Der amerikanische Regisseur Martin Scorsese hat 1990 in „Goodfellas“ von kleinen Verbrechern und ihrer Welt des Wegnehmens erzählt und damit einen der prägnantesten amerikanischen Gangsterfilme vorgelegt. Am Samstag wird Scorsese 70 Jahre alt.

Stuttgart - Nur weil Tommy gerade eine witzige Geschichte erzählt hat, lässt er sich noch lange nicht als ulkiger Typ bezeichnen. Im Nu braust der von Joe Pesci gespielte, auch in körperlicher Hinsicht kleine Gangster auf, als er dieses Kompliment erhält. Gereizt stellt er in Martin Scorseses „Goodfellas“ seinen jüngeren Kumpanen Henry Hill zur Rede. Und in der Rolle seines Lebens zeigt Ray Liotta nun, wie Henry jähe Angst ums nackte Leben hat, das aber nicht zeigen darf, weil er sonst als schwach und unzuverlässig gilt und mindestens die Verbannung aus der Gangsterwelt fürchten muss.

 

Aber Henry darf auch nicht zu selbstbewusst wirken oder zu spöttisch, sonst wird Tommy, dessen gute Laune in der Zeit eines Lidschlags in ihr Gegenteil gekippt ist, entscheiden, dass er sein Gesicht wahren muss, was in seinem Fall alles bedeuten kann vom Herumdrohen mit der Pistole, bis das Gegenüber in Angstschweiß über den Boden kriecht, bis hin zum Niederschießen, eine ganze Revolvertrommel in den Bauch des Opfers, gefolgt von einem Kommentar wie „Ist doch keine große Sache. Der Typ ist mir auf die Eier gegangen!“

Die Stimmung kann jederzeit kippen

Henry wird davonkommen. Der reizbare Tommy wird plötzlich losgackern, sich auf die Schenkel klopfen und beteuern, er habe diesen Jüngling aber drangekriegt. Ob das stimmt oder ob er knapp vorm Durchdrehen war, kann keiner sagen, aber alle lachen mit. Schließlich leben diese Gangster in einer instabilen Subkultur, in der Beziehungen jederzeit kippen können, wenn es um Ehre, um Profit, vor allem aber, wenn es um die eigene Haut geht.

Martin Scorsese, der morgen siebzig Jahre alt wird, hat 1990  mit „Goodfellas“ einen der prägnantesten amerikanischen Gangsterfilme vorgelegt, den Gegenentwurf zu Francis Ford CoppolasMafia-Trilogie „Der Pate“. Bei Coppola erleben wir große Oper, eine Geschichte der Bosse, ein Königsdrama voll imposanter Krisen, raffinierter Intrigen und schmerzlicher Kämpfe, eine Geschichte von sozialem Aufstieg und kultureller wie politischer Horizonterweiterung. Bei Coppola webt das Kino an einem Mythos.

Scorsese erzählt vom anderen Ende des Verbrechens, vom schäbigen, brutalen, dreckigen und kleingeistigen Milieu der Halsabschneider und Gierschlunde. Hier gibt es keine Don-Corleone-Figuren und keine sizilianische Folklore, schon deshalb nicht, weil dieses Fußvolk zwar mit und für die Mafia arbeitet, ihr aber gar nicht wirklich angehört.

Ein Gegenentwurf zum „Paten“

Dies sind keine „made Guys“, keine offiziell in einen Mafiaclan aufgenommenen Unantastbaren. Ihnen fehlt die reine sizilianische Blutslinie. Der von Liotta gespielte Henry und der von Robert DeNiro gespielte Jimmy stecken als anteilig Irischstämmige auf ewig im Proletariat dieser Schattengesellschaft fest.

Scorsese, der in einem Little Italy genannten Stadtteil New Yorks aufgewachsen ist, hat „Goodfellas“ aber keineswegs nur als Antwort auf den „Paten“ angelegt. Er entwickelt hier auch eigene Themen und Blickwinkel weiter. Die laute Gaunerkultur, die unter den Fenstern der arbeitenden Bevölkerung ihre Variante des besseren Lebens vorführt, in auf Edel getrimmten Knackikneipen und in nächtelangen Würfelspielen auf offener Straße, kam schließlich auch in früheren Filmen von Scorsese vor, in „Who’s that knocking at my Door“, in „Mean Streets – Hexenkessel“ (1973) oder in „Taxi Driver“ (1976).

Der Drang nach Wohlstand schafft sich ein Ventil

In „Goodfellas“ geht es Scorsese nicht darum, noch einmal anhand der Verwicklung von Jungs aus der Nachbarschaft ins Verbrechen große Themen seines Katholizismus abzuarbeiten, Sünde, Gnade, Erlösung und Versuchung. Es geht ihm auch nicht wie in „Taxi Driver“ darum, eine Wut über den Verfall der Städte und Verhältnisse zu schildern, die so destruktiv ist wie das, worauf sie sich richtet. Scorsese schaut jetzt kühler, analytischer, sardonisch amüsiert auf das Räderwerk eines Systems, dessen Funktionieren anhand von Einzelschicksalen erklärt wird.

„Goodfellas“ erklärt, wie der Drang nach Wohlstand, Glanz und Impulsbefriedigung im Gangstertum seine Ausprägung findet. Und zeigt, wie dieser amerikanische Traum des „Gib mir das Deine, aber sofort!“ Momente des Glücks gebiert und endlose Paranoia: Jeder kann einem dauernd an den Kragen wollen, gerade dann, wenn er mit ausgestreckten Armen auf einen zu tritt.

Es gehe in der Mafia nicht zu wie im Film, erklärt uns Henry, es gebe keinen Streit, wenn man auf der Abschussliste stehe. Man werde mit einem Lächeln umgebracht, nach der Zusicherung, alles sei in Ordnung. Ja, „Goodfellas“ ist auch ein sarkastisches Werk. Eines, das uns bewusst hält, mit Standbildern, ironischen Kontrasten und gegen Ende damit, dass der als Erzähler fungierende Hill aus einer Gerichtsszene heraustritt und direkt in die Kamera spricht, dass uns hier ein Film erzählt, wie das Leben sei, nämlich anders als Filme. Und dieses Verhältnis von Film und Wahrheit ist eines, dem Scorsese schon sein ganzes Leben und hoffentlich noch recht lange zu unserem Gewinn nachspürt.

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