Die Menschen müssen lernen, mit Corona zu leben, sagt der Aalener Oberbürgermeister Thilo Rentschler im Interview.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Aalen - In einem gemeinsamen Brief warnen 36 Rathauschefs aus dem Südwesten vor der für November verhängten Schließung von Gastronomie und Kulturbetrieben. Der Aalener Oberbürgermeister Thilo Rentschler (SPD) erklärt, warum auch er unterschrieben hat.

 

Herr Rentschler, warum ist es keine gute Idee im November alles, was Spaß macht, dicht zu machen?

Die Gesellschaft braucht Austausch. Eine Branche stellvertretend für die anderen abzuregeln, macht keinen Sinn. Wir haben hier ein Theater, da passen über 200 Leute rein. Freiwillig begrenzen die das auf 100 Plätze, im Saal wird achtmal in der Stunde die Luft ausgetauscht, die Zuschauer haben Abstand, werden registriert, die Schauspieler regelmäßig getestet. So etwas jetzt zu schließen, das versteht wirklich kein Mensch.

Sie haben sich ziemlich schnell im Kreis der Oberbürgermeister und Bürgermeister zusammengefunden und diesen Brief formuliert. Wie funktioniert das?

Es ging tatsächlich sehr schnell. Wir haben hier in Ostwürttemberg einen engen Austausch. Morgens hat mich Richard Arnold aus Schwäbisch Gmünd angerufen und mir den Entwurf zugeschickt. Herr Arnold steht im engen Kontakt mit Boris Palmer in Tübingen, und so ging das weiter. Und ich bin mir sicher, es hätten noch mehr Kollegen mitgemacht, wenn wir flächendeckend nachgefragt hätten.

Ihr Heilbronner Parteifreund Harry Mergel ist auch nicht restlos glücklich, sagt aber: Wer nur kritisiert, macht es sich zu einfach. Ist das so?

Wir kritisieren ja nicht, sondern wir loben – vor allem die Gastronomen und die Kulturschaffenden, dass sie sich vorbildlich an die Regeln halten. Wir haben in dem Brief deutlich gemacht, dass es nicht darum geht, schwarze Schafe zu schützen. Die große Masse der Wirte hält sich an die Vorgaben und hat gute Hygienekonzepte. Jetzt kann man sagen, das muss man stärker kontrollieren, und damit hätte ich auch kein Problem. Aber man muss denen doch eine Chance geben, die es diszipliniert durchziehen.

Und wie wollen Sie die Entwicklung dann brechen?

Mir macht die Entwicklung erst dann Sorgen, wenn die Intensivstationen voll laufen. Schauen wir einmal zurück: Wir hatten im März im Ostalbkreis sechs Busse aus Ischgl mit 300 Betroffenen. In der Landeserstaufnahmestelle in Ellwangen waren es 450 Fälle. Dann hatten wir nach einer Geburtstagsfeier unter Pflegekräften Ausbrüche in fünf Altersheimen gleichzeitig. All das hat man nachverfolgt und in den Griff bekommen. Aus diesen Erfahrungen muss man lernen und sich auf die Maßnahmen konzentrieren, die wirklich etwas bringen.

Aber jetzt bringen sie es ja nicht mehr. Auch der Schutz besonders gefährdeter Gruppen funktioniert nicht. In Aalen haben Sie gerade wieder einen Ausbruch in einem Pflegeheim.

Das funktioniert in Deutschland sogar sehr gut. Wir schützen diese Gruppen, sonst wären die Fallzahlen ganz andere. In dem Pflegeheim ist die Situation erkannt und wenn man die richtigen Maßnahmen trifft, geht von einer solchen lokalen Situation in einer Flächenstadt wie Aalen keine größere Gefahr aus. Wir müssen lernen, mit dem Virus unter Einhaltung von Regeln zu leben. Und wir müssen aufpassen, dass sich unsere Gesellschaft nicht spaltet in diejenigen, die dieses Virus leugnen und diejenigen, die so viel Angst haben, dass sie sich komplett einigeln. Beides ist nicht solidarisch.