Beim Schäferlauf feiert die Stadt einen neuen Schäferkönig und zugleich ihre Geschichte als Mittelpunkt des Schäferwesens. Doch heute steht es um den Beruf nicht gut: Die Rückkehr des Wolfs und mangelnde Förderung bereiten den Hütern Sorgen.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Markgröningen - Um 14.19 Uhr am Samstag kommt der Regen. Stark und peitschend. Er vertreibt die Besucher von den nichtüberdachten Tribünen rund um das Stoppelfeld am Rande Markgröningens. Die flüchten, so gut sie können, unter die Überdachungen. Der zweite Lauf der Wasserträgerinnen über die 300 Meter findet gerade noch statt. Dann verordnet das Wetter dem Programm eine Pause – und alle schauen besorgt an den dunklen Himmel. Die Königsdisziplin, der Schäferlauf, steht da noch aus. Vor den Wassermassen kapituliert auch die Stromversorgung. Durchsagen sind unmöglich.

 

„Ich kann mich nicht erinnern, dass es schon einmal so heftig geregnet hat“, sagt später Frank Blessing, der Tourismus- und Marketingchef der Stadt. Er ist nicht der einzige, der mit durchnässter Kleidung auf dem Platz stand. Nach gut zehn Minuten hört der Regen auf. Um 14.34 Uhr kommt der Strom zurück. Der Moderator Wolfgang Milde kann den Lauf um die Schäferinnenkrone und den um die Schäferkrone ansagen. 16 junge Frauen und acht junge Männer, alle aus Schäferfamilien stammend, gehen auf die Strecke. Die ist nach dem großen Regen matschig, die Strohhalme sind glitschig. Aber das Feld ist wegen der frühen Ernte weniger stachelig.

Beim Hahnetanz durfte man früher nur ledig mitmachen

Bei den Frauen siegt die amtierende Königin, die 15-jährige Simona Mack aus Ellwangen. Bei den Männern kommt Dominik Fröschle (17) aus Bad Wildbad als Erster ins Ziel. Extra trainiert haben beide nicht auf den Lauf. „Ich mache halt viel Sport“, sagt die Gewinnerin. „Das Rennen ist man ja von den Schafen gewohnt“, sagt Fröschle.

Beim Hahnentanz, bei dem die Paare ein hoch oben am Galgen mit dem Hahnenkorb aufgestelltes Glas Wasser mit dem Kopf wegstoßen müssen, werden bei alteingesessenen Markgröningerinnen Erinnerungen wach. „In den 60er Jahren durfte man nur ledig mittanzen“, erinnert sich Magdalene Weigel. Weil sie im Juli heiratete, durfte sie im August nicht mittanzen. „Weinend habe ich den Tanzpaaren zugeschaut“, sagt sie heute lachend.

Markgröninger Tradition für das chinesische Fernsehen

Den Regen hätte das Team, das in Markgröningen einen Film für das chinesische Fernsehehen dreht, nicht gebraucht. Es werden zwar nur drei Minuten vom Fest in die Dokumentation eingehen. Aber für die Regisseurin Quing Chao ist der Lauf über das Stoppelfeld exotisch. Wobei sie eher von den jungen Frauen begeistert ist, die einen Holzzuber auf dem Kopf über das Feld tragen. Sie will in Markgröningen ein Stück deutscher Kultur einfangen und attestiert den Läuferinnen einen „brave spirit“, Mut und Tüchtigkeit also.

Begonnen hat der Tag traditionell mit der Abholung des Landrats Rainer Haas am Stadtrand. Der wohl 560. Schäferlauf – so genau kann man das nicht sagen – folgt einem alten Protokoll, dem sich offenbar alle Beteiligten gerne unterwerfen. In einer Kutsche fährt Haas, als der Amtsnachfolger der Vögte aus vordemokratischer Zeit, zusammen mit dem Markgröninger Bürgermeister Rudolf Kürner vor dem Rathaus vor. Wie später die anderen Ehrengäste aus Bundes- und Landtag – Steffen Bilger, Ingo Rust, Markus Rösler, Konrad Epple und Thomas Reusch-Frey, – winken sie huldvoll der Menge zu. Die Schäferzünfte haben sich einst auf Markgröningen als jährlichen Treffpunkt zur Besprechung ihrer Angelegenheiten geeinigt. Ihre Zunftfahne deponieren sie das Jahr über im Rathaus. Und so gehört es zu den wiederkehrenden Ritualen des Schäferlaufsamstags, dass die Zunftlade an die Schäfer zurückgeht.

Auf dem Weg zur Koexistenz von Mensch, Schaf und Wolf

Aber das Treffen der Schäfer will mehr als nur Folklore sein. Da sind die dunklen Wolken am Himmel sehr symbolträchtig. Die Zahl der Schafe in Baden-Württemberg liegt bei nur noch 216 000. „Wir haben Nachwuchssorgen“, sagt Annette Wohlfahrt, die Geschäftsführerin des Landesschafzuchtverbandes. Die Förderung sei zu gering angesichts des Beitrags der Schäfer zum Naturschutz. Eine Weideprämie sei längst überfällig. Für einen Stundenlohn von 4,80 Euro arbeite ein Schäfer heute. Mit Sorge schaut Wohlfahrt auf die Rückkehr des Wolfes. „Wer den Wolf will, muss für den Schaden bezahlen.“

Gleich zwei Wolfsfürsprecher sind zu Gast in Markgröningen. Der Grünen-Landtagsabgeordnete und Wolfsbeauftragte Markus Rösler und Claus Peter Hutter, der Präsident der Umweltstiftung Natur-Life-International. Beide halten die Koexistenz Wolf-Schaf-Mensch für möglich. Hutter verweist auf Spanien, wo die Schäfer viel Erfahrung damit haben. Und da Jesús Garzón, ein erfahrender Kollege aus Spanien, in Markgröningen zu Gast war, wird bereits ein erster Erfahrungsaustausch vereinbart. Beides ist der Schäferlauf noch bis Montag: Netzwerk und Selbstverortung.