In Niedersachsen wächst der Unmut über Tierfabriken. Die Grünen punkten deshalb im Wahlkampf mit ihrer Kritik an der Massentierhaltung. Selbst die Pfarrer legen sich mit den Bauern an.

Oldenburg - Ein Lehrer, ein Bauer und ein Behördenmitarbeiter zwängen sich in den Jeep des Hotelwirts Wilfried Papenhusen vom Gut Moorbeck in Wildeshausen und gehen auf Inspektionsfahrt entlang des Hähnchen-Highways, wie man die A 7 hier im westlichen Niedersachsen nennt. Die vier vereint die Wut über die Massentierhaltung in der Region, und mit ihren unterschiedlichen Motiven sind sie ein Spiegelbild der Gesellschaft.

 

Schon an den Ortsnamen lässt sich die Idylle der Wildeshausener Geest ablesen, einer von Mooren, Trockenrasen und Wäldern geprägten Landschaft: Man fährt zur Possenkuhle, wo ein Hähnchenmastbetrieb mit 83 000 Tieren steht, dann zum Windmühlenweg, wo die Abluft eines Stalles mit 120 000 Hühnern in ein Wohngebiet weht. Später biegt man in die Buchenallee, wo eine Agrarfabrik seine Kapazität verdoppeln will. Aber da diese Investition nur 300 Meter von einem Naturschutzgebiet entfernt erfolgen soll, hat die Wildeshausener Bürgerinitiative Mensch und Natur, der der Wirt Papenhusen vorsteht, mit Einwendungen einen ihrer seltenen Erfolge erzielt: Das Genehmigungsverfahren ruht auf Antrag des Bauherrn.

Kleine Fabriken hinter Metallzäune: die Hähnchenmast

Man muss nur drei oder vier Kilometer in der Gegend von Wildeshausen und Großkneten fahren und man entdeckt wieder eine neue, blitzblanke, mit Metallzäunen abgeriegelte Hähnchenmast. Es sind kleine Fabriken, meist, aber nicht immer neben einem Gehöft. Papenhusens Jeep stoppt an einer Anlage in freier Landschaft. „Wertvoller Tierbestand – Zutritt zu den Stallungen untersagt“ steht auf dem Schild. Weder Mensch noch Tier sind zu sehen, die Anlage funktioniert geräuschlos, halbautomatisch, es könnte eine Trafostation oder Lagerhalle sein. Zehntausende Hühner sind allein im fensterlosen Beton. Morgens und abends komme ein Mitarbeiter, kümmere sich um den Stall und sortiere tote Tiere aus, sagt Hans-Joachim Janßen, Grünen-Kandidat und Angestellter der Unteren Naturschutzbehörde in Brake.

Bei einem Schwund von vier Prozent in der 42-tägigen Mastzucht kann sich jeder ausrechnen, was aus der 84 000-Tiere-Anlage entsorgt werden muss: 80 Sterbefälle am Tag. „Ich empfinde das Tier als ein Mitgeschöpf, das Anspruch auf ein artgerechtes Leben hat“, sagt Janßen (52). Für ihn ist die Landwirtschaft aus dem Lot geraten: Futter wird aus Amerika oder Asien importiert, rollt mit Lastwagen über die A 7 an, das fertige Produkt wird vermarktet, aber Kot und Gülle bleiben in Wildeshausen: „Wir haben einen enormen Kotüberschuss, die Belastung der Böden durch den Nitrat steigt“, sagt Janßen. Der auf den Feldern ausgetragene Hühnerkot stinke bestialisch. Selbst manche Bauern sehen den Aufschwung der Agroindustrie skeptisch: Jedes dritte Schwein kommt aus Niedersachsen, jede zweite Pute und jedes zweite Masthähnchen. Dabei hat das Bundesland nur 15 Prozent der Ackerflächen Deutschlands. Die Zahl der Hähnchen ist binnen drei Jahren um fast 30 Prozent auf gut 63 Millionen angewachsen. Marktführer wie Rothkötter und Wiesenhof erhielten zehn Millionen Euro Investitionen vom Wirtschaftsministerium in Hannover.

Wie die Lohnmast das Bauernleben verändert

Im Jeep sitzt auch Bauer Werner Ahlers, ein Mitglied des Arbeitskreises Bäuerliche Landwirtschaft. Er besitzt 150 Rinder, bewirtschaftet etliche Felder und füttert die Tiere mit selbst erzeugtem Mais. Ahlers fragt sich, wohin die Reise gehen soll, wenn Ackerland und Tiermast entkoppelt werden. „Ich habe mal in einem Industriegebiet bei Hamburg einen Kuhstall gesehen“, sagt Ahlers. Es war ein Schlüsselerlebnis für ihn. „Ich bin für den Erhalt der bäuerlichen Strukturen.“ Die Lohnmast verändert das Bauernland und die Lebensqualität.

Der Lehrer Uwe Behrens (37) wohnt in Amelhausen in der sechsten Generation in einem alten Bauernhaus, doch er sieht einschneidende Veränderungen auf sich zukommen. Ein benachbarter Landwirt wolle eine Hähnchenmast bauen, der Abluftschacht läge nur 280 Meter von seinem Haus entfernt. Für Behrens ein Dilemma: „Mein Sohn hat Asthma. Wir wehren uns gegen das Projekt.“ Der Investor wohne acht Kilometer von der Anlage entfernt. Warum schreibe der Staat keine Filterpflicht vor, fragt Behrens.

Die Agrofabriken verändern die Landschaft

Angst vor den Emissionen hat auch der Hotelier Papenhusen. In seinen schmucken Gutshof von 1669 zieht es Touristen aus Holland und Nordrhein-Westfalen: „Der Urlauber nimmt die Agrarfabriken noch nicht wahr, aber wir Wirte sehen die lauernde Gefahr. Unser grüner Naturpark darf nicht zum grauen Industriepark werden.“ Papenhusens Bürgerinitiative hat 30 Mitglieder, sie sieht sich als Teil einer landesweiten Bewegung. 100 örtliche Widerstandsgruppen haben sich in Niedersachsen zum Landesnetzwerk Bauernhöfe statt Agrarfabriken zusammengetan.

Die Grünen, die nach der Landtagswahl am 20. Januar gerne mit der SPD koalieren würden – und die Umfragen sehen gute Chancen für Rot-Grün – haben die Massentierhaltung als Thema entdeckt. Christian Meyer, Diplomsozialwirt und Agrarexperte der Landtagsgrünen sitzt in einem Biorestaurant in Oldenburg und lässt vor Eifer seine Lachs-Spinat-Lasagne kalt werden. „Wenn wir eine Wahlveranstaltung zur Massentierhaltung machen, kommen 130 Leute – viel mehr als beim Thema Energiewende.“ Den Grünen wird laut NDR-Umfrage die höchste Agrarkompetenz in Niedersachsen zugetraut (33 Prozent), gefolgt von der CDU (29 ) und der SPD (20).

Die Stimmung kippt allmählich

Auch CDU-regierte Landkreise wie das Emsland haben durch schärfere Auflagen deutlich gemacht, dass sie keine weiteren Großställe wollen. „Die Stimmung kippt gegen große Mastanlagen“, sagt Meyer. Der 37-Jährige stammt aus einem Dorf an der Weser, wo ein Investor eine Ziegenzucht für 7000 Tiere bauen wollte: „Grüne waren da nie im Gemeinderat, plötzlich erhielten wir 40 Prozent.“ Sollte Meyer Landwirtschafsminister werden, würde er die Agrarwende einleiten, EU-Gelder in umweltschonende Bewirtschaftung, Ökolandbau und Tierschutz lenken. Niedersachsen sei im Vergleich weit hinter Bayern und Baden-Württemberg.

Die unter David McAllister regierende CDU sieht das alles ganz anders. Sie versteht den Agrarsektor als „Schlüsselbranche“, will mit ihm „internationale Märkte erschließen“ und die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe sichern. Das klingt wenig nach Biobauerntum und liegt auf der Linie der nach acht Monaten zurückgetretenen CDU-Agrarministerin Astrid Grotelüschen, Miteigentümerin eines Putenmastbetriebes, die sich gegen Vorwürfe des Lohndumpings wehren musste. Es war der einzige Rücktritt in McAllisters Amtszeit.

Der Zwist über die Agrarfabriken spaltet mittlerweile die Gesellschaft. Nach Predigten in den Erntedankgottesdiensten, die „teilweise harsche Kritik an den Produktionsmethoden der modernen Landwirtschaft und hier wiederum der Veredlung“ enthielten, wie es in einem Rundbrief des niedersächsischen Landvolks hieß, hatte der Bauernverband dazu aufgerufen, ihm „überzogene Kritik“ von Pfarrern zu melden. Das löste Entrüstung aus. Auch für Pfarrer gilt Meinungsfreiheit, von Denunziation war die Rede. Der Hannoversche Pfarrverein forderte eine Entschuldigung, die der Landvolkpräsident Werner Hilse schließlich abgab: „Unser Anliegen war in die Vergangenheit gerichtet. Wir wollten nicht mit Block und Bleistift in die Kirche gehen, um die Pfarrer auszuhorchen.“

Aber wie die 80 000 Bauern in Niedersachsen denken, wird in einer Debatte des Landvolks mit den Agrarexperten der Fraktionen deutlich. Da erhielt ein FDP-Politiker viel Beifall für die Bemerkung, die einzige Geschäftsgrundlage des Landwirts sei der Boden – und über den müsse er frei verfügen können. Ob die FDP im nächsten Landtag überhaupt vertreten ist, bleibt fraglich. Bisherige Umfragen sehen sie bei drei bis vier Prozent.