Mario Ohno ist eine Romanfigur von Wolfgang Schorlau. Im echten Leben betreibt er eine Einzimmertafel im Stuttgarter Westen. Begegnung mit einem Querdenker, der Kochen in Kunst verwandelt hat.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Es kommt nicht alle Tage vor, dass man einer Romanfigur im echten Leben begegnet. Mario Ohno ist zunächst eine literarische Gestalt. Der Stuttgarter Krimi-Autor Wolfgang Schorlau hat Ohno in seiner Dengler-Serie ein Denkmal gesetzt. „Dort betrieb er nun in ihrem gemeinsamen Wohnzimmer ein Einzimmerrestaurant, das er halb Sonja, halb seinem Lieblings-Beaujolais zuliebe ,St. Amour‘ nannte. Für siebzig Euro pro Person kochte er die besten Gerichte, die Dengler je aß, und die erlesensten Menüs, die in Stuttgart zu haben waren. Kein Wunder, Marios Wohnzimmer wurde bald zum Geheimtipp von Stuttgarts Künstlerszene“, heißt es im Roman „Die blaue Liste“.

 

Im echten Leben geht Mario Ohnos Geschichte mittlerweile so: die Einzimmertafel St. Amour findet heute in Mario Ohnos privatem Wohnzimmer an der Reinsburgstraße im Stuttgarter Westen statt. Die Menüs sind derart erlesen, dass das gastronomische Kunstprojekt längst über den Status des Geheimtipps hinaus ist. Die Stuttgarter Künstlerszene pilgert in Scharen zu Ohno, genauso wie die treuen Fans von Wolfgang Schorlau. Die erhoffen sich bei Mario Ohno die Verlängerung der Schorlau’schen Fiktion in die Realität – und bekommen ein kochendes Gesamtkunstwerk.

Die Fortführung von Beuys mit anderen Mitteln

Bei einer Portion Weißwürste samt selbst gemachter Zwiebelmarmelade („die passt noch besser als der süße Senf!“), erzählt Mario Ohno aus seinem Leben. „Ich bin fanatischer Anhänger von Joseph Beuys. Ich halte ihn für den Allerwichtigsten und versuche, seinen Begriff der sozialen Plastik in eine reale Plastik weiterzuführen“, erklärt Ohno. Wer will, kann mit dem gelernten Steinbildhauer und studierten Künstler angeregt den Kunstbegriff diskutieren. Wer möchte, kann bei Mario Ohno auch einfach nur vorzüglich speisen. Wer beide Ansätze kombiniert, hat nach einem Abend bei Ohno fürs Leben gelernt.

Der 56-Jährige tanzt auf vielen Hochzeiten zugleich. Neben seiner Einzimmertafel St. Amour betreibt er die Reinsburghallen, die Veranstaltungsraum und Ausstellungsstätte sind. Mit seinem umfunktionierten Oldtimer-Feuerwehrfahrzeug Bertha LF8, Baujahr 1974, bewirtet er private Feste. Und gemeinsam mit Anna Ohno betreibt er die Kunstpension, ein Bed-and-Breakfast mit drei Zimmern im Dachgeschoss der ehemaligen Hinterhofschmiede von 1880 an der Reinsburgstraße 86 A.

Der Durchbruch als Künstler dank Wolfgang Schorlau

Angefangen hat alles tatsächlich mit der im Roman beschriebenen Einzimmertafel an der Mozartstraße. „Das war im Jahr 2000. Wolfgang Schorlau und ich haben damals Wand an Wand gewohnt. Er hat zu der Zeit noch als IT-Manager gearbeitet“, erinnert sich Ohno. „Irgendwann wollte er von mir wissen, was ich da Abend für Abend treibe, er würde nur die Korken knallen und die Stöckelschuhe auf dem Parkett hören“, so Ohno weiter. Schließlich habe Schorlau Ohno gefragt, ob er sich das Restaurant-Kunst-Projekt zu Recherchezwecken für seinen ersten Roman anschauen könne. „Wolfgang ist dann stundenlang dagesessen und hat sich seine Notizen gemacht. Ich habe das nicht sehr ernst genommen und wieder vergessen, bis ,Die blaue Liste‘ dann tatsächlich erschienen ist und wir die erste Lesung mit drei Gängen bei mir veranstaltet haben“, sagt Ohno. „Danach ging es bei mir so ab mit den Reservierungen, dass ich mir einen Anrufbeantworter und ein Faxgerät kaufen musste.“

Aus der Wohnung in der Mozartstraße musste Ohno auch bald raus, den Nachbarn war der Umtrieb des etwas anderen Restaurants schnell zu viel. 80 Prozent seiner Gäste, schätzt Ohno, sind heute Schorlau-Leser. Wenn der gebürtige Stuttgarter ein Public Viewing der ersten Schorlau-Verfilmung in seinen Reinsburghallen veranstaltet, kommen 70 Gäste, und 150 stehen zusätzlich auf der Warteliste.

Frank Oehler ist der Patenonkel von Ohnos Sohn Max

Zurück zum Wesen seiner Einzimmertafel, zurück zum Konzept seiner je nach Sichtweise Kunst gewordenen Küche oder Küche gewordenen Kunst. Ist das Guerilla-Restaurant von Mario Ohno eigentlich eine illegale Gaststätte? „Ich koche in einer rechtlichen Grauzone und sage immer, bei mir essen Sie auf eigene Gefahr“, sagt Ohno. Ärger gab es noch nie, vielleicht, weil das Konzept des zum Kunstwerk stilisierten Mehrgänge-Menüs einfach zu sympathisch ist. „Mir war immer klar, dass meine Kunst keine Kunst sein kann, die in weißen Wänden ausgestellt wird. Bei mir wird der Betrachter zum Benutzer der Kunst“, erklärt Ohno, der durch Teller, die er mit Text bedruckt hat, in seine Essen eingreift.

Wolfgang Schorlau ist übrigens nicht der einzige Prominente in Ohnos Freundeskreis. Sternekoch Frank Oehler von der Speisemeisterei hat er beim Kochen kennengelernt. Heute ist Oehler der Patenonkel von Ohnos sechsjährigem Sohn Max. Tochter Elsa ist vier Jahre alt. Von der Mutter Anna Ohno hat sich Mario inzwischen wieder getrennt. „Seitdem läuft es zwischen uns auch als Menschen wieder viel besser.“ Was für ein knochentrockener Satz zum Abschied! Könnte glatt von einer Romanfigur stammen.