Max Herre und Co. präsentieren im Ludwigsburger Schlossinnenhof eine imposante Nummern-Revue. Dabei werden zwei Dinge klar: wie viel die Stuttgarter zum deutschen Hip Hop beigetragen haben. Und dass musikalische Innovation mittlerweile woanders stattfindet.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Ludwigsburg - Dass auf den Regenschirmen am Fanartikel-Stand „Immer wenn es regnet“ steht, ist in diesem Fall zwingend. Die Textzeile kommt in dem Song „A-N-N-A“ vor, mit dem es Max Herre und das Hip-Hop-Kollektiv Freundeskreis 1997 zum ersten Mal in die Charts geschafft haben. Und der Spruch passt auch zu dem Platzregen, der am Samstag in der Region niedergegangen ist.

 

Doch pünktlich zum Auftritt von Max Herre im Innenhof des Ludwigsburger Residenzschlosses hat sich der Regen verzogen. Was bleibt, ist das an solchen Abenden besonders milde Licht, das die geschwungenen Balkönchen mit Figürchen drauf anscheint. Dann spricht ein Vertreter vom Hauptsonsor des Events (die örtliche Sparkasse), der Soulsänger Fetsum heizt die Menge mit einem Cover von Tracy Chapmans „Talkin‘ bout a revolution“ an.

Das Klischee vom schwäbischen Gentrifizierer

Und dann geht es los: ein zweieinhalbstündiger Ausflug in die Stuttgarter Hip-Hop-Historie – fast zwei Jahrzehnte später, man ist angekommen zwischen Bausparvertrag (Sparkasse) und gediegenem Sommerfestival im wunderschönen Innenhof eines barocken Schlosses. Oder, wie Max Herre, mit Frau und Kindern in Berlin-Prenzlauer Berg, wozu einem als allererstes das Klischee vom schwäbischen Gentrifizierer einfällt. Was bei einer programmatisch im ökokonservativen Bürgertum verwurzelten Figur wie Max Herre nicht ganz abwegig scheint. Die Bierpreise, das sei noch angemerkt, halten sich auf Wies’n-Niveau, die Maß gibt es für 9,50 zuzüglich Pfand. Man kann es sich leisten.

Blick zurück: Max Herre ist ein Stuttgarter Junge, aufgewachsen in Stuttgart-West, musikalisch sozialisiert im Club „Das Unbekannte Tier“. Hip Hop kannte 1992 in Stuttgart keiner, Herre und sein Kollektiv Kolchose sowie später Freundeskreis mussten vieles neu aufbauen. Auf „A-N-N-A“ folgten „Esperanto“ und die erste Hochzeit des ernsthaften deutschsprachigen Hip Hop, 2000 schließlich ein Livealbum der „FK Allstars“. Danach kam Gangsta-Rap, jeder aus dem Freundeskreis ging seine eigenen Wege.

Alles soll wirken wie bei der Session im Funkhaus

Herres orchestral instrumentierte Unplugged-Show vom Herbst 2013 baut auf dem Konzept und den Songs von damals auf. Aufgenommen wurde sie im Berliner Funkhaus, den Mitschnitt kann man kaufen und im Internet findet sich eine schöne Dokumentation. Jetzt sind Herre und Co. damit auf Tour. Von der Bühnendeko bis zu den per Video eingespielten Ansagen des Hip-Hop-Pioniers Fab 5 Freddy soll alles wirken wie bei der Session im Funkhaus: derselbe opulente Sound, dieselbe Gediegenheit.

Wenn ein Programm so offensichtlich an ein Konzept aus dem Jahr 2000 anknüpft, bewertet man es automatisch vor diesem Hintergrund. Drei Dinge fallen auf. Erstens: aus den „FK Allstars“ von vor 14 Jahren ist „Max Herre und sein Freundes-Kreis“ geworden – unter anderem weil Herre und sein Label Nesola das Ganze angeleiert haben. Zweitens: Max Herre hat auf eine beeindruckende Weise andere Genres für den Hip Hop erschlossen. Bei dem Ludwigsburger Konzert kommen Einflüsse von Soul, Jazz, Reggae und Dub, Folk und Schlager und sogar des klassischen deutschen Lieds deutlich hervor – nämlich beim Song „Berlin – Tel Aviv“, den Herre mit Sophie Hunger eingespielt hat.


Dritte Erkenntnis dieses Abends: Manchmal überzieht Herre. Die Video-Ansagen kaschieren zwar die musikalischen Brüche des Konzerts. Aber selbst wenn dessen Auftritt den vielen tausend Zuhörern ganz besonders gut gefällt: Der Schnulzensänger Philipp Poisel hat auf einem Hip-Hop-Konzert einfach nichts zu suchen. Für sich genommen funktioniert das Poisel-Herre-Duett „Wolke 7“; hier vermischen sich Herres Lieblingsthemen Friede, Philosophie und Ich-Suche mit der für Poisel typischen Überzeichnung in der Stimme.

„Wolke 7“ und wie Herre Poisel danach in den Arm nimmt passt sogar zu dem durchweg gewohnt unironischen Programm Herres; Herre wollte sich ja schon immer abgrenzen von Spaßrappern wie den Fantastischen Vier. Und doch geht Herre damit einen Schritt zu weit. Der musikalische Abstand zu Songs wie „Rap ist“ oder „Get Up“, bei denen der Rapper Afrob auf die Bühne tritt, ist einfach zu groß. Hier wird gefühlig gesungen, da knallt die Bassdrum; hier wird übers Leben sinniert, da einfach nur getanzt. Fazit: Das hier ist kein Hip-Hop-Konzert, sondern vielmehr eine Art neuer Schlager – einer, der sich aus den verschiedensten Genres bedient.

Der musikalische Mainstream heutzutage vielfältiger

Das Ludwigsburger Publikum goutiert beides, die Poisel-Nummer und die Rap-Songs. Das zeigt, dass der musikalische Mainstream heutzutage auch dank Leuten wie Max Herre wesentlich vielfältiger ist als noch vor zehn, zwanzig Jahren. Man ist angekommen und macht aus den Songs von damals ein Unplugged-Album. Genau so geht Neo-Bürgerlichkeit: symbolisch die eigene Jugend bewahren, sie sie aber in einen opulenteren Kontext setzen. Weil man es sich leisten kann.

Bei allem Respekt vor der Perfektion des Vortrags und dem ausgefeilten Konzept: das wirkt alles ein wenig saturiert. Bei den letzten Songs gelingt es Herre und seiner Orchesterband nur noch mit Mühe, die Spannung im Publikum aufrecht zu halten: viele Stunden auf den Beinen, das macht müde.

„Nass bis auf die Haut, so stand sie da“, lautet eine Zeile im Song „A-N-N-A“. Das war die wilde, extreme Jugend. Am Samstagabend kommen erst ganz zum Schluss ein paar ganz wenige Tropfen vom Himmel.