Zurückrudern nach seinen Provokationen bei „Maischberger“, die für einen Shitstorm sorgten, will Mathias Richling nicht. Der Palmer des Kabaretts sei er nicht. Und doch übt der Stuttgarter im Gespräch mit unserer Zeitung Selbstkritik.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - „Zum Thema war ich nicht distanziert genug, wie ich es in meinen Sendungen von mir gewohnt bin“, räumt der Stuttgarter Kabarettist Mathias Richling nach der heftigen Kritik an seinem Auftritt bei Sandra Maischberger ein. Zornig hatte er in der ARD-Sendung gegen das Robert-Koch-Institut geschossen, merkwürdige Vergleiche zwischen Corona und einem möglichen Erdbeben am Bodensee gezogen und auf 25.100 Grippe-Tote im Winter 2017/2018 hingewiesen – diese Opferzahl sei viel höher, als man beim neuartigen Virus zu beklagen habe.„Ist es wirklich richtig, die Wirtschaft zu ermorden, um so wenig Corona-Infizierte wie möglich zu haben?“, fragte er provokant. Die Verrisse in den Medien fielen eindeutig aus. „Viel Platz für Krudes“, schreibt der „Stern“. Der „Spiegel“ wirft ihm „Borniertheit“ vor.

 

Weggefährten sagten hinterher, privat sei Richling ausgewogen, sehr gut informiert und kritisiere beide Seiten hintergründig. Sein Wutausbruch sei mit einem möglichen Frust zu erklären, weil er nicht auftreten könne und sein Verdienst wegfalle. Dem widersprich der 67-Jährige: „Mir geht es gut, in jeder Hinsicht. Weil ich für mich alleine schreibe zuhause. Ich habe mich immer für eine gewisse Zeit für Notfälle vorbereitet.“

„Die Angst vor Existenznöten ist groß“

Bei dem Talk habe er „für unzählige Kollegen, Freunde, Bekannte und Unbekannte sprechen wollen“, die nicht nur in Angst vor Ansteckung lebten, „sondern zusätzlich noch viel mehr in Angst vor Arbeitslosigkeit, vor einem Währungsschnitt, vor Existenznöten“. Seine Aussagen seien vielleicht zu kurz gewesen bei Sandra Maischberger. Deshalb sei er „gern bereit“, in seiner nächsten Sendung beim SWR seine Sicht der Dinge ausführlicher zu erläutern. Ein Satiriker werde in einem anderen Rahmen als in seiner eigenen Satire-Sendung offenbar nicht als solcher wahrgenommen. Richling: „Meine Sorge und leider meine Gewissheit ist, dass die Angst vor Corona ablenkt vor viel, viel größeren Ängsten, die die Menschen zusätzlich haben.“ Insofern sei er nicht der Palmer des Kabaretts. Der Tübinger OB Boris Palmer, der dafür bekannt ist, Provokantes öffentlich rauszuhauen und dann zurückzurudern, sei vielmehr der „Kabarettist der Politik“.

„Man muss den Menschen Hoffnung geben“

Wenn er auf die Frage der Moderatorin, ob die Regierung alles richtig gemacht habe, mit Nein antwortete, bedeute dies nicht, alles sei falsch gewesen: „Es heißt nur, dass ich aufgrund der anderen Ängste der Menschen der Ansicht bin, dass ich das schwedische Modell des nur teilweisen Herunterfahrens des öffentlichen Lebens für erträglicher halte.“ Daraus zu schließen, er leugne Corona sei „ein leider nicht selten gewordener Schwachsinn“.

Den verängstigten und verunsicherten Menschen müsse man Hoffnung geben, findet Richling: „Nicht allein in puncto Gesundheit, sondern auch seelisch.“ Der Bundeskanzlerin zollt er Lob für „viel Sensibilität“, nach ihren Reden sei man nicht hysterisiert gewesen. Doch die Virologen hätten danach alles wieder zerstört, wenn sie etwa sagten, die Krise dauere zwei Jahre. „Mit der Aussicht auf Drama kann der Mensch nicht leben“, findet er. Keineswegs leugne er die Erkenntnisse der Wissenschaft. „Dieses mutwillige Missverstehen ist unerhört“, schimpft der Kabarettist, der darauf hinweist, dass er auch viel Zuspruch für seinen Auftritt erhalten habe und dies „nicht von Radikalen und Spinnern, sondern von ganz normalen Menschen“. Keineswegs halte er Corona für eine Grippe, wie man ihm im Shitstorm vorwirft: „Zu mir hat es sich auch rum gesprochen, dass die Gefährlichkeit von Corona gut vier- bis fünfmal so hoch ist, dass man die Spätfolgen nicht kennt.“

Attacke gegen die Kommentatorin des „Spiegels“

Schmerzhaft seien die Angriffe auf seine Person „schon deswegen nicht, weil man als Satiriker gewohnt sein muss, falsch verstanden zu werden“, sagt er. Dies rege die Diskussion an und das „eigene Weiterdenken“. Heftig teilt er gegen das bekannte Hamburger Nachrichtenmagazin aus: „Wenn der ,Spiegel’ eine Vorstadtkommentatorin mich in peinlicher Weise in Abrede stellen lässt, lässt der ,Spiegel’ es zu, sich selbst zu torpedieren. Ein unsäglicher Vorgang. Und die Dame sollte vielleicht künftig doch besser nur den Gesangsverein Frohlust begutachten oder ähnliche Freizeitbeschäftigungen.“ Diese harte Kritik zeigt, wie die Nerven blank liegen bei ihm, auch wenn er Gelassenheit signalisieren will.

Corona spaltetet die Gesellschaft. In Stuttgart gibt es Wutbürger und Aluhutbürger. Zu welcher Gruppe gehört er? „Zu keiner!“ lautet seine Antwort, „aber ich bemühe mich, die Wut der Bürger, die ich oft teilen kann, unter einen Aluhut zu bringen.“ Auch hier sollte man darauf achten, „dass aus Wut nicht Radikalität wird“. Wer Demokratie fordere, müsse sie „selbstverständlich auch leisten“.