Stuttgarter Wissenschaftler und eine Hotelkette versuchen, das Wegwerfen von Lebensmitteln zu verhindern. Das wird genau dokumentiert und wenn die Wurst nur 0,56 Kilogramm wiegt, ist das ein Erfolg.

Stuttgart - Der Erfolg zeigt sich für Sternekoch Lutz Niemann auf einer Platte mit Wurstscheiben. Sie steht in der Küche des Maritim-Hotels in Stuttgart auf einer glänzenden Waage, die über ein Kabel mit einem Computer verbunden ist. Der Bildschirm verkündet, dass die Wurst 0,56 Kilogramm wiegt. Es ist gegen 11 Uhr am Morgen, Mitarbeiter räumen gerade zur Seite, was die 450 Gäste vom Frühstücksbüfett übrig ließen. Neben dem Wurstteller wandern Teller mit Lachs, Rührei und Käse über die Waage. Danach werden die Speisen in den Müll gekippt.

 

Trotzdem ist Niemann zufrieden. Denn es waren schon deutlich mehr Lebensmittel, die man nach dem Frühstück wegwerfen musste, weil das aus Hygienegründen so vorgeschrieben ist. Für die Hotelkette ist das Wiegen ein Ansatz, um den Abfall zu reduzieren. „Wir sensibilisieren damit unsere Mitarbeiter dafür“, sagt Niemann.

Mit der Universität Stuttgart wurde 2012 ein Programm entwickelt, das die mittels Waage erfassten Daten auswertet. Als Konsequenz hat das Maritim umgestellt: Fürs Frühstück richten die Mitarbeiter zunächst wie bisher große Platten an, gegen Ende der Büfettzeit tragen sie dann nur noch kleinere Teller mit entsprechend kleineren Portionen auf. „So schaffen wir es, die Reste zu reduzieren, ohne dass ein Gast etwas vermisst“, sagt Niemann.

Warum wurde etwas weggeworfen?

Als Küchendirektor verantwortet Niemann den Einkauf für alle Hotelstandorte. Er selbst kocht am Timmendorfer Strand, wo die Angaben zu den Frühstücksresten in die Software-Anwendung eingetippt wurden. Laut Maritim gelang es dort seit Programmstart, die Lebensmittelabfälle um 80 Prozent zu reduzieren.

Hinter der Software steht ein Team um Gerold Hafner vom Lehrstuhl für Abfallwirtschaft an der Uni Stuttgart. Für Hafner spielt bei der Auswertung der Speisereste nicht nur eine Rolle, was weggeworfen wurde, sondern auch, warum. „Hat das Essen nicht geschmeckt oder kamen vielleicht weniger Gäste als angekündigt? Die Gründe zu kennen ist wichtig, um in Zukunft besser kalkulieren zu können.“ Im Hotel beispielsweise hat sich gezeigt, dass für Geschäftsleute anders aufgefahren werden muss als für Urlaubsgäste. Auch können die Geschmäcker je nach Nationalität der Gäste abweichen. Die Software kommt mittlerweile auch bei Caterings, in Kantinen und bei Lebensmittelautomaten zum Einsatz. Sie wird ständig weiterentwickelt. Vor Kurzem ging eine abgespeckte, kostenlose Version für kleine Betriebe online. Bis 2030 die Lebensmittelverschwendung zu halbieren, wie es sich die Vereinten Nationen zum Ziel gesetzt haben, hält Hafner zwar für ambitioniert. Aber: „Wenn man sich die Menge anschaut, wäre man auch über 20 Prozent froh.“

81,6 Kilogramm landen in der Tonne

Bundesweit werden jährlich rund elf Millionen Tonnen Lebensmittel entsorgt. Einer Studie für das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zufolge sind Großverbraucher wie Gaststätten oder Kantinen für rund 17 Prozent verantwortlich, private Haushalte für 61 Prozent. Im Schnitt kloppt demnach jeder Einwohner 81,6 Kilogramm Lebensmittel pro Jahr in die Tonne – weil er zu viel einkauft, die Ware falsch lagert oder zu große Portionen kocht.

Bei den Endverbrauchern fehle ein ökonomischer Druck zur Vermeidung, meint Martina Boehm, Professorin der Dualen Hochschule Heilbronn. Ein Hauptproblem sei, dass die Menschen heute eher dem Mindesthaltbarkeitsdatum auf der Verpackung vertrauen als ihrer Nase.