Der Pianist Maurizio Pollini hat in der Stuttgarter Liederhalle Beethovens letzte Sonaten gespielt

Stuttgart - Hat jemals jemand über die Tauben nachgedacht, die Aschenputtel beim Sortieren halfen? Und darüber, was sich ereignet hätte, wenn die Tierchen nicht fähig gewesen wären, Kröpfchen von Töpfchen zu trennen? Mit dem Ball, dem Prinzen und dem Happy End im Märchen wäre es dann jedenfalls nichts geworden. Dass diese Fragen etwas mit dem Pianisten Maurizio Pollini zu tun haben, der am Dienstagabend bei den „Meisterpianisten“ im Beethovensaal aufgetreten ist, liegt nicht etwa daran, dass der italienische Pianist dort die letzten Sonaten eines tauben Komponisten spielte. Sondern an einem Verlust, dem nicht mit Kalauern beizukommen und der weniger zu beschimpfen denn zu betrauern ist: Pollini, der früher technisch so glänzende Musiker,der Chopin mit glasklaren Darbietungen als ernst zu nehmenden Komponisten rehabilitierte und Beethovens Komplexität nüchtern sezierte; Pollini, der uns lehrte, dass Mätzchen nur braucht, wer zu wenig weiß und zu sagen hat – dieser Pollini, inzwischen 77 Jahre alt, verliert nun die Kontrolle und damit den Zauber.

 

Das hat besonders mit der linken Hand zu tun, die in raschen Sätzen (Vivace der Sonate op. 109) mit der rechten oft nicht mehr mitkommt. Dadurch geraten Hauptstimme und Nebenlinien aus der Balance, und es könnte auch etwas mit nachlassendem Interesse zu tun haben, dass Unwichtiges und Wichtiges in der Folge oft gleich gültig wirken. Hörend glaubt man vor einer Geröllhalde zu stehen oder vor einer Art Notenzettelkasten. Steigerung, Spannungsbögen, sinnfällige Gliederung gibt es fast nirgends – nicht einmal durchgehend bei jenem verzweifelten Versuch Beethovens, im Finale seiner As-Dur-Sonate eine weite Gesangslinie durch die strenge Form der Fuge an der Erde zu befestigen. Es gibt geradezu tragische Momente, in denen man ahnt, was Pollini will, aber auch vernimmt, was er nicht mehr kann.

Nur in den langsamen Sätzen, ganz besonders in der oft wundersam beruhigt dahin fließenden Arietta der c-Moll-Sonate, hört man nicht nur etwas von der Anschlagskultur von ehedem, sondern spürt auch noch einmal den Zauber vergangener Zeiten. Um seinetwillen applaudieren am Ende Teile des Publikums im Stehen, und der Pianist, glücklich lächelnd, scheint im Beifall zu baden. Das Märchen indes ist vorüber. Es ist ernsthaft zu hoffen, dass der Traumprinz darin das bald auch einsieht: damit er uns so in Erinnerung bleibt, wie wir ihn liebten.