Übersetzte Nachrichten, Benimmregeln, Orientierungshilfen: Mittlerweile gibt es viele Medienangebote für Flüchtlinge in Deutschland. Die Verlage und Medienhäuser holen jetzt nach, was sie jahrelang verschlafen haben.

Stuttgart - Wer als Flüchtling nach Deutschland kommt, hat viele Fragen. Wie die Kehrwoche funktioniert, gehört nicht unbedingt dazu. Dennoch gibt es auf der Homepage des SWR ein Video mit dem Rapper MC Bruddaal, in dem er die urschwäbische Tradition erklärt. Für Marcel Wagner, den Leiter der Redaktion SWR International, ist das ein Beispiel für die Orientierungshilfen, die der Sender Flüchtlingen bietet. Man wolle den Flüchtlingen die deutsche Kultur näherbringen, „aber nicht von oben herab“. Zusätzlich gibt es Nachrichten, übersetzt auf Arabisch, Dari und Englisch.

 

Seit Mitte November bietet der SWR ein spezielles Flüchtlingsprogramm. Andere Medien haben früher auf den Zustrom von Flüchtlingen reagiert. Da gibt es die Tagesschau auf Arabisch, das „Refugee Radio“ vom Funkhaus Europa oder die Sendung „Marhaba“ („Willkommen“) auf n-tv. Dort erklärt der Moderator auf Arabisch Grundlegendes über Deutschland: dass es hier viele Brotsorten gibt und dass man an roten Ampeln stehen bleibt.

Printmedien haben weniger Angebote

Weniger auffallend sind die Angebote von Printmedien, was auch an den Produktionsbedingungen liegt: Untertitel sind in ein Video schnell eingefügt, ein ganzer Artikel auf Arabisch wiederum ist da schwerer. So bleibt es bisher bei einzelnen Aktionen wie einer zweisprachigen Ausgabe des Zeit-Magazins oder einer arabischen Beilage der Bild-Zeitung.

Für Carola Richter, Juniorprofessorin für Internationale Kommunikation an der Freien Universität Berlin, stecken die deutschen Medienangebote für Flüchtlinge noch „in den Kinderschuhen“. Von wissenschaftlicher Seite sei „seit Jahren gefordert worden, mehr zur Integration von Migranten zu tun“, sagt Richter, jedoch vergeblich. Arabische Mediennutzer hierzulande nutzten sehr stark ihre Heimatmedien, nicht die staatlich reglementierten TV-Sender, sondern soziale Medien. Hier sollten die deutschen Medien die Flüchtlinge abholen, „vor allem auf Facebook“. Das Smartphone sei das wichtigste Kommunikationsmittel.

Sind manche Angebote schlicht PR?

Auch Ebru Tasdemir von den Neuen deutschen Medienmachern kritisiert die aktuellen Angebote. Das Netzwerk setzt sich für multiperspektivischen und diskriminierungsfreien Journalismus ein. Einige Angebote seien treffend, andere wirkten eher „ungeschickt“, beispielsweise Nachrichten, die einfach ins Arabische übertragen würden. Viele Angebote seien schlicht eine PR-Masche. Es sei aber wichtig, dass die Flüchtlinge selbst zu Wort kommen. Das Journalisten-Netzwerk plant ein Mentoring-Projekt für geflüchtete Journalisten.

Angebote von Flüchtlingen für Flüchtlinge sind rar. Es gibt beispielsweise einen Radiosender in Hamburg (siehe Interview). Das Hamburger Abendblatt beschäftigt seit September fünf Flüchtlinge als freie Mitarbeiter, darunter eine Ärztin aus Bagdad und einen Taxifahrer aus Eritrea. Sie schreiben auf Deutsch über ihre Flucht, aber auch über ihre Alltagsprobleme in Deutschland, beispielsweise die Wohnungssuche, ein Redakteur hilft beim sprachlichen Feinschliff. „Es geht uns dabei um die authentische Perspektive von Flüchtlingen“, erklärt die Redakteurin Juliane Kmieciak. Das käme auch bei den deutschen Lesern gut an.

Interview mit Larry Macaulay von Radio Refugee Network

Larry Macaulay Foto: privat
Larry Macaulay floh 2011 aus Libyen nach Europa. Seit 2014 lebt er in Hamburg, wo er Radio Refugee Network gründete, ein Radioprogramm von Flüchtlingen für Flüchtlinge.
Herr Macaulay, was war Ihre Motivation, ein Radio für Flüchtlinge zu gründen?
Als ich RRN im November 2014 gegründet habe, ging es mir vor allem darum, die Leute draußen zu erreichen und die Situation der Menschenrechte in Europa zu verbessern.
Können Sie Ihre Situation während der Flucht 2011 mit der heutigen vergleichen?
Als ich nach Europa kam, waren alle Türen geschlossen, es war schwer, sich fortzubewegen. Heute ist die Situation der Flüchtlinge für jeden sichtbar. Es ist sichtbar, dass die Flüchtlingsströme und deren Handhabung durch die Staaten außer Kontrolle ist.
Oft wird gesagt, dass Flüchtlinge mit zu hohen Erwartungen nach Europa kommen aufgrund von falschen Berichten in deren Heimatländern. Können Sie das nachvollziehen?
Als ich Libyen verließ, war mir die aktuelle politische Lage in Europa bewusst, und ich hatte Freunde, die dort leben. Ich wusste also, was ich erwarten kann. Heute ist das anders: Viele Flüchtlinge sind geschockt über die Zustände hier, weil sie nicht richtig informiert werden. Sie erfahren am eigenen Leib, wie Fremde immer noch ausgegrenzt werden in westlichen Gesellschaften. Das ist weniger sichtbar als es sein sollte.
Worüber informieren Sie Ihre Hörer?
Unser Ziel ist es, Geschichten aus dem Alltag in Europa zu erzählen. Wir wollen die Lebensqualität beschreiben, das Temperament der Einwohner, wie man Freundschaften schließt. Aber unsere Zielgruppe sind nicht nur Flüchtlinge. Wir müssen auch die Einwohner erziehen.
Wie sieht es mit dem Programm der etablierten Medien aus? Bieten die genug für Flüchtlinge?
Ich finde, sie richten den Blick nicht genug auf die Lebensumstände der Flüchtlinge. Ich vergleiche es mit der biblischen Geschichte von David und Goliath: Wir sind David, die großen Medien sind Goliath. Wir sind eine Graswurzelbewegung mit Flüchtlingen, die direkt aus Griechenland und Lampedusa berichten.

Zur Person

Flucht
Larry Macaulay floh aus Nigeria vor Boko Haram. Als in Libyen der Bürgerkrieg ausbrach, floh er weiter über das Mittelmeer nach Lampedusa. Seit 2014 lebt der 42-Jährige in Hamburg.

Radio
In seiner Heimat leitete der diplomierte Management-Fachmann eine Baufirma. Als Hobby produzierte und moderierte er eigene Radioprogramme.