Die Geophysikerin Christiane Heinicke hat ein Jahr lang mit zwei anderen Frauen und drei Männern in einer „Raumstation“ auf Hawaii gelebt, in der die Bedingungen auf dem Mars simuliert werden. Im Interview spricht sie über ihre Erfahrungen und die heikle Gruppendynamik.

Stuttgart - Das Projekt „Hawaii Space Exploration Analog and Simulation“ der NASA und der Universität Hawaii sollte ein Jahr lang testen, wie Menschen unter widrigsten Bedingungen auf engem Raum zusammenleben. Die Forscher erhoffen sich Erkenntnisse für künftige Marsmissionen, bei denen allein die Anreise mehr als ein Jahr dauert. Wie schafft man es, dass sich Menschen unter diesen Bedingungen vertragen? Die sächsische Geophysikerin Christiane Heinicke war dabei.

 
Frau Heinicke, Sie haben ein Jahr auf dem Mars verbracht, genau genommen in der Simulation eines Marshabitats. Was haben Sie nach Ihrer Rückkehr als Erstes getan?
Ich habe eine Schüssel Himbeeren gegessen und Tomaten, echte frische Tomaten. Dann bin ich auf den Hügel hinter dem Habitat und habe die Ruhe genossen und den Wind gespürt.
Sie waren entweder in Ihrem beengten Habitat oder bei Außenbordeinsätzen in Ihrem Raumanzug eingesperrt. Hat Ihnen die Natur gefehlt?
Ja, das war tatsächlich hart. Ich war oft draußen, obwohl die Außeneinsätze super aufwendig waren, und ich dachte oft: Wie schön wäre es, jetzt mal die Sonne auf der Haut zu spüren und nicht nur zu merken, dass es zu warm wird im Raumanzug. Oder den Wind auf der Haut. Oder die eigenen Schritte zu hören anstatt des Rauschens des Ventilators. Das war ja eine Frage der Simulation: Was macht das mit der Psyche?
Und? Kann man damit auf Dauer leben?
Das kommt auf die Persönlichkeit an. Ich konnte damit sehr gut leben, aber auch deshalb, weil der Rest des Experiments so spannend war und weil ich dort mit drei sehr engen Freunden zusammengelebt habe.
Die Gruppe bestand mit Ihnen aus sechs Personen. Was war mit den anderen beiden?
Wie gesagt: Mit dreien bin ich gut befreundet, mit den beiden anderen muss ich nicht unbedingt weiterhin Kontakt haben.
Das klingt so, als könnte und sollte man aus Ihrem Experiment etwas lernen für die Auswahl der Teams künftiger Marsmissionen.
Ja, das kann man sicher. Die Auswahl der Gruppe hätte besser sein können. Aber eines der Hauptziele war ja zu erkunden, wie man eine Gruppe zusammenstellt, die sich nicht nach einem Jahr an die Gurgel geht. Ich denke, man muss noch mehr darauf achten, tatsächlich ein Team und keine Einzelpersonen auszuwählen.
Ich nehme an, Sie sind sich nicht gegenseitig an die Gurgel gegangen?
Nein, bei Arbeitssituationen haben wir bis zum Ende zusammengehalten. Spannend finde ich die Auswertung der Experimente, die noch läuft: Wie wirkt sich das Sozialverhalten auf die Leistungsfähigkeit der Gruppe aus, welche Rolle spielt Schlaf, wie kann man die Gruppe von außen unterstützen? Solche Fragen sind wichtig für Marsmissionen.
Wie war die Stimmung in der Gruppe über die lange Zeit?
Typisch für Gruppen auf Langzeitmissionen: Am Anfang ist alles aufregend und spannend, da verträgt man sich noch. Nach etwa einem halben Jahr treten die ersten Risse und Brüche auf, dann wird es anstrengend. Konflikte häufen sich. Bei uns ging es später wieder bergauf, als das Ende der Simulation in Sicht kam. Bei einer echten Marsmission ist allerdings nach sechs Monaten nicht die Hälfte geschafft.
Was trägt Ihre Simulation zur Lösung solcher Probleme auf künftigen Marsmissionen bei?
Wir haben verschiedene Experimente gemacht, die die Stimmung objektiver messen sollen als eine Selbstauskunft, beispielsweise ein Computerspiel, bei dem Kooperation wichtig ist. Das Problem bei Astronauten ist ja, dass sie eventuell lügen, wenn die Bodenstation fragt: Wie geht es dir? Sie wollen nicht blöd dastehen, wollen die Mission nicht gefährden oder wieder rausfliegen. Die Stimmung zu kennen ist aber wichtig, um helfen zu können.
Haben Sie die Tage gezählt?
Nein, ich nicht – andere schon. Ich war ganz aus dem Häuschen, als ein Kollege eines Tages sagte: 100 Tage sind noch übrig. Ich war fast ein bisschen traurig, weil ich meine Arbeit dort mochte: die geologischen Experimente auf dem Vulkan beispielsweise.
Sie waren im Auswahlverfahren des Wettbewerbs „Die Astronautin“: Ist Ihnen das Thema Frauen in der Raumfahrt ein Anliegen?
Ja, Frauen in technischen Berufen allgemein. Schon im Studium hat es mich geärgert, wenn Frauen damit kokettieren, wie schlecht sie in Physik sind. Warum sollten Frauen das nicht können? Aber es fehlt natürlich auch an Vorbildern, die den Mädchen zurufen: Du musst nicht Friseurin werden, du kannst auch was Spannendes machen!
Würden Sie zum Mars fliegen, wenn sich Ihnen die Möglichkeit böte?
Auf jeden Fall. Das finde ich super spannend, schon um die Frage der Herkunft des Lebens zu klären. Der Mars kann uns viel verraten, so viel ist dort noch nicht erforscht. Einen One-Way-Flug würde ich allerdings ablehnen: Dafür lebe ich zu gerne auf der Erde.

Zur Person Christiane Heinicke

Christiane Heinicke (31) ist Geophysikerin. Von August 2015 bis August 2016 hat sie zusammen mit zwei anderen Frauen und drei Männern in einem sogenannten Marshabitat gelebt. Die Station wurde auf Hawaii am Hang des Vulkans Mauna Loa in 2500 Meter Höhe gebaut.

Heinicke untersuchte in dem von der Nasa und der Uni Hawaii betriebenen Projekt, wie man aus Lava Wasser gewinnen kann. Die Physikerin aus Sachsen-Anhalt ist Raumfahrt-Fan und hat auch am Wettbewerb „Die Astronautin“ teilgenommen, der die erste deutsche Frau ins All schicken möchte. Ihre Erfahrungen hat sie in dem Buch „Leben auf dem Mars“ festgehalten (Verlag Knaur HC, 320 Seiten, 16,99 Euro).