Seit einem Jahr sitzt der Martin Sonneborn für Die Partei im Europaparlament und tut so, als ob er Politiker wäre, sprich: er kommt spät, arbeitet wenig und kassiert viel Geld. Sonneborn, der Anti-Politiker, lockt die Massen – auch an der Uni Tübingen.

Tübingen - „Es gibt nur vier, fünf Arten auf den alltäglichen Irrsinn des kapitalistischen Systems zu reagieren: Alkoholismus, bewaffneter Widerstand, Politik, Satire.“ Hat wer gesagt? Andreas Baader, Kropotkin oder Mao? Oder war es doch Martin Sonneborn? Stimmt genau. Der gibt so etwas von sich. Seit einem Jahr sitzt der Satiriker für die Spaßpartei Die Partei im Europaparlament und tut so, als ob er Politiker wäre, erfüllt dabei jedes Klischee und Vorurteil. Kommt spät, arbeitet wenig und kassiert viel Geld.

 

Anders als andere Politiker kommt Sonneborn damit gut klar und beim Wähler gut an. Sonneborn, der Anti-Politiker, ist ein Politiker, der die Massen zieht. Der Hörsaal 25 der Universität Tübingen ist am Mittwoch mit siebenhundert Menschen gestopft voll, als der Fünfzigjährige in Jeans und schwarzem Hemd in der für ihn üblichen Siegerpose mit den hochgereckten Armen die Bühne besteigt.

Im Vorlesungssaal nebenan verfolgen weitere dreihundert Zuschauer den Auftritt im Videostream. Die meisten sind keine Dreißig. Soviel Zuspruch hat an der Uni Tübingen schon lange kein Berufspolitiker mehr erfahren – schon gar nicht in dieser Altersklasse. Es dürfte wohl eine lange Zeit dauern, bis es wieder soweit ist.

Häns Dämpf will Ministerpräsident werden

In einer Studentenstadt jedoch, in der 2,3 Prozent der Wähler den Ex-Philosophiestudenten Markus Voigt alias Häns Dämpf für Die Partei in den Stadtrat gewählt haben, erstaunt das wenig. Häns Dämpf tritt im kommenden Jahr bei der Landtagswahl an und will Ministerpräsident werden, natürlich nur von Württemberg, da das Bindestrichland geteilt werden soll, denn: „Teilen verbindet“, so der Slogan.

Dämpf, der entfernt an eine verunglückte Karikatur von Johnny Depp erinnert, ist an diesem Abend auch da. Heute aber geht es ganz ohne Zweifel nur um einen: Sonneborn. Man kennt den Eins-neunzig-irgendwas-Schlacks als Außenreporter aus der ZDF-„heute-show“, wenn er den Pressesprecher der Deutschen Bank mit abgesprochenen Interviews in die Bredouille bringt oder arglosen chinesischen Schriftstellern auf der Buchmesse Sätze über Menschenrechtsverletzungen in den Mund legt und diplomatische Verwicklungen hervorruft.

Davor hat er als Chefredakteur der Satirezeitschrift „Titanic“ unter anderem die Fußballweltmeisterschaft nach Deutschland geholt, weil er korrupten Fifa-Funktionären lustige Bestechungsfaxe schicken ließ. Vor elf Jahren hat er dann die Partei Die Partei gegründet – als eine Art Notwehr gegen die Verflachung und Verblödung der vom Parteienstaat geprägten bundesdeutschen Demokratie.

Die Partei eilt in Studentenstädten von Erfolg zu Erfolg

Die Satiriker haben Die Partei mit der Ernsthaftigkeit eines Kleingartenvereins aufgebaut, mit Landes-, Kreis- und Ortsverbänden. Jetzt eilen sie von einem Erfolg zum nächsten, besonders in Studentenstädten. In Lübeck, Essen, Mönchengladbach, Krefeld, im bayerischen Dollnstein und in Halle an der Saale erlangten sie Mandate. Im Südwesten haben sie es in Tübingen, Karlsruhe und Freiburg in den Gemeinderat geschafft. Bei der Europawahl 2014 erzielten sie ihren bisher größten Erfolg.

Im Europaparlament darf der Abgeordnete Politiker freche Dinge fragen, auf die er als Journalist kaum eine Antwort bekommen würde, und die er dann auf Spiegel TV senden kann. Bei der öffentlich-rechtlichen „heute-show“ konnte er das nicht mehr machen. Dort war den Gremien die Verquickung vom Satiriker und Politiker zu heikel.

Von Günther Oettinger, dem fürs Digitale zuständigen EU-Kommissar, wollte er wissen, wie er seine vielen Ausrutscher aus dem Netz tilgen will. Etwa seine Aussage auf der Trauerfeier des baden-württembergischen Alt-Ministerpräsidenten Hans Filbinger, wonach der Ex-Marinerichter, der bis zuletzt Todesurteile unterschrieb („Was damals Rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein!“), kein Nationalsozialist gewesen sein soll. Sonneborn stellt seine Fragen ungerührt und zeigt seinen Film unter dem Gelächter und Gejohle des Saals.

Ungerührt wie Buster Keaton gibt Sonneborn den Politiker

Was ist dieser Sonneborn nun: Satiriker oder Politiker? Den Politiker gibt er authentischer und souveräner als mancher reale Protagonist, und, wie der „Tagesspiegel“ schrieb, einem Buster Keaton gleich, ohne je einmal die Mundwinkel zu verziehen und den Witz zu verraten.

Politiker, die ihre Sache heilig ernst nehmen, sehen in ihm einen Spaßgesellen, der es im Gewand des Politikers und auf Kosten der Gesellschaft zu weit treibt. Auch der Tübinger Literaturwissenschaftler Jürgen Wertheimer, der Sonneborn unter dem Label „Aufklärung“ zum Studium-Generale-Vortrag nach Tübingen gelotst hat, versucht ihn zu provozieren, er möge sich zum einen oder anderen bekennen. Doch Sonneborn weicht der Frage aus. Denn er weiß nur zu gut, dass er diesen Widerspruch nicht auflösen darf. In der unaufgelösten Dichotomie der beiden Zuordnungen liegt seine Rolle. Sein Ziel freilich lautet: Aufklärung, und deshalb passt es.

Sonneborn ist kein Kabarettist, kein Comedian, kein Clown, der es auf Klamauk und den schnellen Lacher abgesehen hat. Er will das Objekt seiner Betrachtung durch Subversion demaskieren und konterkarieren. Der gebürtige Göttinger, ein studierter Publizist und Literaturwissenschaftler, ist im tiefsten Grunde ein ernster Mann, der ein ernstes Anliegen vorzutragen hat.

„Ein guter Witz muss aggressiv sein!“

Seine Botschaft lautet: So geht’s nicht weiter! Die Herrschaft der Konzerne, die Korruption, der alltägliche Schwachsinn im Fernsehen, Radio und Internet, die Zerstörung der Welt und der Lebensverhältnisse und die Lügen der Politiker dazu.

Weil doch alles immer so weiter geht, ist der gelernte Versicherungsvertreter erst Satiriker und dann Politiker geworden. Seither hilft er die Wahrheit über die Verhältnisse zu offenbaren, in dem er übertreibt. Die Mittel der Übertreibung sind die des Satirikers. In seiner Magisterarbeit über die „Titanic“ nennt er das „sublime Verbrämung“. Dazu kommt ein „aggressives Moment“. Denn, sagt Sonneborn: „Ein guter Witz muss aggressiv sein.“

In seinen mit dem Grimmepreis ausgezeichneten Filmen „Sonneborn rettet die Welt“ über den Wahnsinn der Finanzmärkte und die Vernichtung der Umwelt, kann man die andere Seite Sonneborns erkennen, der kein Freak ist, sondern ein verheirateter Familienvater mit einem vermutlich eher biederen Leben. Seine jungen Fans verabschieden ihn mit donnerndem Applaus. Im Anschluss stehen sie an, um noch ein Selfie mit ihm zu machen.