Jedem Monat durchforstet unser Kolumnist für Sie die Bestsellerliste: Diesmal ist er auf zwei Krimis gestoßen, die ihn mit der Frage konfrontieren, ob es nicht altmodisch ist, noch selbst zu schreiben.

Stuttgart - In diesen Wochen fängt für mich wieder das Marathontraining an. Das bedeutet, es stehen lange ruhige Läufe an den Wochenenden an, die schon einmal zwei bis drei Stunden dauern können. Beim Laufen kommen mir stets schöne Ideen, zum Beispiel, was ich in dieser Kolumne schreiben könnte oder was ich meinem Freund T. zur aktuellen politischen und gesellschaftlichen Lage noch unbedingt sagen muss. Bislang habe ich diese Ideen nicht kommerziell genutzt. Das sollte sich ändern. Ich könnte sie zum Beispiel Annegret Kramp-Karrenbauer angedeihen lassen. Sie muss sie dann nur noch im Detail ausarbeiten (lassen) und könnte sie danach der Öffentlichkeit unter dem Titel „Umfassendes Konzept zur Reform der Bundeswehr. Nach einer Idee von Markus Reiter“ veröffentlichen.

 

Leider steht zu befürchten, dass die Sache im Sande verläuft. Das Internet und die traditionellen Medien sind bereits heute voll mit Ideen, wie man die Menschheit vor dem Untergang retten kann. Leider haben ihre Urheber gerade weder Zeit noch Muße, sich mit den Einzelheiten zu befassen.

In der Welt der Bestseller ist das anders. Sehr erfolgreiche amerikanische Thrillerautoren haben schon vor vielen Jahren angefangen, nur noch die Ideen für Romane zu entwickeln. Die Fronarbeit des Schreibens erledigen andere für sie. Nun ist auch Deutschlands erfolgreichster Psychothrillerautor Sebastian Fitzek auf den Zug aufgesprungen. Fitzeks Dauererfolg auf der Bestsellerliste war mir schon immer ein Rätsel. Seine Storylines schwanken in der Regel zwischen grotesk und inkonsequent, seine Plots sind bemüht und sein permanenter Ausstoß neuer Bücher schlägt sich in der Schlampigkeit seiner Sprache nieder.

Dürftige Sprache

Ich hegte also keinen hohen Erwartungen, als ich mir für diese Kolumne „Auris“, geschrieben von Vincent Kliesch „nach einer Idee von Sebastian Fitzek“ („Spiegel“-Bestseller Taschenbuch Platz 6, Droemer, 352 Seiten, 12,99 Euro), zur Hand nahm. Zum Glück, denn so wurde ich am Ende nicht enttäuscht. Schon in seinem Vorwort erzählt Fitzek in einem penetrant flapsigen Ton, die Idee zum Buch sei ihm bei einem Telefonat während einer Autofahrt zwischen mehreren Funklöchern gekommen. Warum nicht mal einen Thriller um einen phonetischen Profiler schreiben, dachte er sich? Über einen Typen, der aus ein paar Sekunden krächzender Stimmenaufnahme eine Diagnose stellen kann, für die ein Neurologe einen Patienten aufwendig untersuchen müsste (wie in der Auftaktszene)? Um die schreiberischen Details durfte sich Kollege Vincent Kliesch kümmern (Fitzek machte immerhin parallel ein Hörspiel daraus).

Der Superduper-Profiler heißt Matthias Hegel, genannt „Auris“ (lat.: das Ohr), und gesteht eines Tages aus heiterem Himmel einen Mord an einer Obdachlosen. Die junge Podcasterin Jula Ansorge, selbst belastet durch ein traumatisches Erlebnis, will aber nicht an seine Schuld glauben. Und so holpert die abstruse Handlung dahin, nimmt einige (zugegeben überraschende) Wendungen und mündet in einen Cliffhanger fürs nächste Buch. Zwischendurch verliert der ausführende Autor immer wieder die Fäden einiger seiner Figuren. Das Ganzes ergibt einen ziemlich mittelmäßigen Psychothriller in dürftiger Sprache. Allein auf der ersten Seite hätte ich sieben überflüssige Adjektive gestrichen. Man fragt sich, warum Kliesch für die Ausführung dieser Idee drei Jahre brauchte. Ein gewisser Sebastian Fitzek hätte das Ding in drei Monaten rausgehauen.

Klischees ihrer selbst

Donna Leon schreibt, soweit ich weiß, ihre Romane noch selbst. Inzwischen ist sie beim 28. Fall für Commissario Brunetti angekommen. So langsam droht sie leider in eine Schleife hineinzugeraten, bei der ihre an sich sympathischen Figuren nur noch als Klischees ihrer selbst dienen. Signorina Elettra zum Beispiel entwickelte sich mit der Zeit von der pfiffigen, internetaffinen Assistentin des Vize-Questore zur Super-Hackerin mit europaweiten Kontakten. Brunetti selbst neigt inzwischen dazu, wo er geht und steht über den Zustand seiner Heimatstadt, die klassische Literatur und die Gesellschaft als Ganzes zu philosophieren und damit den Fortgang der Krimihandlung aufzuhalten. Wie in dem neuen Roman „Ein Sohn ist uns gegeben“ („Spiegel“-Bestseller Hardcover Belletristik Platz 12, Diogenes, 320 Seiten, 24 Euro), in dem ein reicher schwuler Exil-Spanier in Venedig seinen jungen Liebhaber adoptieren will. Das passt Brunettis Schwiegervater nicht, weshalb der Commissario nun in der Sache Erkundigungen einholen soll. Von da an dauert es die Hälfte des Buchs bis zum ersten Mord. Immerhin erweist sich das vorangestellte Motiv aus einem Händel-Oratorium als eine nette Idee.