Mark Andre beim Musikfest Stuttgart Starke Stimmen und ein trotziger Bach

Hans-Christoph Rademann (li.) und der Altist Alex Potter Foto: Musikfest/Holger Schneider

Beim Musikfest Stuttgart bringt Hans-Christoph Rademann Bach-Kantaten und ein neues Stück von Mark Andre zusammen.

Der Abend wird immer besser. Am Anfang, bei Bachs Motette „Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf“, mischen sich die Stimmen der beiden Chorgruppen und die Klänge aus dem Orchester über den Köpfen des Publikums in der Stiftskirche noch so diffus, dass man sich fragt, ob man bei dieser problematischen Akustik auf die instrumentale Verdoppelung nicht besser hätte verzichten sollen. Am Ende jedoch steht eine intellektuell wie emotional durchdrungene Choralkantate von packender Lebendigkeit.

 

„Gelobet sei der Herr, mein Gott“ (BWV 129) hat schon im Eingangschor etwas Tänzerisches, das sich in der Bass-Arie nahtlos fortsetzt – auch dank des virtuos aufspielenden Solocellisten Guido Larisch, der sonst beim Freiburger Barockorchester mitspielt. Hier ist er Teil der Gaechinger Cantorey. Und diese wiederum ist in diesem Stück Teil eines instrumental wie vokal glänzenden Gesamtkunstwerks: mit Instrumentalisten, die nicht nur kunstvoll und sehr klangschön (Oboen!), sondern auch wach zuhörend musizieren; mit einem Chor, der sehr klar, in guter Balance singt und dabei immer wieder fast frei zu schwingen scheint.

Exzellente Vokalsolisten

Auch die Vokalsolisten sind exzellent. Die Sopranistin Dorothee Mields wird in ihrer Arie sekundiert von einem Trio aus Cello, Violine und Traversflöte, die spielerisch ein Motiv im Kreis herumgeben. Der Altus Alex Potter, hier geradezu zärtlich begleitet von einer Oboe d’amore, vereint – was in dieser Stimmlage nicht die Regel ist – Präzision mit Emphase. Und der Bass Kresimir Strazanac hat nicht nur viel Tiefe, sondern singt auch sehr textnah und klanglich differenziert.

In der Kantate „Es ist ein trotzig und verzagt Ding“ (BWV 176) steht unter Hans-Christoph Rademanns Leitung das Trotzige eindeutig im Vordergrund – woran Bach allerdings selbst mit Schuld hat, weil die trotzigen Tonwiederholungen deutlich markanter sind als die Seufzer in Halbtonschritten, mit denen er die Verzagtheit charakterisiert.

Mark Andres „rwh 2“ beschäftigt sich mit Atem, Wind, dem (Heiligen) Geist

Zwischen den Kantaten eingebettet ist ein Stück, das die Bachakademie bei dem in Berlin lebenden französischen Komponisten Mark Andre in Auftrag gab: „rwh 2“ ist Teil eines vierteiligen Werkzyklus für Chöre und Orchester, in dem es um Luft geht, Wind, um den (Heiligen) Geist. Und – wie immer bei Andre – um eine atmende Stille. Um die Zerbrechlichkeit, das Werden und Vergehen von Klängen, die das Publikum umkreisen.

Am Freitagabend übernimmt den Instrumentalpart das in der Kirche verteilte Ensemble Ascolta; die Klänge, die ihre Körperlichkeit erst noch finden müssen, mäandern vom präparierten Klavier zu erst tonlos agierenden, später gedämpften Streichern, zu Akkordeon und Kontrabass im hinteren Kirchenraum, zum Chor vorne, der auch mal mit Notenblättern rascheln darf, zum Schlagzeug. Ein eindrucksvolles leises, zartes Stück – auch wenn es bis zum letzten rhythmischen Aushauchen ein bisschen zu lange braucht. Aber das Publikum jubelt. Und das bei Neuer Musik!

Musikfest im Radio: Das Konzert wird am 22. August ab 13.05 Uhr im SWR2-Mittagskonzert gesendet.

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