Der Streit der beiden Familienstämme Hermann Voith und Hanns Voith um den gleichnamigen Maschinenbaukonzern war spektakulär. Vor 20 Jahren ist einer ausgeschieden – und hat damit die Herrschaft eines „Herrenclubs“ beendet.

Stuttgart - Der Jahrestag ist unbemerkt verstrichen. Was vor 20 Jahren als „Dallas auf der Ostalb“ – so damals die Stuttgarter Zeitung – oder als „Heidenheimer Volkstheater“ bundesweit Schlagzeilen gemacht hat, ist offenbar in Vergessenheit geraten: der spektakuläre Streit der beiden Familienstämme Hermann Voith und Hanns Voith um den gleichnamigen Maschinenbaukonzern. Und so scheint das Geschichtsbild fest gefügt zu bleiben. Michael Rogowski, der damalige Voith-Chef, lässt sich im Munzinger-Archiv, dessen biografische Informationen fast offiziellen Charakter haben, weiter als Retter von Voith feiern. „Auch rückblickend“, so steht da mit Verweis auf einen Artikel in der Zeitung „Die Welt“, „erachtete es Rogowski als seine wichtigste Leistung, die erfolgreiche Selbstständigkeit der Firma Voith bewahrt zu haben.“

 

Drei Jahre, so heißt es an anderer Stelle, habe Rogowski vermittelt, bis sich die beiden Familienstämme 1992 auf eine Realteilung einigten: Der Familienstamm Hermann Voith schied aus, der Konzern mit Schwerpunkt im Papiermaschinenbau kam in den alleinigen Besitz der Nachkommen von Hanns Voith. Da schien es plausibel, dass Rogowski im März 2009, gerade 70 Jahre alt geworden, die Leitung der Hanns-Voith-Stiftung übernahm, um „künftig weiter das Lebenswerk Hanns Voiths sowie die Reputation des Familiennamens Voith in der Öffentlichkeit“ zu begleiten.

Bewahrer der Selbstständigkeit? Charakterisierungen wie diese bringen den Stuttgarter Rechtsanwalt Mark Binz in Rage, wird da doch nach seiner Lesart der Bock zum Gärtner gemacht. Binz, der damals den Familienstamm Hermann Voith vertreten hat und mit einem Honorar von 17,2 Millionen Mark bestens an der Realteilung verdient haben soll, kritisiert das damalige Management mit Rogowski und Finanzchef Hermut Kormann, dem späteren Voith-Chef, noch heute, weil sie ursprünglich dem Schweizer Sulzer-Konzern eine maßgebliche Beteiligung und damit Einfluss auf das Familienunternehmen verschaffen wollten.

„Von Beruf Erben“ hieß es über Hermann Voiths Nachkommen

Unterstützt vom Stamm Hanns Voith hatte Rogowski damals vorgeschlagen, eine Allianz mit Sulzer einzugehen, um sich besser gegen Konkurrenten auf dem Weltmarkt wie Valmet, Beloit, Kvaerner und Metso zu wappnen. Dass Voith noch immer ein Familienunternehmen ist, sagt Binz, sei das Verdienst des von ihm vertretenen Familienstammes Hermann Voith. Rogowski und Kormann nehmen den Ball freilich nicht auf; sie mögen den Streit 20 Jahre nach dessen Ende nicht wieder aufleben lassen. Rogowski lässt der Stuttgarter Zeitung via Pressestelle ausrichten, er habe schlicht kein Interesse an einer Diskussion über das Thema. Und Kormann zieht sich auf die Position zurück, dass er von der Familie kein Mandat habe, sich in der Angelegenheit zu äußern.

So kämpft Binz ohne Gegner, die bereit wären, sich zu stellen, gegen das schon Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre verbreitete Klischee: der renitente Familienstamm Hermann Voith, maßgeblich vertreten durch Colette Schuler-Voith und ihren in Münchner Gesellschaftskreisen bestens bekannten Sohn Robert Schuler-Voith, hatte den Ruf, vor allem am Geld interessiert zu sein; „von Beruf Erben“ hieß es über Hermann Voiths Nachkommen. Als Kontrast dazu präsentierte sich der anthroposophisch angehauchte Stamm Hanns Voith als solide und bodenständig. Das Ende schien ganz in dieses Bild zu passen. Der Stamm Hermann Voith erhielt bei der Realteilung den größten Teil der Finanzbeteiligungen und als Ausgleich 200 Millionen Mark in bar; das Unternehmen blieb beim Stamm Hanns Voith.

Der frühere Bosch-Chef Marcus Bierich, damals Vorsitzender des einflussreichen Gesellschafterausschusses bei Voith, rückte die Gewichte noch im Jahr 1992 zurecht. Zu Weihnachten schrieb er an Colette Schuler-Voith, dass deren Familie mit der „Weigerung, Sulzer in den Gesellschafterkreis aufzunehmen, recht hatte.“ Bierich weiter: „Die seinerzeit vom Gesellschafterausschuss hieran geübte Kritik tut mir leid. Das Gleiche gilt für die Haltung der Geschäftsführung, die die notwendige Loyalität Ihnen gegenüber vermissen ließ.“

Die Pläne der Geschäftsführung änderten alles

Auch Rechtsanwalt Binz, der damals Anfang 40 war und den vielen Herren in gesetztem Alter bei Voith durch sein nicht gerade devotes Verhalten als „junger Wilder“ erschien, erhielt Genugtuung. Walther Zügel, damals Chef der Stuttgarter Landesgirokasse und als Schlichter bei den Verhandlungen zwischen Sulzer und den Familienstämmen eingeschaltet, lobte den Juristen nach der vollzogenen Realteilung: „Sie waren es, der mit unerschütterlicher Beharrlichkeit, mit großem persönlichem Einsatz und kenntnisreichem Wissen diese Lösung erstritten hat. Ohne Sie wäre der Weg nicht zu Ende gegangen worden.“

Zu einer Beteiligung von Sulzer an der Voith-Muttergesellschaft ist es nicht gekommen, was angesichts des unwegsamen Geländes, auf das die Schweizer in den neunziger Jahren gerieten, in Heidenheim längst niemand mehr bedauert. Zusammengelegt wurden aber die Aktivitäten bei Papiermaschinen, was damals schon Teil der Überlegungen für eine Allianz war. Mittlerweile gehört das damals entstandene Gemeinschaftsunternehmen Voith-Sulzer den Heidenheimern ganz. Von diesem einstigen Streit – mit Sulzer, ohne Sulzer – ist ein anderer Konflikt fast zugedeckt worden: Welchen Einfluss hat eine Familie eigentlich auf „ihr“ Familienunternehmen?

Das führt zurück in die Zeiten von Hugo Rupf, der bei Voith einst so legendär war wie Hans L. Merkle bei Bosch. Weitere Parallele: beide wollten als Familienfremde „ihre“ Familienunternehmen in eine sichere Zukunft führen. Bei Voith bestand das Problem darin, dass sich die Familienstämme Hermann und Hanns Voith einfach nicht grün waren. Rupf nutzte diese Uneinigkeit zum Ausbau der eigenen Machtposition, die ihm lange niemand streitig machte. Er konnte agieren, als gehöre ihm das Unternehmen. Nach dem Krieg hatte er zusammen mit Hanns Voith – dessen Bruder Hermann war 1942 gestorben – das Unternehmen wieder auf Wachstumskurs gebracht. Als Hanns Voith 1971 starb, war Rupf der unumschränkte Herrscher bei Voith. Denn unternehmerische Ambitionen von Familienmitgliedern, die ernst genommen worden wären, gab es nicht. Der weit überwiegende Teil der Eigentümerrechte wurde von einem sogenannten Gesellschafterausschuss wahrgenommen, dem neben jeweils einem Vertreter der beiden Familienstämme Topadressen der deutschen Industrie angehörten: Bierich von Bosch, Mercedes-Chef Werner Niefer, Dieter Spethmann (Thyssen), Heinrich Weiss (SMS Schloemann-Siemag) und Peter Adolff (Allianz). Die Familien hatten nur noch Vetorechte in besonderen Fällen, was sie selbst 1976 im Gesellschaftsvertrag so festlegten. Lange hielt der Burgfrieden. „Lieber Roby“, schrieb Ausschussmitglied Heinrich Weiss an Robert Schuler-Voith, „lieber Heiner“ antwortete der Mitgesellschafter. Die Pläne der Geschäftsführung, Sulzer an Voith zu beteiligen, änderten dann aber Ende der achtziger Jahre alles.

Vor 20 Jahren wurde der Käfig gesprengt

Mark Binz, der Anwalt von Robert Schuler-Voith, fand für die Gesellschaftsstruktur von Voith eine kurze Formel: „Entmündigung der Gesellschafter durch Rupf“. Das wiederum brachte den „Hausmeier von Voith“ (Binz) auf die Palme. Bitterlich beklagte sich der damals 81-Jährige im Sommer 1990 in einem Brief an die Mitglieder des Familienstammes Hermann Voith: „Nun muss ich zu allem seitherigen Ärger auch noch zur Kenntnis nehmen, dass ich in Euren Augen der Dämon des Hauses Voith bin.“ Offenbar tief verletzt, versuchte er vier Seiten lang, den Erfolg seiner Arbeit für Voith ausführlich zu belegen. Kühl entgegnete Colette Schuler-Voith wenige Tage später: „Deinen Brief vom 12. Juli 1990 bedauere ich. Du machst damit erneut deutlich, dass Dich die Angelegenheit der Neustrukturierung von Voith emotional noch immer stark belastet.“ Dass Binz den Gesellschafterausschuss als „Herrenclub“ bezeichnet hatte, steigerte Rupfs Wohlbefinden nicht gerade.

Zum Ende seines Briefes brachte der im Jahr 2000 verstorbene Ehrenvorsitzende des Hauses Voith die Problematik der damaligen Unternehmensverfassung im Fall des Streits der Familienstämme auf den Punkt: „Auf Euren Geschäftsanteilen ruht eben als eine Art Erblast die Parität in den Stimmrechten der beiden Familienstämme, solange diese in sich gepoolt bleiben, was ich in der Vergangenheit in Gesprächen mit Euch oft als vergoldeten Käfig, in den ihr miteinander eingesperrt seid, bezeichnet habe.“

Vor 20 Jahren wurde dieser Käfig gesprengt; ein Vogel flog aus. Durchgesetzt haben sich bei Voith am Ende ausgerechnet die ursprünglichen Vorschläge des Familienstammes, der dann ausgeschieden ist. Voith wurde nach der Realteilung zu einer Holding, und Sulzer erhielt lediglich Anteile an dem darunter angesiedelten Gemeinschaftsunternehmen für Papiermaschinen.