Bei der Show „The Voice of Germany“ sang er vor einem Millionenpublikum. Doch Max Giesinger war nicht glücklich mit seinen Auftritten.

Karlsruhe/Waldbronn - Er kommt zu spät zum Interview im Baden-Badener Kongresshaus, weil er mit dem Schlagzeuger noch Kaffee trinken war. „Ich bin der Max“, sagt er mit badischem Singsang, schiebt sich einen Keks in den Mund, lümmelt sich ins Sofa, findet vieles „krass“ und „geil“. Er wirkt wie ein Student, der mittags aus dem Bett gefallen ist. Er sei nicht mehr nur „der aus der Casting-Show“. Man nimmt ihn jetzt als Musiker ernst.

 

Der 24-jährige Max Giesinger war vor einem Jahr Finalist bei „The Voice of Germany“, jener Show, bei der es allein um die Stimme gehen soll. Das neue Format entwickelte sich zum Straßenfeger, Kritiker lobten die Qualität der Sänger und das faire Miteinander. Kandidaten wurden Talente genannt, aus Juroren wurden Coaches. Die Leiter der Teams waren der Soulbarde Xavier Naidoo, der Pop-Rocker Rea Garvey, das Front-Duo der Countryband The Boss Hoss und die Sängerin Nena. Max brachte Talent mit. Er hat eine markante und zugleich samtige Stimme, kann außerdem Gitarre spielen. Er wurde Vierter.

Max Giesinger stammt aus dem Örtchen Waldbronn bei Karlsruhe. Mit elf besucht er eine Gitarrengruppe, bricht bald ab und bringt sich alles Weitere selbst bei. Während der Schulzeit tritt er in Kneipen und Clubs auf, kann sich in der Region als Singer-Songwriter etablieren. „Wenn man live gut ist und ein netter Typ, dann geht das voran“, sagt er. Nach einem „Work-and-Travel“-Programm in Australien beginnt er eine Banklehre, die er nach zwei Wochen schmeißt. Dann bewirbt er sich bei der Show.

Im Gespräch nennt er sie nur „das Ding“. „Ich dachte halt, es könnte eine coole Zeit werden, ich bin ein impulsiver Typ, der recht unbedarft an Neues herangeht.“ Von morgens um sieben Uhr bis abends um zehn hieß es proben, einsingen, aufzeichnen, Interviews geben. Abends fiel er ausgelaugt ins Bett. Keine Minute der Besinnung: „Es war total schwer, im Reinen mit sich zu bleiben. Ich hätte damals öfter mal mit meinen richtigen Freunden quatschen sollen.“ In Interviews während der Sendung sprach er stets von einer „grandiosen Erfahrung“. Heute schlägt er andere Töne an. „Du schwimmst auf dieser Welle und kommst nicht dazu, darüber nachzudenken, was um dich herum geschieht.“ Das war nicht nur Gutes.

Max fühlte sich als Mensch missverstanden

Er gehörte zum Team Xavier Naidoos. Wie die Zusammenarbeit mit ihm war? „Das war . . . interessant.“ Max grinst. Sympathisch sei Xavier gewesen und habe es gut mit einem gemeint. Aber wegen der Lieder, die der Soulsänger für ihn aussuchte, fühlte Max sich als Mensch missverstanden. Schmusesongs musste er vortragen, ihm wurde in der Staffel das Image des Teenie-Schwarms aufgedrückt. „Ich mochte die meisten Songs nicht, war immer froh, wenn ich die Live-Show hinter mir hatte“, sagt Max Giesinger heute.

Sein Tiefpunkt: das Wohlfühl-Schmalzlied „Vom selben Stern“. „Da hatte ich mal die Chance, mit einem Auftritt mehrere Millionen Menschen zu erreichen, und singe einen Song, der nicht ausstrahlt, was mich ausmacht. Auf genau diese drei Minuten beschränken dich die Leute aber.“ Max schämte sich. Bis heute hat er sich die Live-Shows nicht angeguckt. Er erträgt es nicht. In einigen Jahren sei er vielleicht soweit, meint er. „Ich war da nicht mehr der lebensfrohe Max, der ich eigentlich bin. Die Leichtigkeit war weg.“

Nach „The Voice of Germany“ kam das Loch. Den Ruhm konnte er nicht genießen. „Ich dachte, alle kennen mich jetzt von der falschen Seite“, sagt Max Giesinger. Er fühlte sich miserabel, zog sich wochenlang zurück. Musste zu sich finden, ordnen, was passiert war, bewerten: War das jetzt gut oder schlecht für mich? Und kam zu dem Ergebnis: dieses „Showding“ ist nicht grundsätzlich schlecht, tat ihm persönlich aber nicht gut. „Ich war menschlich nicht der Typ, der da hätte mitmachen sollen.“ Doch die „krasse Erfahrung“ habe ihm „krasse Türen“ geöffnet. Zu seinen Konzerten kämen nun mehrere Tausend Menschen, zig Mal so viel wie zuvor, sagt er. Nur merklich jünger sei das Publikum nun. Bei seinem ersten Auftritt nach der Show spürte er, was ihm die ganze Zeit gefehlt hatte: die Freiheit auf der Bühne. Er fand zu neuer Kraft, tingelte durch Deutschland, spielte beim Hamburger Holsten Festival, auf der Landesgartenschau in Nagold, bei den Deutschen Wellnesstagen in Baden-Baden.

Die neue Freiheit auf der Bühne

„2012 war das beste Jahr meines Lebens“, sagt Max Giesinger. „Ich habe das Geschenk, dass meine besten Freunde in meiner Band sind und wir eine total geile Zeit haben, wenn wir live spielen.“ Im September ging er mit Michael Schulte, Finalist aus dem Team Rea Garveys, auf Tour. In ihm hat er einen Freund gefunden. „Allein das war es schon wert, zu der Show zu gehen.“ Sie wohnen mittlerweile in einer „Kreativ-WG“ in Berlin und schreiben zusammen Songs. Die Tournee mit Michael war für ihn wie eine Klassenfahrt. „Es ist unfassbar geil, abends das zu tun, was einem im Leben am meisten bedeutet: auf der Bühne stehen und Musik machen.“ Dieses Jahr würde er gern wieder durch Deutschland touren, „da würde man so einige Leute glücklich machen“, sagt er. „The Voice“ sei jetzt schon ein Jahr her, und die Konzerte seien noch immer gut besucht. „Wir haben so gute Arbeit geleistet, dass ich mein Casting-Image inzwischen los geworden bin.“

Nach dem Ende der Sendung überlegte er, den Hype für ein erstes Album auszunutzen. „Ich dachte, man sollte das auf Biegen und Brechen heraus hauen“, sagt er. Für die meisten Castingstars interessiere sich ja nach ein paar Monaten niemand mehr. Doch er sei zur Besinnung gekommen: „Erst mal muss man passende Partner suchen, weil ein Schnellschuss oft floppt.“ Er habe jetzt ein Umfeld gefunden, dass an ihn glaubt und ihn langfristig aufbauen möchte. Er ließ sich Zeit mit der Platte, schrieb den Winter über eigene Songs. Irgendwann dieses Jahr soll die CD erscheinen, mehr verrät er nicht. „Ich will ein Album mit Qualität, eines, auf das ich auch in zwanzig Jahren noch stolz sein kann.“

Er hat gelernt, mehr auf sein Gefühl zu hören

Glaubt man Jesper Jürgens, einem Teilnehmer der zweiten Staffel, ist Giesingers neue Freiheit nicht selbstverständlich. Jürgens beschwerte sich nach seinem Ausscheiden in einem Youtube-Video über die Plattenfirma Universal Music Group, sie würde jeden Kandidaten mit einem 58-seitigen „Knebel-Vertrag“ noch Monate nach dem Ende der Fernsehshow an sich ketten. Er bettelte den Musikriesen an, ihn freizulassen, weil er die Bedingungen nicht richtig gelesen habe. Auch Jesper Jürgens musste angeblich verhasste Lieder singen, sich nach einem Auftritt sogar vor Scham übergeben. Die Plattenfirma erhörte schließlich seinen unorthodoxen Klageclip, ließ ihn frei und das Video löschen. Max Giesinger kann über Jesper Jürgens nur schmunzeln. „Wenn man diese Vereinbarung unterschreibt, sollte man wissen, worauf man sich einlässt.“ Er selbst hatte am Ende der Show einen Anwalt. Details zu seinem Vertrag verrät Max nicht. Doch er war froh, nach einigen Monaten wieder sein eigener Herr zu sein.

Während der Show bezeichnete er seinen Coach Xavier Naidoo als „echten Kumpel“. Jetzt haben sie keinen Kontakt mehr, mögen sich aber noch. Naidoo wollte ihn für sein Projekt „Sing um dein Leben“ mit 14 Kandidaten aus seinem Team gewinnen. Max lehnte ab. Viele vermuteten Streit, Max verneint. „Ich wollte mich einfach meiner Solokarriere widmen.“ Nach einem Probe-Drehtag habe er gemerkt, dass es ihm nicht gut tut. Und sich etwas aufhalsen, nur um ein paar Minuten im Fernsehen aufzutauchen – das war früher. Er habe gelernt, mehr auf sein Gefühl zu hören, sagt er.

In einem Lied singt Max Giesinger: „Bist im falschem Film, dir fehlt die Handlung, bist schon mittendrin, suchst den Ausgang, nur ein kleines Licht, scheint in der Ferne, du siehst es nicht.“