Beim Kunstforum in der Wendelinskapelle sind „Schnitte und Tafeln“ von Martina Geist zu sehen.

Weil der Stadt - Eine riesige Fahne durchschneidet zurzeit einen Teil des Kapellenraumes von Ost nach West. Pralle Früchte in leuchtendem Orange und dunkle Blätter und Zweige im Großformat sind zu sehen, eine Feier der Natur? Von der „Kunst als einfühlsame Vermittlerin von Natur“ spricht Heiderose Langer, die auch die große Fahneninstallation von Martina Geist bei der Kunststiftung Erich Hauser in Rottweil begleitet hat.

 

Seit den 80er Jahren für ihre Holzschnitte bekannt, begibt sich Martina Geist mit ihren Fahnen auf einen volatilen und lichtdurchlässigen Untergrund, den sie von beiden Seiten in einem aufwendigen Verfahren bemalt, bedruckt und auf dem sie die transparenten und deckenden Flächenformen zusammennäht. Es war das 20. Künstlerfahnenfestival in Eppingen 2016, das bei der Künstlerin die Initialzündung für diese neue Arbeitstechnik auslöste. Und jetzt im Kunstforum ist der Betrachter aufgefordert, die Natur neu zu sehen.

Es kommt Bewegung in das Stillleben

Von der hohen Westwand der Kapelle leuchten zwei großformatige Holztafeln, eigentlich Druckstöcke für Holzschnitte, von Martina Geist zum eigenständigen Relief und Kunstobjekt geadelt. Großflächig ausgeschnittene Alltagsgegenstände wie Tassen, Teller und Löffel sind auch auf anderen Holztafeln der Ausstellung zu sehen, sogar purzelnde Kaffeebohnen und kippende Kannen. Mit der Darstellung eines winzigen Momentes kommt Bewegung in das Stillleben, in dem die einfachen Dinge im Makroformat ihr eigenes Leben entwickeln dürfen.

Und dann immer wieder Natur! Birnen, Äpfel, Zweige und Zitronen strahlen in saftigem Rot, fruchtigem Grün und frischem Gelb. Dabei haben Martina Geists Bildgegenstände nichts mit proportionsgetreuer, illusionistischer Imitation der Wirklichkeit zu tun, vielmehr begeben sie sich in ihrer Reduktion in einen spannenden Dialog mit den häufig auch Raum andeutenden Flächen. Die malerischen Ereignisse spielen sich auf der Oberfläche des Holzes ab, die grafischen in den ausgeschnittenen Linien, die zudem für den Reliefcharakter des Bildes sorgen.

Die Holzschnitte, also die auf Bütten- oder Japanpapier gedruckten Pendants zu den Tafeln von Martina Geist sind zum größten Teil Unikate und nur sehr selten als Edition zwölfmal vorhanden wie der „Zweig mit Birnen“ von 2018. Ähnlich wie ihre Fahnen ist eine Dreiergruppe von Unikaten in schwarz-weiß von zwei Seiten bedruckt, federleichte Zweige, bei denen sich durch die Beidseitigkeit reizvolle Überschneidungen ergeben.

Die Holzschnitte sind meist Unikate

Martina Geist, 1961 in Stuttgart geboren, studierte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste und der Universität Stuttgart sowie der Universität für angewandte Kunst Wien. Ihre künstlerische Arbeit wurde durch zahlreiche Preise und Stipendien gewürdigt, die Liste ihrer Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen ist lang, in zahlreichen Sammlungen ist sie vertreten. 2012 führte sie ein Arbeitsaufenthalt in die Kartause Ittingen, aus deren stillen Räumen die Anregung für die kleinformatigen Holzreliefs „Kleine Klause“ stammt. Ganz ohne die kleinen großen Dinge, die wir sonst in ihren Arbeiten sehen, hat Martina Geist sich hier auf die abstrakte Darstellung von Räumen beschränkt und wie immer das Holz zum farbigen Leben erweckt.

In einer Zeit, in der die Dinge dieser Welt und sogar die Natur mehr und mehr als Ware wahrgenommen werden und sich in den digitalen Welten aufzulösen drohen, gibt Martina Geist sie uns mit ihrer Kunst zurück und schafft einen sehenswerten Modus von Wahrhaftigkeit.