In der Kindheit wird unser Medienverhalten geprägt. Der Ethiker Oliver Zöllner von der Stuttgarter Hochschule der Medien will Orientierung geben. Doch seine Zuhörer fragen: warum nicht einfach abschalten? Es ist der Auftakt zu einer lebendigen Debatte.

Leben: Ricarda Stiller (rst)

Stuttgart - Schon nach wenigen Minuten – der Referent Oliver Zöllner ist gerade bei der dritten Folie seines Vortrages angelangt – entfacht sich eine lebhafte Diskussion mit dem Publikum. Das Thema des Abends: „Digitale Ethik: Aufgaben und Anwendungen“ sorgt noch für reichlich Diskussionsbedarf weit über das Ende des Vortrages hinaus. Am Dienstagabend hat im Treffpunkt Rotebühlplatz die letzte Veranstaltung in diesem Semester stattgefunden, die in der Reihe „Fragen an die Wissenschaft“ in Kooperation mit den Stuttgarter Hochschulen, der Volkshochschule (VHS) und der Stuttgarter Zeitung seit mehr als zwanzig Jahren erfolgreich organisiert wird. Im Oktober geht es mit neuen Vorträgen weiter.

 

Oliver Zöllner leitet das Institut für Digitale Ethik an der Hochschule der Medien (HdM) und erklärt im gut besuchten Vortragssaal den Zuhörern zunächst einmal, was unter Ethik überhaupt zu verstehen sei. Ethik, so erklärt der Professor für Medienforschung, sei eine Art Kompass, um die Voraussetzungen dafür auszubilden, ein gutes, gelingendes Leben zu führen – sowohl als Einzelner als auch in der Gesellschaft. Ihm ist wichtig, dass Ethik keine Vorschriften machen will. Es gehe nicht darum, als moralische Instanz aufzutreten und den Menschen zu sagen, was richtig oder falsch, gut oder böse sei. Nicht umsonst gebe es in der Philosophie um die hundert Denkschulen.

Was aber soll man nun unter „Digitaler Ethik“ verstehen? Diese wolle den Diskurs um die Rolle und die Auswirkungen digitaler Medien befördern und sei somit eine Erweiterung der allgemeinen Medienethik. Es gehe in diesem Fall um ein gutes, gelingendes Leben mit den digitalen Medien. In unserem Alltag, so Zöllner, machen wir alles in den Medien und mit den Medien. Und wenn ein Zuhörer dann den Einwand vorbringt, wir könnten ja auch alle den Stecker ziehen, uns bei Facebook abmelden und unser Leben im Analogen fortführen, dann antwortet er, dass das für eine gewisse Gruppe von Menschen, vielleicht für jene, die älter als 70 Jahre sind, noch funktionieren mag. Für die Kinder, die Jugendlichen, die jungen und älteren Erwachsenen stehe diese Option jedoch nicht mehr zur Debatte.

Das Motto des Referenten: „Bildung hilft“

Unser Leben ist durchdrungen von digitaler Technik und digitalen Medien. Dem können wir uns nicht mehr entziehen, wenn wir als Bürger unserer Gesellschaft am Leben teilhaben wollen. Diesen Umstand erläutert Oliver Zöllner an einem ganz banalen Beispiel: „Meine Studenten organisieren ihr ganzes Leben mit Facebook. Und zwar egal, ob es darum geht, Lerngruppen zu bilden, sich mit ‚Freunden’ zu ‚treffen’ oder Parties zu organisieren.“ Alles findet über Facebook statt. Würde sich einer abmelden, würde er zu keiner Party mehr eingeladen.

Daher plädiert Oliver Zöllner immer wieder dafür, den Umgang mit den digitalen Medien verantwortungsvoll und frühzeitig zu lernen. Sein Motto lautet: „Bildung hilft“. Wenn schon Kinder und Jugendliche Kommunikations-, Selbstbewusstseins- und Anti-Coolness-Training bekämen, hätten wir es im Internet nicht mit derart vielen Fällen von Mobbing zu tun. Den Kindern müsse man beibringen: „Was einmal im Internet ist, ist nicht mehr rückgängig zu machen.“ Viele würden dann sagen, dass es ihnen egal sei und sie ohnehin nichts zu verbergen hätten. Eine falsche Haltung, findet Zöllner. Man müsse die Alternativen zu Facebook, Google oder Apple zumindest kennen. Ob man sie dann trotzdem nutze, immerhin achtsamer, sei eine andere Frage.

Wenn aber Jugendliche mit ihrem Smartphone filmen, wie ein Schüler einen Mitschüler menschenunwürdig behandelt, und dieses Video binnen Minuten via Internet verbreitet wird, brauchen wir eine weitere Kompetenz im Medienzeitalter, die Zöllner „Privatheitskompetenz“ nennt. In Zeiten der narzisstischen Selfie-Kultur, von Payback-Karten und dem freiwilligen Preisgeben privatester Daten auf Facebook ist das ein ambitioniertes Ziel.

Zwar, so wendet ein Zuschauer ein, gab es Mobbing auch schon vor dem Internet beispielsweise in Form von Flugblättern oder Gerüchten, aber mit dem digitalen Zeitalter hat das verletzende Kommunikationsverhalten zugenommen. Zöllner klagt in seinem Vortrag auch darüber, dass der Diskurs über Datenschutz und Privatsphäre in der Gesellschaft nicht wirklich geführt werde. Das Institut für Digitale Ethik an der HdM veröffentlicht regelmäßig Positionspapiere, Broschüren, Handbücher und wissenschaftliche Studien, um Orientierung zu geben und die Reflexion, die Aushandlung „richtigen“ Verhaltens anzutreiben.