Seit Anfang des Jahres ist in Colorado der Konsum von Cannabis erlaubt. Marihuana-Züchter, Anbieter von Rauschtouren und Haschischköche wittern ein gutes Geschäft – an dem auch der Staat kräftig mitverdient.

Denver - E in paar Tage war der Stoff nicht mehr zu bekommen, er war ausverkauft wegen zu großer Nachfrage. Joel Kertz hat sich schon Sorgen gemacht. Aber die haben sich jetzt verzogen. Der 31 Jahre alte Kellner aus Denver im US-Bundesstaat Colorado, die schwarzen Haare zum Pferdeschwanz gebunden, kramt in seiner Hosentasche und zieht einen in Plastik verschweißten Müsliriegel hervor. „Hier“, sagt Kertz ganz leise, als gebe es etwas zu verbergen, „es gibt das Zeug wieder. Man muss nur warten können.“  Dann lässt er seinen Schatz wieder in der Tasche verschwinden – so, als hätte er Angst, jemand könnte ihm den Riegel abnehmen.

 

Alte Gewohnheiten sterben eben langsam. Jahrzehntelang war Marihuana in Colorado verboten, ob in Form von Joints oder in Lebensmitteln. Der öffentliche Umgang damit war ein strafbewehrtes Tabu. Doch seit Anfang des Jahres ist das Rauschmittel legal. So legal wie Schnaps und Zigaretten.

Kertz lacht auf. Er hat jetzt auch selbst bemerkt, dass seine verstohlenen Handbewegungen nicht mehr zur neuen Gesetzeslage passen. Colorado, der US-Staat in den Rocky Mountains, ist über Nacht zum behördlich anerkannten Kifferparadies geworden. Denver ist die Hauptstadt einer bisher undenkbaren Marihuana-Industrie.

Linda Andrews hat gewissermaßen gerochen, dass es so kommen wird. Seit 2009 ist in Colorado Marihuana auf Rezept erhältlich, die blonde Frau hat damals das Untergeschoss ihres Hauses in der Wazee Street von Denver zur Cannabis-Apotheke umgebaut. Im Herbst 2012 stimmten 55 Prozent der Wahlberechtigten in Colorado bei einem Referendum für die Freigabe von Marihuana auch zu nicht medizinischen Zwecken. Seit dem Januar dieses Jahres dürfen Erwachsene ab 21 Jahren pro Tag bis zu 28 Gramm Marihuana kaufen. Andrews macht seither das Geschäft ihres Lebens. Der Andrang der Kiffer ist gewaltig.

Diese Familie züchtet schon länger, ursprünglich zu medizinischen Zwecken. Foto: AP

„Am ersten Tag haben wir den Laden um acht Uhr morgens aufgemacht und mussten schon nach 90 Minuten auf acht Gramm pro Person reduzieren, sonst wäre uns das Marihuana ausgegangen“, sagt Andrews. Mittlerweile gibt es nur noch drei Gramm pro Person. Mehr geben die Pflanzen nicht her, die die Geschäftsfrau in einem Nebenraum selbst zieht. Unter grellem Kunstlicht wächst dort der Nachschub für den Laden, der mit seinen Statuen, Teppichen und Wandbehängen ein bisschen aussieht wie ein Stück Indien, das sich nach Colorado verirrt hat. Andrews zeigt auf die Lampen, kichert und sagt: „Das E-Werk verdient gutes Geld an uns.“

Dann nimmt sie auf einem Ledersofa Platz und beobachtet, wie ihre Angestellte Elizabeth die Personalien eines neuen Kunden aufnimmt. Der Anzugträger hat eine dunkle Sonnenbrille auf der Nase und sagt: „Können wir das diskret machen, bitte.“ Nicht jeder ist so auskunftsfreudig wie der Kellner Joel Kertz. Der ist quietschfidel und sagt, es sei ja an der Zeit gewesen, das unsinnige Verbot von Marihuana aufzuheben. „Mann, hier in Colorado haben die Leute schon immer gekifft. Kennt ihr John Denver?“ – fragt Kertz, wartet das Ja ab und doziert dann, dass der Folksänger das Lied „Rocky Mountain High“ geschrieben habe, das zur Hymne des Bundesstaats geworden sei. „High, versteht ihr?“, sagt Kertz. John Denver ist leider tot, er kann keine Auskunft mehr geben, ob er tatsächlich das Kiffen in seinem Lied beschrieben hat oder nicht. Aber es ist eine gute Geschichte.

Die Nachfrage ist riesig. Foto: AP

Linda Andrews glaubt, dass Colorado zum Vorbild für die gesamten USA taugt. „In 50 Jahren werden wir nicht mehr wissen, dass Marihuana einmal illegal war.“ Heute spreche kaum noch jemand von der Alkohol-Prohibition der 20er Jahre, sagt sie. „Whiskey ist legal, und nicht alle sind zu Säufern geworden.“ So ähnlich denken offenbar immer mehr Amerikaner in immer mehr Bundesstaaten. In Washington etwa, gelegen im Nordwesten an der Pazifikküste, ist Cannabis inzwischen auch legalisiert worden. Mit der Öffnung der ersten Marihuana-Läden nach dem Vorbild Colorados wird im Sommer gerechnet. In Alaska und Oregon wollen Marihuana-Befürworter im Herbst über die Freigabe des Rauschmittels abstimmen lassen. Weitere Bundesstaaten dürften 2016 folgen. Bereits in 21 Staaten ist Marihuana auf Rezept für medizinische Anwendungen erhältlich. Für den von Präsident Richard Nixon 1972 ausgerufenen „Krieg gegen die Drogen“ finden sich immer weniger Soldaten. Verblasst ist die Erinnerung an die Kampagne von Präsidentengattin Nancy Reagan, die mit dem Slogan „Just Say No“ durchs Land zog.

Bisher gab es Cannabis nur als Medizin. Foto: AP

Nicht nur Händler wie Linda Andrews haben das Geschäft gewittert. Auch der Staat, der mit der Marihuana-Freigabe hofft, den Schwarzmarkt langfristig auszutrocknen, verdient viel Geld damit. Die Steuern sind hoch. Ein Gramm Cannabis vom kräftigen Typ Death Star etwa kostet 22 US-Dollar. 15 Prozent davon gehen als Marihuana-Steuer ans Finanzamt. Dazu kommen zehn Prozent außerordentliche Verkaufssteuer für den Bundesstaat Colorado. 3,5 Prozent verlangt die Stadt Denver. Und schließlich sind da noch die üblichen Staatssteuern von sieben Prozent zu entrichten. Mit Steuereinnahmen von mindestens 67 Millionen Dollar pro Jahr aus dem Marihuana-Verkauf rechnet der Staat Colorado. Ein Teil soll in Schulen fließen.

„Das ist eine gute Idee – Cannabis finanziert die Bildung“, sagt Michael Eymer und macht es sich auf dem Polster einer 200 000 Dollar teuren Stretch-Limousine bequem. Der 31 Jahre alte Mann veranstaltet Marihuana-Touren durch Denver. Weil das Rauchen von Joints nur in Privatwohnungen erlaubt ist, ist Eymer auf die Idee gekommen, die lang gestreckten Autos anzumieten und Kiffer durch die Stadt zu fahren. „Das Auto hat getönte Scheiben, niemand kann von außen sehen, was drinnen geschieht. Und der Fahrer wird auch nicht gestört, weil eine Trennwand zwischen ihm und den Passagieren ist.“

Eine Win-Win-Situation

Eine Win-win-Situation nennt Eymer das. Er ist ein Marketingmann, der hofft, dass die Polizei gnädig wegschauen wird, wenn sein Cannabis-Mobil durch Denver rollt. Das wird schon klappen, sagt Eymer. Die Cops seien ja auch daran interessiert, dass die Steuern fließen. Und schließlich habe sich auch Präsident Barack Obama selbst beeindruckt gezeigt von der Marihuana-Freigabe in Colorado, sagt Eymer. Vielleicht werde Cannabis schon bald US-weit legal sein. Dann werde auch die lästige Sache mit den Banken erledigt sein, meint der Cannabis-Chauffeur.

Michael Eymer und seine Geschäftskollegen haben derzeit arge Schwierigkeiten, Konten zu eröffnen, weil die Banken fürchten, wegen Geldwäsche verfolgt zu werden. Noch ist das Marihuana-Business also fast ausschließlich ein Bargeldgeschäft. Händlerin Andrews sagt im Scherz, sie lege die Tageseinnahmen unters Kopfkissen: „Aber unter welches, das verrate ich nicht.“

Auf den ersten Blick hat sich im Straßenbild von Denver seit der Marihuana-Legalisierung wenig verändert. Das Kiffen in der Öffentlichkeit ist untersagt, der  Joint im Auto ebenso verboten wie das Rauchen einer Tüte in den Hotels der Stadt. Das aber wiederum hat die Nachfrage nach Lebensmitteln, in denen Cannabis enthalten ist, in den vergangenen Wochen deutlich erhöht.

Fachleute aus aller Welt studieren derzeit das Experiment in Colorado. Foto: AP

Julie Dooley sagt, sie müsste eigentlich rund um die Uhr in ihrer Cannabis-Küche sein und arbeiten. Dooley, 45 Jahre alt und Mutter dreier Kinder, steht in einer Lagerhalle am Stadtrand und rührt in einem Topf, in dem seit Stunden eine nach Marihuana riechende Flüssigkeit auf kleiner Flamme köchelt. „Das ist geklärte Biobutter mit unserem Red Dragon“, sagt Dooley, die Cannabis-Bäckerin von Denver. An der Pinnwand neben dem Gasherd hängt ein Schild mit der Aufschrift „Peace and Love“.

Zusammen mit drei Angestellten stellt Dooley Müsliriegel mit Marihuana-Beigabe her. Ohne Gluten und  ohne Zucker – ganz so, wie es gesundheitsbewusste Kiffer offenbar mögen. Die Kunden reißen ihr die berauschenden Lebensmittel beinahe aus den Händen. Wer nicht raucht oder nicht rauchen darf oder Tourist ist, kann sich damit benebeln. Das Geschäft läuft bestens. Über Zahlen mag Julie Dooley nicht sprechen, doch der Umsatz stimme, sagt sie. Sie werde demnächst neues Personal einstellen. Die freundlich lachende Frau kramt aus einem Schrank eine Plastiktüte mit Marihuana hervor, legt sie auf den Tisch, riecht mit Kennernase an dem Gras und sagt, es habe sich so etwas wie ein Traum erfüllt. „Hier stehe ich – umgeben von Marihuana. Und es ist legal. Wow, das ist großartig!“

In Denver grassiert die Marihuana-Euphorie. Es gibt Kochkurse, in denen die fachgerechte Zubereitung von Lammhackbällchen mit Cannabis gelehrt wird. In manchen Clubs wird gekifft, was die Pfeifen hergeben. Die Kellner tun so, als bemerkten sie es nicht. Die Lokalzeitung „Denver Post“ hat Ricardo Baca eingestellt, den ersten Marihuana-Redakteur in den USA. Auf der Website „thecannabist“ wird für und wider die Freigabe debattiert. Dort stehen Rezepte zum Nachkochen. Grünes Chili nach Colorado-Art etwa, mit acht bis zehn Esslöffeln Olivenöl, das – natürlich – mit Cannabis versetzt ist. In sozialen Netzwerken tummeln sich Scherzkekse, die schreiben, die Denver Broncos hätten den Superbowl wahrscheinlich deswegen verloren, weil sie zu fest an der Pfeife gezogen hätten.

Inmitten der vom Marihuana selbst oder vom Cannabis-Geschäft Berauschten ist es nicht ganz einfach, einen Spielverderber zu finden. Doch es gibt ihn. Es ist Professor Dr. Jeffrey Galinkin, einer der bekanntesten Kinderheilkundler in den USA. Er beschäftigt sich an der Universität von Colorado seit einigen Jahren mit der Frage, wie Marihuana auf den Organismus von Kindern und Jugendlichen wirkt. Galinkin führt durch sein Labor und sagt, Kinder vertrügen Cannabis viel schlechter als Erwachsene. Gefährlich seien vor allem Lebensmittel, die Cannabis enthielten. Denn Kinder hätten es seit der Legalisierung leichter als zuvor, an rauschgifthaltige Riegel oder Kekse zu kommen. „Jugendliche können das Zeug im Unterricht essen, und niemand wird es merken.“ Alkohol im Klassenzimmer sei ja schließlich auch verboten, sagt Galinkin. Er ist ein Mahner, auf den die Berauschten von Denver aber wahrscheinlich nicht hören werden.