Wer an der Erkrankung ME/CFS leidet, kann kein normales Leben führen. Noch immer gibt es so gut wie keine Hilfen – dagegen protestieren Betroffene und Angehörige am 10. Mai in Stuttgart.

Vor rund drei Jahren war es, als Sabinas Körper nicht mehr so reagierte, wie die Freiberufliche Planerin aus Tübingen es gewohnt war. Im Zuge der Pandemie erkrankte sie an der neuroimmunologischen Erkrankung ME/CFS. „Ich war ständig erschöpft, musste mich dreimal am Tag hinlegen“, erzählt Sabina (Name geändert). Hinzu kamen unerklärliche Gedächtnislücken: „Ich bin beispielsweise aus dem Haus gegangen – und wusste plötzlich nicht mehr, was ich eigentlich erledigen wollte.“ Der Alltag wurde zu einer einzigen Belastung.

 

So wie Sabina ergeht es vielen Menschen: Sie sind zu erschöpft, um ihrer Arbeit nachzugehen oder das Haus zu verlassen. Für alltägliche Dinge wie Einkaufen, Telefonieren oder Behördengänge brauchen manche Unterstützung, ebenso bei der Körperpflege. Fachverbände gehen von rund 620 000 ME/CFS-Betroffenen aller Schweregrade aus, darunter 80 000 Kinder und Jugendliche. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen.

ME/CFS ist auch für Kinder und Jugendliche ein Problem

Sie alle fühlen sich mit ihrer Erkrankung alleingelassen – von den Ärzten, den Krankenkassen und auch von der Gesellschaft. Um für mehr Gehör und Sichtbarkeit zu kämpfen, tun sie daher etwas, was ihnen viel Kraft abverlangt: Sie gehen auf die Straße – zusammen mit Angehörigen und Unterstützern, die zum Teil auch stellvertretend für die Schwerkranken mitlaufen und sich für zehn Minuten auf den Boden legen.

In Stuttgart demonstrieren Betroffene im Liegen

Im Sommer 2023 begann die erste Demonstration – eine Art Trauergang – in Berlin, organisiert von der Initiative „LiegendDemo“. Inzwischen gab es diese Form der Aufmärsche auch in vielen anderen deutschen Großstädten. Jetzt ist wieder eine „LiegendDemo“ in Stuttgart auf dem Marktplatz geplant. Und zwar an diesem Samstag, 10. Mai von 15 bis 17 Uhr – anlässlich des Internationalen ME/CFS-Tag, der weltweit am 12. Mai begangen wird. Unterstützt wird die Aktion auch von diversen Selbsthilfe-Organisationen aus der Region – wie etwa vom ME/CFS-Netzwerk Baden-Württemberg.

Schilderungen von Sabina und anderen Betroffenen unterstreichen die Notwendigkeit, sich in Forschung und Gesundheitspolitik mehr um die Auswirkungen von ME/CFS zu kümmern: Ärzte haben von der Erkrankung häufig noch nie gehört. Kliniken sind nicht darauf eingestellt, sich um schwer kranke ME/CFS-Patienten zu kümmern. Es gibt keine offizielle Therapie, kein genehmigtes Medikament. Bekannt ist, dass ME/CFS-Betroffene keine aktivierenden Therapien erhalten. Bezeichnend für ME/CFS ist nämlich eine Belastungsintoleranz, Post-Exertional Malaise (PEM) genannt.

Das bedeutet, dass sich der Zustand nach körperlicher Belastung oder Aufregung verschlechtert. Daher wird Betroffenen Pacing empfohlen. Das bedeutet: sich zu schonen und Aktivitäten auf ein absolutes Minimum reduzieren.

Möglichst keine Anstrengung für ME/CFS-Betroffene

Stück für Stück hat sich auf diese Weise auch die Freiberuflerin Sabina ihren Alltag zurückerobert. „Zweieinhalb Jahre habe ich gebraucht, um wieder einigermaßen am Leben teilzunehmen und auch in meinem Beruf wieder Fuß zu fassen“, sagt die Tübingerin. In ihrer Freizeit setzt sie sich inzwischen für Betroffene ein, die von der Erkrankung stärker getroffen sind. „Viele aus unserer Selbsthilfegruppe in Tübingen haben so starke Erschöpfungszustände, dass sie es an vielen Tagen kaum aus dem Bett schaffen“, erzählt Sabina. Ihrer Meinung nach müsse gerade im gesundheitspolitischen Sektor viel mehr getan werden, um diesen Patienten zu helfen: „Schließlich hat die Erkrankung auch wirtschaftliche Folgen: Sie macht aus jungen Menschen Pflegefälle, die auf dem Arbeitsmarkt fehlen und abhängig von Sozialleistungen werden.“

Forscher treffen sich in Berlin und beraten über Therapien

Häufig beginnt ME/CFS nach einer Infektionskrankheit wie Influenza oder Pfeiffer’schem Drüsenfieber. Seit der Pandemie ist bekannt, dass sich ME/CFS auch im Zusammenhang mit Long Covid oder dem nach Impfungen auftretenden Post-Vac-Syndrom entwickeln kann. An der Berliner Charité findet am 13. Mai das ME/CFS Symposium 2025 – Forschung in Deutschland statt. Es informiert über neue Projekte der deutschen ME/CFS-Forschung. Die Hoffnung: die Entwicklung eines Medikaments bis 2026.

Proteste in Stuttgart für mehr Hilfen

Demonstration
Am Samstag, 10. Mai, treffen sich Betroffene von ME/CFS sowie Freunde und Angehörige von Erkrankten zu eine „LiegendDemo“ auf dem Marktplatz. Der Protest geht von 15 bis 17 Uhr.

Information
Fachliche medizinische Informationen für Patienten zum Thema ME/CFS gibt es bei der Charité Berlin: https://cfc.charite.de. Außerdem helfen diverse Verbände weiter – darunter Fatigatio, der Bundesverband für ME/CFS,

www.fatigatio.de, zu dem auch Regionalgruppen gehören, sowie das ME/CFS-Netzwerk Baden-Württemberg, www.mecfs-freiburg.de.