Jeden Montag, 17 Uhr, seit mehr als einem Jahr macht Uschi Helmers mit bei der Mahnwache gegen das "Geschwür" in ihrer 8000-Einwohner-Gemeinde. "Das Elend vom Emsland wird zu uns exportiert", warnt die 62-Jährige, dick eingepackt in Winterjacke und Schal. Sie ist die stellvertretende Vorsitzende der Wietzer Bürgerinitiative und hätte sich nie träumen lassen, in ihrem Ruhestand zur Expertin in Sachen Geflügelzucht zu werden.

Der Westen Niedersachsens ist Geflügelland. Nirgendwo in der Republik ist die Konzentration an Hühner- und Putenställen so hoch wie im Emsland mit seinen 30 Millionen Mastplätzen. Mittendrin sitzt Franz-Josef Rothkötter, der als Futtermittelhändler in die Branche einstieg und seinen ersten Schlachthof 2003 eröffnete. Längst hat er die Tiefkühltruhen der Discounter mit Billigware bestückt, das weiße Fleisch ist beliebt, der Markt noch bei Weitem nicht gesättigt: Der Hühnerfleischkonsum stieg von 2003 bis heute von neun auf 11,5 Kilo pro Kopf. Die Europäer essen im Schnitt gut 17 Kilo, da lässt sich noch mehr verdienen, wissen die Marktführer Wiesenhof, Stolle und Rothkötter.

Die Schlachtfabrik in Wietze hat aufgerüstet: mit Natodraht, Zaun, Schäferhunden. "Das sieht aus wie ein Hochsicherheitsknast", sagt Uschi Helmers, "Schauen Sie mal - so viele Überwachungskameras." Sie grüßt den Mann vom Sicherheitspersonal, umarmt den 82-jährigen Pfarrer, der extra aus Celle hergefahren ist, und lässt sich von einem Landwirt von der Gründung einer neuen Bürgerinitiative ein paar Orte weiter erzählen.

Nicht alle gehen auf Distanz zum Masthuhn

Der Hähnchenkrieg hat begonnen. Ein Kampf, wie er erbitterter kaum geführt werden könnte. Es geht um artgerechte Tierhaltung, um Gesundheitsschäden, um den brasilianischen Regenwald, der Sojafeldern für die Futterproduktion weichen muss, und um viel Geld.

Jeder kämpft mit seinen Waffen. Die Tierschützer mit Fotos von Masthähnchen, die Geschwüre oder zerpicktes Gefieder zeigen. Sie berufen sich auf eine Studie von Jörg Hartung, Professor an der Tierärztlichen Hochschule Hannover, der das Leid präzise beschreibt: Mehr als die Hälfte der Hühner hätten entzündete Fußballen, Blutergüsse oder Kratzspuren. Sie verweisen auf das aktuelle Gutachten des Verbraucherministeriums Nordrhein-Westfalen, das eine 96-prozentige Antibiotikabelastung der Hähnchenbestände belegt und den grünen Minister Johannes Remmel schockierte. "Das Ergebnis verursacht bei mir eine dauerhafte Übelkeit", sagte Remmel nach der Vorstellung des Gutachtens und forderte eine zentrale Datenbank zum Arzneimitteleinsatz, wie es sie bei Schweinen und Rindern schon gibt.

Wut der Gegner unterschätzt

Der deutsche Hähnchenkönig Franz-Josef Rothkötter ist einer der Hauptakteure. Der Unternehmer, der sich bereits ein Viertel des deutschen Geflügelmarktes gesichert hat, will im niedersächsischen Wietze Europas größte Schlachtfabrik betreiben. Im August rollten in der Kleinstadt im Landkreis Celle die Lastwagen an: 100.000 Masthühner werden dort täglich betäubt, aufgeschlitzt, gebrüht, gerupft, am Fließband zerlegt und verpackt. Auf 430.000 soll eines Tages aufgestockt werden. Hühnertod im Akkord.

Verzweifelt sucht Rothkötter nach neuen Mästern wie die Eickhoffs und findet sie nicht. 420 braucht er für den Endausbau seiner Fabrik. Der Unternehmer hat die Wut seiner Gegner unterschätzt. Der Protest spaltet Dörfer und Städte, lässt die Menschen auf die Straße ziehen, sie wollen mitreden. Wietze - das ist Stuttgart 21 auf Norddeutsch. Auf jeden Bauantrag für einen Großstall gründet sich eine Bürgerinitiative, es gibt Infostände, Flugblattaktionen und Ärger.

Der Hähnchenkrieg ist nicht immer fair. In Sprötze haben sie es übertrieben. Er sei kein schlechter Bauer, sagt Malte Eickhoff und steht ein wenig verloren da in seiner grünen Arbeitslatzhose. Immerzu müsse er sich verteidigen, er habe die Angriffe satt. Der schlimmste war in der Nacht des 30. Juli 2010. "Da weckte mich der Pieper der Freiwilligen Feuerwehr", erinnert sich der Landwirt. Er zog die Uniform über und machte sich mit Vater und Bruder auf den Weg, um einen Brand zu löschen. Ein Feuer im eigenen Stall, wie er bald feststellen musste. Die Halle hatte er gerade erst gebaut, mit Freunden, fünf Monate Arbeit. In Kürze sollten die Hähnchen einziehen.

"Wir haben nichts zu verbergen"

"Fuck you" stand da mit einer Schaufel in den Sand geritzt. "Wir wussten sofort, dass das Brandstifter waren", erzählt Eickhoff und führt zu den Spuren jener Nacht. An der Ostwand des Stalls, dessen Ziegelmauern noch stehen, hat sich der Ruß festgefressen - schwarze Zungen unter den Fenstern. "Wir haben geschrubbt wie verrückt, mehr ging nicht", sagt Eickhoff. Erwischt haben sie bis heute keinen, die Belohnung steht noch aus. Nur ein Bekennerschreiben der Animal Liberation Front tauchte im Netz auf. Es endet mit den Worten "Für die Freiheit aller Tiere!"

Statt aufzugeben sind die Eickhoffs in die Offensive gegangen. "Wir haben nichts zu verbergen", sagen sie und bauten die 500 000-Euro-Anlage wieder auf: als gläsernen Stall. Durch eine Scheibe können Besucher die Küken beobachten. "Das ist kein Showroom, das ist Realität", sagt Eickhoff und diskutiert mit allen - Schülern, Veganergruppen oder interessierten Nachbarn. "Bei uns kann jeder sehen, dass wir mit den Tieren vernünftig umgehen."

Genau das bezweifeln die Großmastgegner in Wietze. Sie haben sich trotz Nieselregen und Kälte an den Kreisel am Ortsausgang gestellt und ihr Banner an der Laterne festgebunden. "Schlachthof? Mastställe? Nein Danke" steht darauf. Daneben brennen Fackeln und Grablichter, jemand hat ein Kreuz für die Hühner aufgestellt, die auf der anderen Straßenseite ihr Leben lassen müssen. "Celler Land Frischgeflügel" steht auf der Fassade der umstrittenen Fabrik, die für 70 Millionen Euro gebaut und vom Bürgermeister als "Sechser im Lotto" bejubelt wurde.

Der Markt ist noch nicht gesättigt

Jeden Montag, 17 Uhr, seit mehr als einem Jahr macht Uschi Helmers mit bei der Mahnwache gegen das "Geschwür" in ihrer 8000-Einwohner-Gemeinde. "Das Elend vom Emsland wird zu uns exportiert", warnt die 62-Jährige, dick eingepackt in Winterjacke und Schal. Sie ist die stellvertretende Vorsitzende der Wietzer Bürgerinitiative und hätte sich nie träumen lassen, in ihrem Ruhestand zur Expertin in Sachen Geflügelzucht zu werden.

Der Westen Niedersachsens ist Geflügelland. Nirgendwo in der Republik ist die Konzentration an Hühner- und Putenställen so hoch wie im Emsland mit seinen 30 Millionen Mastplätzen. Mittendrin sitzt Franz-Josef Rothkötter, der als Futtermittelhändler in die Branche einstieg und seinen ersten Schlachthof 2003 eröffnete. Längst hat er die Tiefkühltruhen der Discounter mit Billigware bestückt, das weiße Fleisch ist beliebt, der Markt noch bei Weitem nicht gesättigt: Der Hühnerfleischkonsum stieg von 2003 bis heute von neun auf 11,5 Kilo pro Kopf. Die Europäer essen im Schnitt gut 17 Kilo, da lässt sich noch mehr verdienen, wissen die Marktführer Wiesenhof, Stolle und Rothkötter.

Die Schlachtfabrik in Wietze hat aufgerüstet: mit Natodraht, Zaun, Schäferhunden. "Das sieht aus wie ein Hochsicherheitsknast", sagt Uschi Helmers, "Schauen Sie mal - so viele Überwachungskameras." Sie grüßt den Mann vom Sicherheitspersonal, umarmt den 82-jährigen Pfarrer, der extra aus Celle hergefahren ist, und lässt sich von einem Landwirt von der Gründung einer neuen Bürgerinitiative ein paar Orte weiter erzählen.

Nicht alle gehen auf Distanz zum Masthuhn

"Weniger Fleisch ist die einzige Lösung", sagt Uschi Helmers und nippt an ihrem Früchtetee. Ein Mitstreiter hat Weihnachtskekse mitgebracht, auf einem Tisch stehen Glühwein und Linsensuppe. "Früher hat ein Stück die Woche doch auch gereicht", sagt Helmers. Sie will keine Verlagerung der Fabrik, sondern eine Entscheidung der Verbraucher gegen Produkte von Rothkötter und Co. Mehr Verkehr, mehr Atemwegserkrankungen und vor allem die Belastung durch mehrfach resistente Keime rund um die Mastbetriebe seien inakzeptabel. Eigentlich dürften nur kranke Tiere Antibiotika erhalten, doch das Medikament erhöhe eingesetzt als Wachstumsbeschleuniger den Profit, kritisiert Helmers.

Die Abluft aus Ställen hat der Epidemiologe Dick Heederik von der Universität Utrecht näher untersucht und ist zum Schluss gekommen: "Wir haben die gesundheitlichen Gefahren der industriellen Massentierhaltung bei Weitem unterschätzt." Im Umkreis von 1000 Metern um die Anlagen sei das Risiko einer MRSA-Infektion deutlich erhöht, warnt Heederik. Die antibiotikaresistenten Keime würden durch die Luft übertragen - also nicht nur durch Direktkontakt, wie bisher angenommen wurde. Es wurde zu viel weggeschaut, kritisiert der Professor. Die Niederländer wollen es nun genau wissen: Eine mehrere Millionen teure Studie soll Klarheit über die Bakterienschleuder Maststall bringen.

In der Kleinstadt Wietze gehen nicht alle auf Distanz zum Masthuhn. Der Gemeinderat hat den Schlachthof gebilligt - daran konnten auch die zwei Gegenstimmen von den Grünen und Linken nichts ändern. Bürgermeister Wolfgang Klußmann schwärmt von den 360 sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen für seine strukturschwache Kommune. Viele weitere könnten noch kommen. "Davon profitiert die ganze Region", sagt der CDU-Mann und versucht die Kränkungen zu vergessen: bis zu 400 Protestmails pro Tag, Beleidigungen, Beschimpfungen, Farbbeutelwürfe aufs Rathaus und eine wochenlange Besetzung der Schlachthofbaustelle. Die Polizei musste das Hüttendorf der Veganer räumen. "Das war nicht vergnügungssteuerpflichtig", stöhnt der Bürgermeister in seinem kleinen Rathaus.

Plötzlich fängt Klußmann an auszuteilen, nicht wütend, ganz sachlich: "Wir leben in einer Geiz-ist-geil-Gesellschaft", jeder wolle so günstig wie möglich konsumieren, sagt er und gibt fast im gleichen Atemzug zu, selbst beim Discounter einzukaufen. "Wir Kunden entscheiden an der Kasse, was produziert werden soll." Eine Botschaft, die Uschi Helmers unterschreiben würde. Sie will, dass sich alle mehr Gedanken darüber machen, woher das Essen kommt und bestellt Fleisch bei einem Neuland-Bauern, der die Tiere artgerecht hält.

Im Wietzer Supermarkt liegt das Geflügel dicht an dicht gestapelt in der Tiefkühltruhe, zu Preisen, die ahnen lassen, dass die Ware in großer Menge verkauft werden muss, um Gewinn zu machen. Geschnetzeltes, Brustfilet und ein ganzes Huhn, die eineinhalb Kilo kosten 2,99 Euro.