Dass Marihuana seit Beginn des Jahres im Bundesstaat Colorado frei gehandelt werden darf, ist Zeichen eines dramatischen Sinneswandels in den USA. Das Stichwort heißt Toleranz statt Kriminalisierung.

Denver - Es kommt im US-Kongress selten vor, dass sich die Vertreter beider Parteien einig sind. Ob es um die Gesundheitsreform geht oder um die Einwanderungspolitik – normalerweise enden solche Themen in Washington in unlösbaren Konfrontationen. Umso verblüffender war es, dass es diesmal nicht die geringste Meinungsverschiedenheit gab, obwohl dem Gremium Anhänger der entgegengesetzten Enden des politischen Spektrums angehörten. Das Thema, das verhandelt wurde, hätte noch vor Kurzem scharfe Kontroversen ausgelöst: Es ging um die Haftstrafen für Drogendelikte.

 

Das Parlament will die Mindeststrafen für nicht-gewalttätige Delinquenten drastisch herabsetzen. Gerade für konservative Politiker ist das ein radikaler Sinneswandel. Spätestens seit der Regierung von Richard Nixon Anfang der siebziger Jahre haben sich Republikaner immer gerne als Hardliner im sogenannten Krieg gegen die Drogen positioniert.

Toleranz gegenüber Süchtigen? In den Siebzigern undenkbar!

Doch in den USA ist ein neues Zeitalter angebrochen, was die Drogenpolitik angeht. Ein Bundesstaat nach dem anderen legalisiert den Handel von Marihuana oder lockert zumindest die Bestimmungen für den Bezug und den Gebrauch. So kann man in Colorado seit dem 1. Januar erstmals völlig legal Cannabis zum privaten Konsum kaufen. Auch der Staat New York kündigte an, dass zumindest der medizinische Gebrauch legalisiert wird. Damit kann man nun in beinahe der Hälfte des Landes in der einen oder anderen Form Cannabis kaufen und verkaufen, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten.

Die neue Drogen-Liberalität in Amerika stellt einen radikalen politischen Umschwung dar. Seit den Siebzigern war Härte gegen Drogengebrauch und Drogenhandel breiter gesellschaftlicher Konsens. Kein Politiker konnte gewählt werden, der sich nicht unerbittlich gegen Dealer und Süchtige zeigte – gleich welcher Partei er angehört. Doch in den vergangenen Jahren wurden die Stimmen immer lauter, welche die tatsächlichen und gesellschaftlichen Kosten dieses „Kriegs gegen die Drogen“ gegen den Erfolg aufrechneten. So gibt die US-Regierung heute jedes Jahr geschätzt 25 Milliarden Dollar (etwa 18 Milliarden Euro) aus, um die Drogeneinfuhr einzudämmen und im Inland den Drogenhandel und -konsum zu stoppen. Der Erfolg nach beinahe vierzig Jahren dieser Politik ist jedoch kaum messbar.

Die Zahl der Häftlinge ist sprunghaft gestiegen

Die sozialen Folgen der durchgehenden Kriminalisierung von Drogenhandel und -gebrauch sind jedoch dramatisch. Seit der „Kriegserklärung“ sind die Inhaftierungsraten dramatisch angestiegen. Kein Land der Welt sperrt heute so viele seiner Bürger ein wie die USA. 2,2 Millionen Sträflinge bevölkern heute die Gefängnisse, davon etwa die Hälfte wegen Drogendelikten.

Besonders hart trifft es dabei Minderheiten wie Latinos und Afro-Amerikaner. Ungefähr die Hälfte der inhaftierten Drogenstrafftäter ist schwarz, obwohl der Drogengebrauch unter Afro-Amerikanern nachweislich nicht höher ist als unter Weißen und obwohl Schwarze nur zwölf Prozent der Bevölkerung ausmachen. Schwarze Bürgerrechtler wie die Soziologin Michelle Alexander sprechen deshalb davon, dass die Drogenpolitik als Instrument einer systematischen Massenverfolgung der schwarzen Unterschicht benutzt wird.

Kriminalisierung ist keine Lösung

Die Obama-Regierung hat zaghafte Schritte unternommen, diese Situation zu ändern. Im Jahr 2010 wurde ein Gesetz erlassen, das die Haftstrafen für den Besitz von Crack den Strafen für den Besitz von Kokain angleicht. Das billige Crack ist die bei armen Afro-Amerikanern beliebteste Droge; die Strafen für den Besitz auch nur einer geringen Menge waren dramatisch.

Jetzt will der Kongress auf Empfehlung des Justizministers Eric Holder die Mindeststrafen weiter herabsetzen. Zudem hat Holder angekündigt, dass der Bund nichts gegen die Liberalisierung des Marihuana-Gebrauchs in den einzelnen Staaten unternehmen wird. Gil Kerlikowski, der Drogenbeauftragte des Präsidenten, gestand jüngst auch offen ein, man habe erkannt, dass man das Drogenproblem nicht durch Kriminalisierung lösen kann.