Stuttgarts Gemeinschaftsschulen suchen nach Gymnasiallehrern, denn der Andrang hält sich in Grenzen. Die Uni-Absolventen bevorzugen Gymnasien. Ein Ausbilder erklärt die Gründe und beruhigt Eltern: Der Wechsel aufs Gymnasium kann trotzdem gelingen.

Stuttgart - In der Gemeinschaftsschule wird nach den Bildungsstandards der Hauptschule, der Realschule und des Gymnasiums unterrichtet. So zumindest lautet der bildungspolitische Plan. Ziel ist es, Mädchen und Jungen unterschiedlicher Leistungsstärke gemeinsam zu ihrem jeweiligen Schulabschluss zu führen. Wer nach der 10. Klasse das Abitur anstrebt, muss in Stuttgart auf ein Gymnasium wechseln. Damit diese Kinder gut darauf vorbereitet sind, empfiehlt das Kultusministerium vor allem in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik ab Klasse 5 und in Französisch ab Klasse 6 den Einsatz von Gymnasiallehrern. Von Klasse 8 an sei ein „erhöhter Bedarf“ nötig, hatte Kultusministerin Susanne Eisenmann auf eine Anfrage der SPD-Landtagsfraktion geantwortet.

 

Ideal wäre ein Drittel an Gymnasiallehrern, doch dieser Anteil wird landesweit nicht erreicht an den Gemeinschaftsschulen. „Auch wir sind von dem Drittel noch weit entfernt, aber auf niedrigem Niveau immerhin führend im Land“, sagt Schulbürgermeisterin Isabel Fezer (FDP). Acht Gemeinschaftsschulen gibt es in Stuttgart, in zweien – der Eichendorff- und der Bertha-von-Suttner-Schule – unterrichten bisher keine Gymnasiallehrer, weil beide den Betrieb erst in diesem Schuljahr aufgenommen haben. Die Elise-von-König-Schule führt mit fünf Gymnasiallehrkräften das Feld an, gefolgt von der Anne-Frank-Schule mit vier, der Altenburgschule mit drei, der Körschtalschule und der Gemeinschaftsschule Weilimdorf mit jeweils zwei und der Schickhardtschule mit einer Gymnasiallehrkraft. Insbesondere in den Fächern Deutsch und Englisch, zweiten Fremdsprachen, Musik und Geschichte unterrichten Pädagogen mit einer universitären Ausbildung. Mancherorts erteilen Realschullehrer mit Sprachendiplom den Sprachunterricht.

Zwei Schulen ohne Gymnasiallehrer

In diesem Herbst stellt sich die Situation nicht wesentlich besser dar. Immerhin kommen zu den 17 Gymnasiallehrkräften im Schuljahr 2017/18 zwei hinzu: Eine Lehrkraft an die Altenburgschule in Bad Cannstatt und ein Gymnasiallehrer an die Schickhardt-Gemeinschaftsschule im Stuttgarter Süden, teilt das Staatliche Schulamt Stuttgart auf Anfrage mit. Das bedeutet: Lediglich zwei Referendare haben sich als Lehrer für Gemeinschaftsschulen beworben, denn bisher werden sie nicht gegen ihren Willen dorthin abgeordnet. Die Schulbürgermeisterin bedauert, dass sie darauf nicht Einfluss nehmen kann: „Als Schulträger kann ich nur die Räume nett machen.“

Insbesondere Mathematiklehrer sind Mangelware, auch an Gymnasien. Bewerber haben deshalb sehr gute Einstellungschancen und strömen zu den Gymnasien. „Für das Fach Mathe an Gemeinschaftsschulen meldet sich gar kein Bewerber“, sagt Matthias Kaiser vom Staatlichen Schulamt. Detlef Hoche beobachtet das auch. Er ist stellvertretender Leiter des Staatlichen Seminars für Didaktik und Lehrerbildung in Stuttgart, selbst Mathematiker und bildet Referendare mit der Fachrichtung Mathematik aus. „Das sind junge Leute mit wenig Erfahrung aus der Praxis. Für die sind 25 Wochenstunden bereits eine Herausforderung“, sagt Hoche. An Gemeinschaftsschulen aber muss ein Lehrer mit vollem Deputat mehr, also 27 Wochenstunden, arbeiten.

Angst vor der Einbahnstraße

Hoche sieht aber auch strukturelle Probleme. Gemeinschaftsschulen seien bei drohenden Schulschließungen teils aus der Not gegründet worden. Zwar arbeiteten viele aus Überzeugung mit dem neuen Konzept, „nur wissen die jungen Lehrer nicht, ob sie ein engagiertes, gut organisiertes Kollegium vorfinden werden“. Und es schwingt die Angst vor einer Sackgasse mit: Die Pädagogen können sich zwar von einer Gemeinschaftsschule aufs Gymnasium bewerben, „aber wenn der Lehrerbedarf an der Gemeinschaftsschule groß ist, kann das Regierungspräsidium darüber nicht hinwegsehen und muss eine Versetzung ablehnen“, sagt Detlef Hoche.

Der Mangel an Mathematikern könne nur mit neuen Herangehensweisen behoben werden: „Die etwas abstraktere Mathematik beginnt in der 8. Klasse und fällt ausgerechnet in die Pubertät der Kinder, in der die Jungen und Mädchen sich wegen Fehlern selbst in Frage stellen. In der Folge wenden sie sich von dem Fach ab, in dem sie Fehler machen.“ Würde man diese Kinder erst ein wenig später mit Abstraktem konfrontieren, könne man „diese Abwärtsspirale verhindern.“ Ein entsprechendes Projekt im Jahr 2011 an sieben Schulen hätte sehr gute Rückmeldungen von Eltern bekommen.

Reputation könnte leiden

Doro Moritz von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sorgt sich um die Reputation der Gemeinschaftsschule. „Wenn wir wollen, dass gemeinsames Lernen auf unterschiedlichem Niveau funktioniert, dann muss auch das Knowhow vorhanden sein. Ohne Gymnasiallehrer geht das nicht, sonst schicken Eltern leistungsstarker Schüler ihre Kinder aufs Gymnasium.“