegen müssen. „Man tut hier jetzt so überrascht, obwohl man schon 2020 Bescheid wusste.“ Zumal pöbelhafte Massenansammlungen junger Leute ja kein exklusiv Stuttgarter Problem seien, man kenne das aus anderen Großstädten. „Aber hier werden keine Alternativlösungen diskutiert. Anderswo schon.“

Rewe als Alkohollieferant

Einigkeit herrschte in der kontroversen Debatte nur darüber, dass der exorbitante Alkoholkonsum am Platz eingedämmt werden soll, und dafür muss sich die Stadt mit den Rewe-Märkten am Platz ins Benehmen setzen, die ihn verkaufen. Dazu gab es konkrete Vorschläge aus dem Gremium: die Ausweiskontrollen beim Einkauf verschärfen, das Flaschenpfand heraufsetzen, die übrige Kundschaft für die Verantwortung der Supermärkte sensibilisieren oder das abgeschaffte nächtliche Verkaufsverbot von Alkohol wieder einführen. An letzterem sind Bezirksvorsteher Grieb und das Ordnungsamt bereits dran. Sie haben sich an die Geschäftsleitung gewandt, berichtete Grieb: „Eine Antwort steht noch aus.“