Beim Jubiläumsauftritt von Massive Attack in Köln werden 30 Jahre Popgeschichte zelebriert. Die Vorband Young Fathers sorgt wegen ihres Anti-Israelismus für Diskussionen. Das Geheimnis um den Street-Art-Star Banksy dürfte dank Massive Attack nun gelüftet sein.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Köln - Vor 20 Jahren brachte ein Konzert der Band Massive Attack das Congress Centrum B in der alten Messe auf dem Killesberg beinahe zum Einstürzen. Die Band aus Bristol stellte ihr Album „Mezzanine“ live vor und hatte Bässe im Gepäck, die wie gigantische Tunnelbohrer dröhnten. Immer wenn man sich den Schweiß der Erleichterung von der Stirn gewischt hatte, weil man die letzten Schwingungen ohne Schleudertrauma überstanden hatte, setzte die Gitarrenwand von vorne ein, und ein abgeschlossenes Stück wurde noch einmal fortgesetzt.

 

Der Abriss der alten Messe erfolgte zwar erst 2007, an diesem Abend im Herbst 1998 rüttelten Bandgründer Robert „3D“ Del Naja und seine Mitstreiter aber schon mal an den Grundfesten der Spielstätte. Nun, 20 Jahre später, feiern Massive Attack ihren 30. Geburtstag mit zwei Konzerten in Deutschland. Ins Palladium in Köln bringt die Band am Donnerstagabend Konstanz in eine Zeit, in der nichts mehr sicher zu sein scheint. Dass beide Auftritte der Band in Deutschland ausverkauft sind – das zweite Konzert war für Freitag in Berlin angekündigt –, obwohl das letzte reguläre Studioalbum, das eher durchwachsene „Heligoland“, 2010 erschienen ist, spricht für sich.

Massive Attack schrieben Hits, die bis heute glänzen

Massive Attack haben in den 90er Jahren mit ihren Weggefährten aus Bristol ein eigens Pop-Genre begründet, das mit dem Begriff Trip-Hop eher unzureichend umrissen wurde. In den 80ern waren die Musiker um Del Naja Teil des DJ-Kollektivs Wild Bunch, aus deren Kreis sich später neben Massive Attack auch Bands wie Soul II Soul formierten und Künstler wie Tricky Solokarrieren starteten.

Massive Attack schrieben mit „Unfinished Sympathy“ oder „Teardrop“ Hits, die auch 2018 noch zeitlos glänzend klingen. An dieser Stelle muss nun leider darauf hingewiesen werden, dass die kleine Schwester von Konstanz ja nicht Kreuzlingen, sondern Stagnation ist. Massive Attack hatten ihre beste Zeit in den 90er Jahren, die Veröffentlichungen nach dem Album „Mezzanine“ konnten nur selten an die Wucht von „Blue Lines“ (1991) oder „Protection“ (1994) anknüpfen. Robert Del Naja hatte sich mit den anderen Gründungsmitgliedern Grantley Marshall, genannt Daddy G, und Andrew „Mushroom“ Vowles überworfen und wirkte besonders beim Album „100th Window“ von 2003 so, als fehle ihm das Korrektiv beim Produzieren.

Vorband Young Fathers: umstritten und gut

Den Fans im Palladium scheint das egal, sie sind wegen der Hits gekommen, auf der Suche nach der eigenen Jugend. Der Auftritt beginnt pünktlich um 20 Uhr. „What a time to be alive“, brüllt es von der Bühne, einige Besucher schrecken von ihren Handys hoch, erster Gedanke: „Huch, sind die jung geworden.“ Ach so, sind gar nicht Massive Attack, sondern die Vorband Young Fathers aus Edinburgh. Deren Konzept: Drei schreien, einer drischt auf die Drums ein. Klingt redundant, funktioniert aber erstaunlich gut. Ungläubige Gesichter nach dem Auftritt der Schotten, die später noch mit Massive Attack gemeinsam performen.

Die Young Fathers muss man auch deshalb erwähnen, weil sie gerade Diskussionen auslösen. Nicht nur weil sie laut Robert Del Naja die derzeit spannendste britische Band sind, sondern weil sie ihren Auftritt bei der Ruhrtriennale im August abgesagt haben, nachdem sie zuvor von der Intendantin Stefanie Carp zuerst aus- und dann wieder eingeladen wurden.

Das Besteck im Palladium ist groß

Die Band aus Edinburgh sympathisiert mit der umstrittenen Israel-kritischen BDS-Bewegung. BDS steht für Boycott, Divestment and Sanction. Prominentester Fürsprecher der Bewegung ist Roger Waters. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk machten die Young Fathers vor Kurzem klar, dass sie nur die Politik Israels infrage stellen, sich aber ganz klar von Antisemitismus distanzieren. Und als Vorband von Massive Attack lassen sie lieber ihre Musik sprechen.

Der Rest des Konzerts ist schnell erzählt: Liveauftritte von Massive Attack sind immer ein Pingpong aus visuellem Feuerwerk und Klangwand. Das Besteck im Palladium ist groß: Zwei Schlagzeugsets, fünf Mikros und unzählige Synthesizer geben den Rahmen vor für die Gäste, die sich Del Naja auf die Bühne holt, darunter auch Daddy G, mit dem er sich versöhnt hat.

Auf der Leinwand bei Massive Attack: „DFB-Elf entschuldigt sich bei ihren Fans“

Auf der riesigen Leinwand im Hintergrund ist große Oper angesagt. Die Obertitel flimmern auf Deutsch. Erste Botschaft: „Was ist der Sinn des Lebens? Dem Größeren dienen.“ Dann, etwas perspektivischer: „Was ist der Zweck des Sterbens? Ein Leben haben.“ Dazu gibt es Trump-Sprechblasen, gefolgt von Goebbels- und Stalin-Zitaten und dem Verweis, dass sich die DFB-Elf bei ihren Fans entschuldigt. Musikalisch ist das Konzert überzeugend, das Publikum quittiert den eineinhalbstündigen Auftritt mit großem Applaus.

Und dann ist da ja noch die Geschichte von Banksy, dem Street-Art-Künstler mit den politischen Botschaften, dessen Identität bis heute nicht aufgedeckt werden konnte. Am vergangenen Wochenende hat er wieder in Paris zugeschlagen. Beschwörungstheorien zufolge werden neue Banksy-Werke oft dann entdeckt, wenn Massive Attack in der Nähe ein Konzert hatten. Auf diesen Umstand hat der britische Journalist Craig Williams 2016 hingewiesen: Er hatte Werke des Künstlers und Auftrittsorte der Band verglichen.

Banksy eng mit Massive Attack verbandelt

In diesem Zusammenhang wird auf Del Najas Vergangenheit als Graffitikünstler im England der 80er verwiesen. Dazu hat sich Goldie, Künstler und Freund der Band, in einem Podcast im vergangenen Jahr verplappert, als er über Banksy sagte, dass Robert eben ein begnadeter Künstler sei. Robert Del Naja?

Die Band wiegelt ab, Banksy sei lediglich ein Freund der Musiker und oft mit Massive Attack auf Tour. Im sehenswerten Buch „3D and the Art of Massive Attack“ bestehen die einzigen Textbeiträge aus Zitaten von Del Naja und – Banksy. Der sagt, dass die Gründung von Massive Attack ein Verlust gewesen sei – aus der Perspektive der Graffitikunst. Sollten in den nächsten Tagen Banksy-Werke in Köln oder Berlin auftauchen: Sie wissen jetzt Bescheid.