Ein 69 Jahre alter Mazedonier ist aus Stuttgart abgeschoben worden. Mitarbeiter der Caritas und der Evangelischen Gesellschaft sind empört. Der Mann habe den größten Teil seines Lebens hier verbracht und sei sehr krank, die Abschiebung unmenschlich. Die Behörden sehen das anders.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Als Simon Gliniorz an jenem Montag vor dem Zimmer im Flüchtlingswohnheim an der Tunzhofer Straße steht, ist ihm schnell klar, dass etwas anders ist als sonst. Wie jeden Tag will der 19-Jährige, der bei der Caritas ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) macht, Slave Stojanovski besuchen. Doch die Tür ist zu, das Tablett mit dem Essen steht auf dem Flur. Als Gliniorz das Zimmer mit dem Generalschlüssel öffnet, findet er von dem 69 Jahre alten Mazedonier nur das Handy, einige Kleider und eine gewisse Unordnung vor, die ihn beunruhigte. Weg sind auch die Medikamente, die der angeschlagene Mann nehmen muss. Auch ein Anruf bei der Polizei, ob der immer wieder verwirrte Mann vielleicht aufgegriffen wurde, können die Sorgen nicht zerstreuen.

 

Einen Tag später die Erklärung: Am frühen Morgen des 16. April, gegen 5.50 Uhr, sei Slave Stojanovski zur Abschiebung nach Mazedonien abgeholt worden. Nicht nur Simon Gliniorz kann es nicht fassen. Ludmila Goldstein, die Sozialberaterin des 69-Jährigen bei der Caritas, ist schockiert: „Ich habe keine Verständnis, dass man einen so kranken Menschen in diesem Zustand abholt.“ Doris Trabelsi, die Fachdienstleiterin Flüchtlingshilfe bei der Caritas, sagt: „Das ist unmenschlich.“ Georg Hegele vom internationalen Beratungszentrum der Evangelischen Gesellschaft (Eva), der einige Jahre mit dem 69-Jährigen zutun hatte, erklärt: „So etwas habe ich noch nie erlebt.“

Zuerste 1969 legal in Deutschland

Der Fall Slave Stojanovski anhand von Dokumenten, Behördenauskünften und Erzählungen: Der Mitte 1949 in Mazedonien geborene Mann kommt kurz vor Weihnachten 1969 nach Deutschland. Mit einer gültigen, aber befristeten Erlaubnis arbeitete er hier einige Jahre legal. Aus dieser Zeit bezieht er eine kleine Rente von 152 Euro im Monat. Etliche Jahre später, der Mazedonier lebt inzwischen illegal hier, beginnt ein fatales Hin und Her. „1983 wurde Herr Stojanovski nach Mazedonien abgeschoben“, heißt es in einer Stellungnahme des zuständigen Regierungspräsidiums Karlsruhe zur jüngsten Abschiebung. Und: „Herr Stojanovski reiste zu einem nicht bekannten Zeitpunkt erneut in das Bundesgebiet ein und wurde 1992 ein weiteres Mal nach Mazedonien abgeschoben. Anschließend reiste er zu einem nicht bekannten Zeitpunkt ein drittes Mal in das Bundesgebiet ein. Seitdem hielt er sich illegal hier auf.“

„Er war fast sein ganzes leben hier“, sagt Ludmila Goldstein. In all den Jahren habe Stojanovski immer gearbeitet, schwarz, ohne Versicherung, bei verschiedenen Firmen, als Kellner, beim Volksfestaufbau, das hat er Simon Gliniorz erzählt. „Er war stolz, dass er so viel gearbeitet hat.“ Georg Hegele ist überzeugt: „Es hätte viele Möglichkeiten gegeben, sich zu legalisieren.“ Slave Stojanovski hat sie, warum auch immer, nicht genutzt.

Gutachter halten Rückführung für unverantwortlich

Im Juli 2016 lässt sich seine illegale Existenz nicht mehr aufrecht erhalten. Bis dahin wohnt er mit einer kroatischen Partnerin, die selbst nur eine kleine Rente und Grundsicherung bezieht, im Stuttgarter Osten in ärmlichsten Verhältnissen. Er ist schwer krank, ein Leben allein nicht mehr möglich. Doch wohin mit einem alten Mann ohne Aufenthaltsstatus, der nach Jahrzehnten aus der Illegalität auftaucht? So kommt der Mazedonier in die Flüchtlingsunterkunft in der Tunzhofer Straße. Obwohl „seine lange Lebens- und Arbeitszeit in Deutschland“, wie es in einem Schreiben des städtischen Sozialamts heißt, „nicht dem Status eines Flüchtlings entspricht“ und die Unterkunft „der falsche Wohn- und Lebensort“ sei. Stattdessen plädiert man für einen „Umzug in eine stationäre Pflegeeinrichtung“. Was, bei monatlichen Kosten für die ambulante Pflege und die Unterkunft von mehr als 4000 Euro, sogar günstiger wäre.

Doch soweit kommt es nicht. Obwohl in der Stellungnahme des Sozialamts, gestützt auf ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK), die Rede ist von schwerem Parkinson mit „starkem Tremor“, also ausgeprägtem Zittern, von „Sturzgefahr und Steifigkeit“ durch eine eingeschränkte Mobilität. Es werden „psychische Auffälligkeiten“ festgestellt, „Wahnvorstellungen, verfolgt und bedroht zu sein, Halluzinationen, Ängste und nächtliche Unruhe“, die durch die „Angst vor Abschiebung“ noch verstärkt würden. Der 69-Jährige nimmt Medikamente gegen Parkinson, Antipsychotika, starke Schmerzmittel. Laut eines Gutachtens sei eine Rückführung „unverantwortlich“, weil in Mazedonien die nötigen Therapiemöglichkeiten und einzelne Medikamente fehlten, sagt Georg Hegele.

Mit Arztbegleitung nach Skopje

Der Regierungspräsidium Karlsruhe sieht das anders. Ein amtsärztliches Gutachten habe für Slave Stojanovski „die Reisefähigkeit festgestellt“, heißt es auf Anfrage. Und: „Die Abschiebung erfolgte mit Arztbegleitung.“ Dies bestätigt die Stuttgarter Polizei. Man sei auch darauf hingewiesen worden, dass es sich bei dem Betroffenen um eine Person „mit Parkinson und Stuhlinkontinenz“ handle. Nach dem Flug von Karlsruhe Baden-Baden sei der 69-Jährige in Skopje „durch ein ärztliches Team und den lokalen Sozialdienst“ in Obhut genommen worden, schreibt das Regierungspräsidium. Der aktuelle Aufenthalt sei der Behörde aber „nicht bekannt“.

Dass Slave Stojanovski sich dort in einer „öffentlichen Einrichtung“ befindet, das hat Simon Gliniorz in langwierigen Telefonaten endlich herausbekommen, bei der europäischen Zentralstelle für die Informationsvermittlung zur Rückkehrförderung. Dennoch sagt der engagierte FSJler: „Ich finde nicht, dass die Sache gut ausgegangen ist.“ Auch wenn man sagen könne, Slave Stojanovski sei wenigstens versorgt. Eine Rückmeldung über den genauen Aufenthaltsort des 69-Jährige hat der 19-Jährige noch immer nicht. Die wenigen Habseligkeiten und ein Guthaben von rund 2500 Euro, das dieser sich auf dem von einem Sozialarbeiter für ihn eingerichteten Konto zusammengespart hat, warten noch darauf, nach Mazedonien transferiert zu werden. „Das liegt mir am Herzen“, sagt Gliniorz. Und vor allem: Wie geht es Slave Stojanovski heute? Wie hatte der noch zu Georg Hegele gesagt: „Lebend gehe ich nicht zurück – nur über meine Leiche.“