Die Gewerkschaften in Frankreich haben zum Generalstreik gegen die geplante Rentenreform aufgerufen. Sie befürchten tiefe Einschnitte ins soziale System. Die Regierung rechnet mit Ausschreitungen wie bei den Gelbwesten-Protesten.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Paris - Frankreich droht der Stillstand. Zahlreich Gewerkschaften haben zu einem Generalstreik gegen die von der Regierung geplante Rentenreform aufgerufen. Ab Donnerstag werden nur noch ein Bruchteil der Züge im Land verkehren, betroffen ist auch der Nahverkehr in Paris, Schulen bleiben geschlossen, Krankenhäuser bieten nur noch einen Notdienst an und die Müllmänner lassen den Abfall auf den Straßen liegen. Auch das Bodenpersonal an Flughäfen, Feuerwehrleute und die Polizei wollen sich beteiligen. Anfangs nur für Donnerstag angekündigt, heißt es inzwischen von Seiten den Gewerkschaften, dass sich die Arbeitsniederlegung auch über Tage oder sogar Wochen hinziehen könnte.

 

Der Innenminister rechnet mit Krawallen

Mehrere Minister der Regierung hatten in den vergangenen Tagen noch versucht, in Gesprächen mit Gewerkschaftsvertretern, das schlimmste Szenario abzuwenden – vergeblich. Premierminister Édouard Philippe rechnet inzwischen mit den größten Protesten seit Beginn der „Gelbwesten“-Krise vor gut einem Jahr. In Paris ist für Donnerstag ein großer Demonstrationszug angekündigt. Innenminister Christophe Castaner rechnet damit, dass es zu gewaltsamen Ausschreitungen kommen könnte, wie es bei den sozialen Protesten der „Gilets Jaunes“ zuletzt immer wieder der Fall war. Insgesamt sind nach Angaben des Innenministeriums fast 250 Kundgebungen im ganzen Land angekündigt.

Der Präsident will das Rentensystem umbauen

Auslöser für den Generalstreik ist die von der Regierung geplante Rentenreform, die im Detail noch gar nicht bekannt ist. Die Gewerkschaften warnen aber vor massiven Einschnitten, seit Präsident Emmanuel Macron die Pläne 2017 im Wahlkampf angekündigt hatte. Der Staatschef will das komplizierte System vereinheitlichen, das neben einer allgemeinen Rente spezielle Regelungen für 42 Branchen vorsieht – etwa für Beamte, Bahnangestellte oder auch für die Mitarbeiter der Pariser Opernhäuser. Klar ist bisher nur: Macron will ein einheitliches System und vor allem die Vorrechte für diese einzelnen Branchen abschaffen, deren Angehörige teils schon ab Mitte 50 in den Ruhestand gehen. Ein „gerechteres System“ soll an die Stelle treten, bei dem „jeder eingezahlte Euro die gleichen Rechte für alle“ bietet, so verspricht es die Regierung. Zugleich will sie das Defizit der Rentenkassen bekämpfen, das bis 2025 auf bis zu 17 Milliarden Euro ansteigen könnte.

Der Zorn der Franzosen ist groß

Der Zorn der Franzosen richtet sich allerdings nicht nur gegen die geplante Rentenreform. In Krankenhäuser, Schulen oder auch bei der Polizei oder Feuerwehr kommt es seit Monaten immer wieder zu Demonstrationen, um gegen die schlechten Arbeitsbedingungen, geringe Löhne und angehäufte Überstunden zu protestieren. Zuletzt haben Bauern für einen Tag mit ihren Traktoren den Verkehr in Paris lahmgelegt.

Angesichts der allgemein schlechten Stimmung unter den Arbeitnehmern, erhoffen sich die Gewerkschaften eine ähnlich hohe Mobilisierung wie 1995. Damals war der konservative Präsident Jacques Chirac und sein Premier Alain Juppé 1995 mit ähnlichen Reformplänen krachend gescheitert. Rund einen Monat lang legten Streikende damals den öffentlichen Dienst lahm. Die Reform wurde kassiert, Juppé trat nach der verlorenen Wahl 1997 zurück. Seitdem gilt das französische Rentensystem als unreformierbar.